„Zinswende kann eine Trendwende in der Altersvorsorge bringen“

Die vielen Krisen und der Niedrigzins waren für Vorsorgewillige in den letzten Jahren eine große Herausforderung. Für Ralph Müller, Generaldirektor Wiener Städtischen, ist Vorsorge kein Sprint, sondern ein Marathon und viel entscheidender sei es, diese so früh möglich zu starten.
In den vergangenen Jahren folgte eine Krise der nächsten. Zuerst die Pandemie, die Ukraine-Krise, jetzt die überbordende Inflation. Wirkt sich das auch auf das Vorsorgeverhalten der Österreicher aus?
Ralph Müller: Diese Multikrisen sind natürlich eine große Herausforderung für uns alle. Die finanziellen Belastungen steigen durch die hohen Inflationsraten, die die Regierung jedoch mittels Entlastungspaketen zu mildern versucht. Bis dato sehen wir noch keine Auswirkungen auf das Vorsorgeverhalten. Die private Gesundheitssparte läuft nach wie vor sehr gut, in der Altersvorsorge sehen wir eine stabile Nachfrage. Allerdings muss man hier schon sagen, dass die expansive Geldpolitik der EZB in der letzten Dekade den Sparern und Vorsorgewilligen einiges abverlangt hat. Doch diese Phase ist jetzt vorbei, die Zinswende kann eine Trendwende in der Altersvorsorge bringen.
Nachdem die Österreicher immer weniger Geld im Börserl haben, sparen sie nicht auch beim Thema Versicherungen?
Nein, wir haben sowohl während der Corona-Pandemie als auch in der Finanzkrise 2008 gesehen, dass die Menschen zwar einen erhöhten Informationsbedarf haben, was ihre Versicherungsverträge betrifft, aber die Prämien wurden und werden weiterhin bezahlt. Gerade Krisenzeiten sind Phasen, in denen Sicherheit und Halt gesucht werden – und das ist der Wesenskern und die Hauptaufgabe von Versicherungen. Wenn es dennoch finanziell eng werden sollte, haben wir zudem ausreichend Instrumente, um diese Phasen mittels Prämienpausen oder -freistellungen abzufedern. Wir versuchen alles, um unsere Kundinnen und Kunden durch derartige Krisen zu tragen.
Gerade Krisenzeiten sind Phasen, in denen Sicherheit und Halt gesucht werden – und das ist der Wesenskern und die Hauptaufgabe von Versicherungen.
In welchen Bereichen sorgen die Österreicher derzeit besonders vor?
Wie schon vorher erwähnt, ist die Nachfrage nach privater Gesundheitsvorsorge sehr hoch. Die Menschen wollen für sich und ihre Liebsten die optimale Absicherung für den Fall, dass sie einmal krank werden. Das reicht von Präventionsmaßnahmen über Versicherungslösungen bis hin zu digitalen Tools, wie digitale Zweitmeinung, Symptomchecker etc. Dieses Ökosystem hat den großen Vorteil, dass die Kundinnen und Kunden das alles aus einer Hand bekommen können. Im Bereich Altersvorsorge sind wir mitten in einer Zinswende, das heißt, die klassische Lebensversicherung steht vor einem Comeback, allerdings sind derzeit nach wie vor Fondspolizzen – insbesondere mit nachhaltiger Veranlagung – am beliebtesten.
Warum sind gerade im Gesundheitsbereich die Wachstumsraten so hoch, obwohl das heimische Gesundheitssystem zu den besten der Welt zählt?
Es ist richtig, wir haben das große Privileg, in Österreich ein sehr gutes öffentliches Gesundheitssystem zu haben. Dennoch wissen wir – aufgrund unserer jährlichen Gesundheitsumfrage –, dass sich die Bedürfnisse der Österreicherinnen und Österreicher über die Jahre verändert haben, vor allem auch in der Corona-Pandemie. Viele wünschen sich mehr als die gesetzliche Krankenversicherung bieten kann, wollen mehr Mitspracherecht – etwa die Möglichkeit, sich den Arzt des Vertrauens, das Spital und den Termin selbst aussuchen zu können. Laut den Umfrageergebnissen sind die fünf meistgenannten Gründe für den Abschluss einer privaten Gesundheitsvorsorge: die langen Wartezeiten auf Termine bei Kassenärzten, die wenige Zeit, die Kassenärztinnen und -ärzte für Patientinnen und Patienten zur Verfügung haben, die steigenden Selbstbehalte für Leistungen, Leistungseinschränkungen und die teilweise schwierigen Bewilligungsmodalitäten für Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung.
Schwierig ist es, derzeit eine Lösung für die Altersvorsorge zu finden. Niedrige Zinsen und wankelmütige Börsen – nehmen diese den Österreichern nicht jede Perspektive bei der Vorsorge?
Altersvorsorge ist sicherlich kein Sprint, sondern ein Marathon. Für das Ansparen kleinerer Beiträge, für ein zusätzliches Polster im Alter, ist das Timing gar nicht so entscheidend, vielmehr die Bereitschaft, damit zu beginnen. Denn über einen langen Zeitraum – viele Verträge unserer Kundinnen und Kunden laufen 20, 30 Jahre oder länger – glättet sich durch die monatlichen Einzahlungen so manches Börsentief in der fondsgebundenen Lebensversicherung. Wer es stabiler möchte, kann auf die prämienbegünstigte Zukunftsvorsorge zurückgreifen, die als Basisprodukt mit steuerlichen Vorteilen, wie etwa der staatlichen Förderung und KESt-Befreiung, punktet.

Die Wiener Städtische ist eine der wenigen Versicherungen, die heute noch die prämienbegünstigte Zukunftsvorsorge anbietet. Warum lassen anderen Versicherer die Finger davon, aber Sie halten an dem oft kritisierten Produkt weiter fest?
Die Schwächen des Produktes, die während der Finanzkrise bei manchem Anbieter auftraten, sind längst behoben. Heute werden die Vorteile des Produktes, meiner Ansicht nach, massiv unterschätzt. Daher kann ich die Kritik auch gar nicht nachvollziehen, denn die Zukunftsvorsorge ist ein sehr stabiles Vorsorgevehikel mit einer attraktiven Rendite. Was wir in den vergangenen Jahren gesehen haben, ist, dass vor allem Jüngere ab Mitte Zwanzig beginnen, mit kleineren Beträgen anzusparen und dann, wenn sie mehr verdienen, diese erhöhen.
Soll demnächst nicht auch eine Reform der Zukunftsvorsorge kommen?
Das würden wir sehr begrüßen. Wir haben schon vor einiger Zeit Verbesserungsvorschläge unterbreitet, um die Zukunftsvorsorge noch attraktiver zu gestalten. So wäre eine Ausweitung der Veranlagungsmöglichkeiten für die Kundinnen und Kunden von großem Nutzen. Eine breitere Streuung senkt das Risiko und ermöglicht auch bessere Renditechancen. Zudem wäre es wünschenswert, dass Kundinnen und Kunden selbst entscheiden könnten, ob sie mit oder ohne Garantie investieren wollen. Eine garantielose Variante hat natürlich den Vorteil, dass die Absicherungskosten deutlich geringer sind und damit mehr Rendite möglich ist – über einen langen Veranlagungszeitraum ist aus unserer Sicht die Garantie nicht unbedingt notwendig. Jede Kundin und jeder Kunde soll die Wahlmöglichkeit haben.
Welche Versicherungstrends sehen Sie in den nächsten Jahren in Österreich?
Österreicherinnen und Österreicher sind traditionell im Sachbereich gut versichert, Haus, Wohnung, Kfz sind in der Regel gut geschützt. Dagegen hinken sie, was den Schutz des eigenen Lebens betrifft, im Vergleich zu anderen europäischen Ländern deutlich hinterher. Da spielt sicherlich das sehr gute Sozialsystem in Österreich eine Rolle, dennoch bin ich überzeugt, dass die private Vorsorge in den Bereichen Pension und Gesundheit in den kommenden Jahren stark zunehmen wird. Und wir sehen noch einen anderen Trend: Die Zunahme von Cyberdelikten wird zur Folge haben, dass Cyberversicherungen boomen. Es vergeht kaum ein Tag ohne Angriff auf ein Unternehmen – auch in Österreich. Die Mehrheit ist jedoch noch immer nicht versichert. Ein Blick in die USA zeigt, wohin die Reise geht, dort ist der Absicherungsgrad schon deutlich höher.
Wir sehen noch einen anderen Trend: Die Zunahme von Cyberdelikten wird zur Folge haben, dass Cyberversicherungen boomen. Es vergeht kaum ein Tag ohne Angriff auf ein Unternehmen – auch in Österreich.
Welche Ziele will hier die Wiener Städtische erreichen?
Wir haben uns hohe qualitative und quantitative Ziele für die Zukunft gesetzt. Zum einem werden wir unser Kundenservice weiter verbessern. Unser erklärtes Ziel ist es, stärker als der Versicherungsmarkt in Österreich zu wachsen. Gerade als größter Anbieter in der Lebensversicherung haben wir die besten Voraussetzungen, um unseren ambitionierten Wachstumskurs fortzusetzen.
Welches sind dabei die größten Herausforderungen?
Neben der wirtschaftlichen Entwicklung und der Inflation ist sicher der Arbeitsmarkt die größte Herausforderung. Derzeit ist es schwierig, qualifiziertes Personal zu finden. Uns gelingt es ganz gut, offene Stellen zu besetzen. Schon lange reicht es nicht mehr, Jobinserate zu schalten, wir nutzen andere Kanäle wie Social Media und Gamification Tools für Lehrlinge – künftig auch für Vertriebsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter, um die geeigneten Kandidatinnen und Kandidaten zu finden. Aktuell sind wir österreichweit auf der Suche nach 250 engagierten Persönlichkeiten im Vertrieb.

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