Der beste Tipp für selbstgemachte Strudel: Nur nicht hudeln

Der beste Tipp für selbstgemachte Strudel: Nur nicht hudeln
Der Strudel zählt zum kulinarischen Erbe Österreichs – er wird "zubereitet", nicht gemacht. Was das heißt, lernten wir online.

Ausziehen! Zugegeben, die WhatsApp-Nachricht irritierte kurz, dann hatte ich es kapiert: Food-Bloggerin Alexandra Palla, aktuell auf ORF 2 mit ihrer Sommerküche in Guten Morgen Österreich zu sehen, lud mich zu ihrem Online-Workshop ein. Das Thema: ausgezogener Strudelteig. Schließlich sei diese Art von Mehlspeis’ eine österreichische Institution, zugleich aber auch eine recht spezielle Disziplin. Die kulinarische Mutmacherin ging es aber eher locker an: „Einen Strudelteig auszuziehen, ist leichter als gedacht und nur eine Frage der Übung.“

Daran zweifelte ich. Im Gedanken sah ich mich in der Küche meiner Mutter, wie ich ihr als Kind beim Strudeln zuschaute. Ihre Hände flink und geschickt – in kürzester Zeit war der Teig dünn wie Papier, Brösel drauf, Fülle drauf, ab ins Backrohr. Bald darauf dieser unvergleichliche Duft, das zarte Knuspern, die Begeisterung von Tanten, Onkeln, Nachbarn, die zur Jause geladen wurden. Jahrzehntelang beließ ich es bei dieser Erinnerung, denn das Strudeldings schien mir für mein handwerkliches Geschick stets eine Nummer zu groß. Ungeduldig wie ich oft einmal bin, hätte ich gerne, dass alles schon fertig ist, bevor ich überhaupt damit begonnen habe. Das passt nicht zum Strudelteigausziehen. Da braucht es eine fast zenartige Konzentration auf das Tun – Geduld, Langsamkeit und Geschick. Eine Herausforderung, der ich mich nun endlich stellen wollte. Und so saß ich an einem Freitag-Spätnachmittag vor dem Laptop, ließ mir das Strudel-Prinzip erklären und schrieb mit, als säße ich in der Mehlspeis’-Grundschule.

Jamie Olivers Food Revolution Day

Lauwarm entspannt

Zwei Tage später stand ich in der Küche und war bereit: für den ersten ausgezogenen Strudel meines Lebens, gefüllt mit einer Erdbeer-Rhabarber-Mischung. Zuvor hatte ich mir umfassendes Wissen angelesen – etwa, wie wichtig es ist, dass sich der Teig „entspannen“ könne und lauwarmes Wasser helfen würde. Dem Strudelteig natürlich, nicht der Köchin. Wenig später lag die Teigkugel geschmeidig-entspannt in meinen Händen. Zumindest das war geschafft. Mir war klar, worum es ab nun wirklich geht, in mir mantraartiges Flüstern: Nur nicht reißen, nur nicht reißen – ohm, ähm! Mir fiel eine Passage aus dem „Großen Wiener Kochbuch“ von Anna Dorn ein: ... walzet Anfangs den Teig ein wenig aus, dann aber müssen zwey Personen mit beyden Händen ihn vollends aus einander ziehen. Ist er dann in der Mitte fein, so legt man ihn auf das ausgebreitete Tuch, macht ihn noch ringsherum so fein als möglich, verhüte aber, daß er keine Risse oder Löcher bekomme. Wenn es möglich ist, so soll er so fein sein, daß man eine Schrift dadurch lesen kann.

Der Strudel-Yogi in mir

Was soll ich sagen – ich zog und zog, und empfand mich mehr und mehr als Strudel-Yogi. Irgendwann der Fehler: Ich begann zu hudeln – so sehr, dass es auf einmal dort pffft machte und da und der Teig an einigen Stellen löchrig wurde. Erst Ärger (über den Teig, nicht über mich), dann ein Schluck lauwarmes Wasser (für mich, nicht für den Teig) und ein Do-it-yourself-Reparaturkonzept: Schnippschnapp Teigrand ab – um damit die Löcher zu flicken. Das mit dem „dünn wie Papier“ war nun Geschichte. Eine Stunde später duftete und zischte es im Rohr – zischen deshalb, weil sich ein Teil der Fülle auf das Backblech ergoss. Die Flicken hielten nicht. Optisch eher ein Desaster, geschmacklich hervorragend, lag mein erstes, leicht lädiertes Strudelkind fertig vor mir. Im großen Stil jausentauglich war er nicht – aber vielleicht ein erster zarter Schritt Richtung zweiten Strudel-Bildungsweg.

Als ich mein erstes Stück in Schlagobers tauchte, fühlte ich die Kraft des Scheiterns. Wieder etwas dazugelernt! Was? Das: Trau dich und trau’s dir zu! Hol’ dir dafür gute Tipps – von Tanten, Omas oder richtig guten Mehlspeis’-Bloggern. Nimm dir endlich einmal Zeit für etwas – das Ausziehen eines Strudels ist nämlich eine wunderbare Metapher für bewusstes Tun, Motto: ziehen statt hetzen. So betrachtet, sollten wir alle viel mehr strudeln.

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Cherry strudel with almond

Rezept "Ausgezogener Obststrudel"

Vorbereitung: 40 min
Zubereitung: 30 min
Portionen: 12

TEIG
220 g Mehl, glatt
1/8 l  Wasser, warm
1 Ei,  1 TL Öl, flüssige Butter zum Bestreichen

FÜLLUNG
1 kg Obst (Äpfel, Birnen, Kirschen, Erdbeeren, Trauben, Zwetschken, Rhabarber, auch gemischt), geschnitten
100 g Zucker, 5 g Butter, 100 g Semmelbrösel

UTENSILIEN:
1 Tuch, möglichst glatt, mindestens 1 x 1 m
Mehl zum Bestäuben, 1 Backblech, Backpapier

Backrohr auf 190–200 Grad vorheizen (Ober- und Unterhitze, Umluft: 175–180  Grad). Alle Zutaten zu einer glatten, speckigen Teigkugel kneten, rundherum mit Öl einpinseln. Mindestens 30 Min. gut abgedeckt ruhen lassen. Butter in einer Pfanne zerlassen, Brösel rösten. Obst herrichten, entkernen, zerkleinern, mit dem Zucker und den Bröseln in einer Schüssel vermengen. Eine große Arbeitsfläche mit dem Tuch bedecken, Tuch gut mit Mehl bestreuen – einzelne Arbeitsschritte fürs Ausziehen, siehe Anleitung rechts! Backblech einfetten oder mit Backpapier auslegen. Nachdem der Strudel eingerollt ist, mit Schwung aufs Backblech setzen.  Mit zerlassener Butter bestreichen, und ca. 40 Min. backen
10 Min. auskühlen lassen, aufschneiden, zuckern und mit Schlagobers servieren.

Der beste Tipp für selbstgemachte Strudel: Nur nicht hudeln

Tipps fürs Strudeln:

In der Ruhe liegt die Kraft: Nicht die Zubereitung des Teigs an sich ist die größte Herausforderung, sondern das Ziehen. Damit  der Teig nicht reißt, sollte man ihm viel Zeit zum Rasten geben. Wichtig: Mehl fürs Nudelholz und Tuch.

Teig auf Größe von A 4 auswalken, mit flüssiger Butter bestreichen - nochmals etwas rasten lassen.

Mit den Fingern locker von allen Seiten zu ziehen beginnen. Dann mit dem bemehlten Handrücken unter den Teig greifen und ihn papierdünn ausziehen.

Jetzt den Teig mit Butter bestreichen, Brösel und Fülle draufgeben, Seiten einschlagen.

Mit Hilfe des Strudeltuchs einrollen und dann ebenso vorsichtig auf das eingefettete oder mit Backpapier ausgelegte Backblech "schupfen." Ab ins Rohr damit!

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