Mein Interesse für das Andere war immer da
Frau Travnicek, Sie haben einmal gesagt, es müsste eine Blacklist für verbotene Fragen an Autoren geben. Ganz oben auf Ihrer Liste: Worum geht es in Ihren Büchern? Was mögen Sie an der Frage nicht?
Weil die Frage einfach immer kommt, auch, wenn man jemandem vorgestellt wird. Die Leute wollen Smalltalk machen, hören, dass ich Schriftstellerin bin und fragen: „Worüber schreibst du denn so?“ Da könnte ich anfangen, über 20 publizierte Kurzgeschichten zu erzählen oder meinen Roman oder den neuen Roman. Das ist halt sehr anstrengend. Vor allem ist es ja auch Arbeit. Und man will, wenn man jemandem vorgestellt wird, nicht nur über die eigene Arbeit sprechen.
Ich könnte Sie aber fragen, worum es in Ihren Romanen wirklich geht?
Da habe ich vor kurzem auf Twitter ein schönes Zitat von Robert Frost gelesen. Auf die Frage, worum es in seinen Gedichten geht, hat er geantwortet: „You want me to say it worse?“ Ich könnte Ihnen meine Bücher auch nur schlecht zusammenfassen, also lasse ich es lieber.
Gut, nächste Frage: Auf Twitter sind Sie als Frau Travnicek aktiv. Kennen Sie eigentlich Herrn Travnicek?
Ja, aber wir sind nicht verwandt oder verschwägert. Selten, aber doch stellt mir jemand die Frage, ob ich einen Künstlernamen habe. Da weiß ich dann, dass das Leute sind, die Helmut Qualtingers Kunstfigur Travnicek kennen. Aber ich hatte auch einmal eine Korrespondenz mit einer Dame aus Leipzig, die meinte, ich hätte einen berühmten Namen. Da habe ich mich gewundert, woher die den Qualtinger kennt.
Haben Sie nachgehakt?
Sie hat mir dann erzählt, dass sie als Kind in der DDR aufgewachsen ist und es damals DDR-Märchenverfilmungen gab. Der tschechische Schauspieler, der den Prinzen gespielt hat, hieß Pavel Travnicek – und den kannten natürlich alle Mädchen.
2015 ist ein spannendes Jahr für Sie. Ihr erster Roman „ Chucks“ wurde verfilmt, Ihr zweites Buch „Junge Hunde“ erscheint am 12. Oktober.
Meinen Studienabschluss habe ich heuer auch nachgeholt. Das hat mich die ersten vier Monate stark beschäftigt.
Sie haben Informatik und Sinologie studiert. Da fragt man sich, woher das Interesse einer Niederösterreicherin für China kommt.
Es ist schwierig, das an einem Punkt festzumachen. Ich habe mich schon früh unbewusst für verschiedene Dinge interessiert. Zum Beispiel habe ich als Kind den Kung-Fu-Film „Die 36 Kammern der Shaolin“ gesehen und war ganz stark beeindruckt davon. Mein Interesse für ‚das Andere‘ war einfach immer da. Und es hat mich auch fasziniert, wie viele Berührungspunkte es zwischen deutschsprachiger und chinesischer Philosophie gibt.
Bei klugen Sprüchen steht auch meistens „Weisheit aus China“ dabei.
Ich glaube, dass das manche als Gütesiegel verwenden. Es gibt aber viele Sprüche, die nachweislich nicht aus China stammen. Immer, wenn es um China oder generell um Asien geht, kommt ein Orientalismus zum Vorschein, der die Menschen oberflächlich interessiert. Das ist positiv, aber eben auch oberflächlich und ohne Kenntnis der kulturellen Hintergründe.
Zu den wenigsten außereuropäischen Ländern fällt einem auf Anhieb nur Kluges ein. Mit China assoziiert man oft Menschenrechtsverletzungen, die Einkindpolitik und das Essen von Hunden. Obwohl man sich fragen müsste, ob das Essen von Hühnern, Schweinen und Rindern besser ist.
Das Erste ist, dass die Politik Chinas ja nicht die Politik aller Chinesen ist. Ich würde zwischen der offiziellen, politischen Linie eines Landes und der einzelnen dort lebenden Person differenzieren. Und wenn sie das Essen von Hunden ansprechen, ist das für mich als Vegetarierin ohnehin eine Unvorstellbarkeit. Aber ein Schwein und ein Hund sind gar nicht so weit auseinander. Außerdem ist es so, dass in China bei Weitem nicht in allen Provinzen Hunde gegessen werden. Es gibt ein Sprichwort, das besagt, dass die Leute aus Guangdong alles essen, was vier Beine hat – außer den Tisch, auf dem es serviert wird. Das ist also auch für viele Chinesen befremdlich.
Was hat es mit dem Kimono auf sich, den Sie heute tragen?
Das ist ein Vintage-Kimono aus Japan. Er müsste aus den 1960er- oder 1970er-Jahren sein. Zumindest hat mir das die Dame aus dem Vintage-Shop erklärt. In jedem, der einzelnen Punkte war ein Reiskorn eingewickelt, um ihn ganz speziell von Hand färben zu können.
Sie haben vorhin gesagt, dass Sie sich schon immer für ‚das Andere‘ interessiert haben. Sehen Sie sich selbst auch als anders? Die Kleidung, Ihre Haare ...
Ich meine, wer ist heute nicht anders? Wir haben ganze Bevölkerungsgruppen, die das Anderssein zur Prämisse erhoben haben. Was die Mode betrifft, bin ich sensibel, wenn es darum geht, Kleidung aus anderen Kulturen zu tragen. Wenn jemandem etwas heilig ist, würde ich mir schwer tun, es als Modetrend zu sehen.
Und Ihre Haare? Seit wann tragen Sie Dreadlocks?
Seit 13 Jahren etwa. Aber es ist nicht so, dass sie immer gleich sind. Manchmal schneide ich sie ein Stück ab.
Was hat Sie zu diesem Look bewogen?
Ich habe sehr widerspenstige Haare und war genervt davon, morgens täglich mit ihnen zu kämpfen. Irgendwann habe ich sie abgeschnitten und diese Möglichkeit der Frisur entdeckt. Früher hatte ich eine Welle raus und eine rein, dazu kam die Hantiererei mit dem Föhn – und wenn es dann draußen feucht war, war alles umsonst. Meine aktuelle Frisur ist also grundsätzlich eine Vereinfachung.
Und hat außerdem für Sie als Autorin einen guten Wiedererkennungswert.
Ich kann Ihnen sagen, dass ich daran mit 14 nicht gedacht habe. Es ist mir lustigerweise sogar schon passiert, dass mich jemand von der Seite angesehen und gesagt hat: „Du siehst aus wie die Travnicek.“ Scheinbar schaue ich an manchen Tagen mir selbst nur ähnlich.
14 war auch das Alter, in dem Sie begonnen haben, zu schreiben.
Das geht in dem Alter vielen so. Es ist nur die Frage, ob man es dann auf eine professionellere Schiene hebt oder eher zum Tagebuchschreiben übergeht.
Sie haben von Anfang an an Schreibwettbewerben teilgenommen. War es für Sie wichtig zu sehen, wo Sie stehen?
Es ist wie bei einem Hobby. Wenn man gerne Tennis spielt, nimmt man auch ab und zu an einem Amateur-Turnier teil und hat Spaß daran. Schreiben ist ja nicht das schlechteste Hobby. Am Anfang war es so, dass andere mich auf die Idee gebracht haben, an Schreibwettbewerben teilzunehmen. Auch die erste Veröffentlichung in einer lokalen Literaturzeitschrift ist mir vermittelt worden.
Und nun schreiben Sie mit 28 über die großen Dinge des Lebens wie Liebe und Tod. In „ Chucks“ spielt die Liebe zu einem Aidskranken eine wesentliche Rolle, in „Junge Hunde“ kommt ein Demenzkranker vor ...
Wobei die Demenz des Vaters eigentlich nur ein Nebenschauplatz ist. Gerade Tod und Liebe sind diese großen Themen, um die sich alle Storys in der Literaturgeschichte drehen. Das kann man aus keiner Geschichte rausnehmen.
Können Sie sich vorstellen, irgendwann Ihren Job in einem Computergrafikforschungsinstitut aufzugeben, um nur mehr Schriftstellerin zu sein?
Das Problem an der Schriftstellerei ist, dass man nicht Jahre im Voraus planen kann. Wenn man Glück hat, ist ein Buch erfolgreich und es gibt Folgeaufträge wie Lesungen. Dann kann man ein, zwei Jahre davon leben. Aber die Frage ist immer: Was macht man danach? Dann müsste ich eventuell Aufträge annehmen, bei denen die Vermarktung im Vordergrund steht, damit ein Projekt eine bestimmte Anzahl von Menschen erreicht. Ich glaube, das würde das Schreiben negativ beeinflussen. Mir ist lieber, ich habe ein monatliches Fixeinkommen, das bestimmte Kosten deckt.
Sie sind als Researcher teilzeitbeschäftigt. Was macht man da eigentlich?
Im Grunde sitzen 50 Leute vor einem Computerbildschirm und forschen in verschiedenen Bereichen: von der Informationsdarstellung bis hin zu Städtevisualisierung und Echtzeitdarstellungen großer Datenmengen.
Das klingt sehr technisch. Haben Sie als Kind je mit Puppen gespielt?
Schon, weil meine Freundinnen welche hatten und ich mitspielen wollte.
Woher kommt das Technik-Interesse?
Wir hatten schon immer einen Computer zuhause und es wurde mir nie verboten, ihn anzugreifen. Außerdem habe ich das ganze Spielzeug von meinem Papa geerbt. Holzbaukästen, Matador, aber auch die Abenteuerbibliothek von „Die Schatzinsel bis zu „Der letzte Mohikaner“. Es war nie so, dass irgendetwas explizit für Mädchen ausgesucht worden ist. Ich konnte mir meine Interessen in alle Richtungen selbst ausbilden. Deshalb hatte ich Pferdeposter an der Wand und den Elektronikbaukasten im Regal.
Sie widerlegen das oft gehörte Vorurteil, dass jemand, der technisch versiert ist, nicht kreativ sein kann.
Ich habe schon in der HTL die Erfahrung gemacht, dass Schüler dort hervorragende Zeichner oder Musiker waren. Leider gibt es das teilweise verbreitete Bild vom Techniker als Fachidioten immer noch. Aber das ist nicht so. Man muss den Leuten ihre Vielseitigkeit zugestehen.
In welchem Bereich sehen Sie sich in zehn Jahren, Frau Travnicek. Informatik, Sinologie oder Schriftstellerei?
Man kann Pläne machen, so viel man will, meistens passiert etwas anderes. Und das Leben ist auch schwieriger, wenn man einen fixen Plan hat. Man ist fokussiert und sieht vielleicht so manche Möglichkeit nicht.
Cornelia Travnicek, 28, wurde 1987 geboren, lebt in Niederösterreich und hat zwei jüngere Geschwister. Mit 14 begann sie zu schreiben, nahm immer wieder an Literaturwettbewerben teil und wurde vielfach ausgezeichnet. Später studierte Travnicek Informatik und Sinologie, arbeitete aber auch als Autorin. 2012 veröffentlichte sie ihren Roman „Chucks“, der viel Beachtung fand und jetzt verfilmt wurde. Im selben Jahr wurde sie für einen Text, auf dem ihr neuer Roman „Junge Hunde“ basiert, mit dem Publikumspreis beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb geehrt. Über ihr Privatleben spricht die 28-Jährige selten. „Ich genieße es, dass ich als Autorin nicht so oft danach gefragt werde.“ So verzichtet sie in ihren Büchern größtenteils auf Autobiografisches: „Ich habe Spaß daran, Figuren tun zu lassen, was ich selbst nie tun würde.“
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