„Politisches Theater beeinflusst die Märkte massiv“

v. l.: Robert Kleedorfer (KURIER), Valentin Hofstätter (RCM) und Rüdiger Landgraf (kronehit) bei der Aufzeichnung des Podcasts „Ziemlich gut veranlagt“.
Politik, Märkte, Emotionen: Die globalen Börsen sind derzeit volatil. Was das für die Anleger bedeutet analysiert Valentin Hofstätter, Kapitalmarktexperte der Raiffeisen Capital Management, im Gespräch mit dem KURIER – und in einer neuen Folge des Podcasts „Ziemlich gut veranlagt“ von KURIER und kronehit.
Wie sehr ähneln die politischen Einflüsse auf die US-Börse mittlerweile jenen in China?
Valentin Hofstätter: Noch ist die politische Einflussnahme in den USA nicht so systemisch wie in China. Dort reicht ein kritisches Wort, und ein Konzernlenker verschwindet auf Monate. In den USA stehen viele demokratische Institutionen zwischen Regierung und Markt. Trumps Tweets bewegen die Kurse, ja – aber das System bleibt rechtsstaatlich. Sollte Trump wieder verschwinden, eröffnet sich schnell ein neues „window of opportunity“. In China dagegen ist die Partei dauerhaft im Sattel, der politische Einfluss auf Jahrzehnte zementiert. Dennoch: Wir erleben derzeit eine Börse, die stark von politischem Theater beeinflusst ist.
Sollte man sich daher aus US-Aktien zurückziehen?
Nicht zwingend, aber man muss differenzieren. Die Bewertung vieler US-Aktien ist deutlich überzogen, auch wegen der „Tech-Schieflage“ in globalen Indizes. Gleichzeitig sehen wir seit Jahresbeginn, dass Europa und selbst China besser performen als die USA. Europa bietet derzeit eine spannende Kombination aus Aufholpotenzial, konjunktureller Erholung und attraktiver Bewertung.
Wie beurteilen Sie den Dollar?
Ein schwacher Dollar schmerzt europäische Anleger, die stark in US-Titel investiert sind. Das spricht dafür, nicht blind auf den MSCI World zu setzen, der zu rund 70 Prozent aus US-Titeln besteht. Diversifikation über Europa und Schwellenländer ist sinnvoller.
Welche europäischen Branchen profitieren aktuell besonders?
Ein zentrales Thema ist die Industrie. Wir hatten global drei Jahre Industrierezession. Jetzt kommen erste Anzeichen der Erholung. Das spielt besonders den Unternehmen in Deutschland, Österreich und Osteuropa in die Karten, die stark von Industrie und Export abhängig sind. Gerade Osteuropa ist mit rund 30 Prozent Abschlag noch deutlich unterbewertet.
Und was heißt das für den Standort Österreich?
Die Wiener Börse ist stark zyklisch geprägt, mit Industrie und Banken. Sie hat eine lange Durststrecke hinter sich, aber gute Chancen auf eine überdurchschnittliche Erholung, wenn die Konjunktur weiter anzieht. Ich sehe gute Chancen, dass wir mittelfristig die 5.000-Punkte-Marke im ATX knacken werden.
Alle Folgen des Podcasts "Ziemlich gut veranlagt" hier zum Nachhören.
Ist China trotz Risiken ein sinnvoller Investmentcase?
Chinesische Aktien sind historisch niedrig bewertet. Politische Risiken sind da, aber Anleger stumpfen ab. Die große Nervosität wie früher scheint etwas gewichen.
Wie schätzen Sie Anleihen in der aktuellen Zinssituation ein?
Langläufer sind unattraktiv, weil kaum Spielraum für steigende Kurse da ist. Wenn die Zinsen wieder steigen, drohen Kursverluste. Interessanter sind Unternehmensanleihen guter Bonität aus Europa mit 3 bis 3,6 Prozent Rendite. Für konservative Anleger ein solides Produkt mit kalkulierbarem Risiko.
Welche Rolle spielen Edelmetalle wie Gold derzeit für Anleger?
Gold bleibt ein klassischer Angstindikator. In einem Rezessionsszenario mit fallenden Zinsen könnte Gold noch einmal deutlich zulegen. Eine Beimischung von 10 bis 15 Prozent im Depot bleibt sinnvoll.
Welche Funktion übernimmt Bitcoin aktuell im Portfolio-Mix?
Bitcoin verhält sich zunehmend wie eine Technologieaktie. Er ist eher ein Spekulationsvehikel für Übermut, nicht für Absicherung. Gold und Bitcoin stehen damit für zwei Gegensätze am Markt: Angst und Gier.
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