Falsch temperierter Wein? Zwischen Cholera und Pest

Warum Sie Wein immer richtig temperiert genießen sollten, erklärt Weinkolumnistin Christina Fieber.

Es ist ein so altes wie erstaunliches Phänomen, das im Sommer noch deutlicher zu Tage tritt: Weißwein wird vielerorts immer noch nahe am Gefrierpunkt serviert, während der Genuss von Rotwein droht, Brandblasen am Gaumen zu verursachen.

Noch erstaunlicher ist aber, dass falsch temperierte Weine anstandslos getrunken werden. Warum sich dieser geschmackliche Fehltritt nicht ausrotten lässt, bleibt ein Mysterium: Während klirrend kalter Weißwein nicht einmal mehr einen Hauch an Geschmack preisgibt, dafür aber Zähne und Magen strapaziert, droht selbst der feinste rote Burgunder bei Raumtemperatur sensorisch in Richtung Weinbrand abzudriften. Raumtemperatur im Sommer bedeutet nämlich schon mal 35 Grad plus. Man darf dann zwischen Cholera und Pest wählen. Sommeliers und weinkundige Wirte wissen jedoch von bockigen Gästen zu berichten, die trotz Zureden nicht davon abzubringen sind, ihr Recht auf temperaturauffällige Weine einzufordern.

Ob es sich bei dieser Marotte um einen Akt von Masochismus oder lediglich um starrköpfiges Festhalten an Trinkregeln aus der Frühantike handelt, lässt sich schwer ausmachen – fest steht: der gute Tropfen ist verhunzt. Bei Gluthitze darf der Rote ruhig einmal eine Runde in den Kühlschrank wandern, bevor er ins Glas kommt – vornehmlich leichtere Rotweine mit Struktur danken das mit Finesse und Frische. Weißweine hingegen zeigen nur moderat temperiert ihr wahres Gesicht. Zwischen Kracherl und großem Gewächs entscheiden oft nur ein paar Grad.

flaschenpost@kurier.at

Christina Fieber kommt aus Salzburg und arbeitet als freie Weinjournalistin in Wien.

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