„Pensionssystem braucht dringend eine Reform“

Ralph Müller tritt für eine Stärkung der privaten und betrieblichen Vorsorge ein
Das österreichische Pensionssystem steht an der Kippe. Ralph Müller, Generaldirektor der Wiener Städtischen, warnt vor einer mangelnden Nachhaltigkeit der Finanzierung. Im Interview analysiert er die Schwachstellen und fordert dringend Reformen sowie eine stärkere private und betriebliche Vorsorge.
Als wie fit beurteilen Sie das heimische Pensionssystem?
Ralph Müller: Meiner Meinung nach braucht das österreichische Pensionssystem dringend eine Reform, weil es nicht nachhaltig ist. Das bestätigt nicht zuletzt auch die aktuelle Mercer-Studie, die staatliche und private Pensionssysteme von 48 Ländern verglichen hat – demnach ist es um unsere Vorsorgesysteme leider nicht sehr gut bestellt. Österreichs Altersversorgung liegt in der Gesamtbewertung, mangels schwacher betrieblicher und privater Säule, im Ländervergleich nur noch auf Platz 40. Was die Nachhaltigkeit unserer Altersversorgung betrifft, schneiden wir sogar am schlechtesten von allen Ländern ab. Grund dafür sind die steigenden Bundeszuschüsse zum Pensionssystem trotz zunehmender Budgetsorgen. Bereits 2024 floss in Summe ein Viertel der Steuereinnahmen ins Pensionssystem. 2027 soll es laut Mercer bereits ein Drittel, in Summe 35 Milliarden Euro, sein. Fazit der Untersuchung ist, dass sich Österreich nach wie vor zu sehr auf das staatliche Rentensystem verlässt und die betriebliche und private Vorsorgesäule vernachlässigt.
Das klingt alarmierend. Aber wie konnte es so weit kommen?
Die dringend notwendige Reform des staatlichen Pensionssystems hängt wie ein Damoklesschwert seit vielen Jahren über Österreich. Überalterung und der Rückgang der Geburtenrate – diese ist auf ein historisches Tief gesunken – setzen unser Pensionssystem stark unter Druck. Dass hier Handlungsbedarf besteht, darüber sind sich Experten seit Langem einig. Bisher haben die politischen Verantwortlichen jedoch noch keine Schritte gesetzt, um das System so zu reformieren, dass es zukunftsfit ist und die Adjektive nachhaltig und generationengerecht tatsächlich auch verdient.
Was muss also Ihrer Meinung nach jetzt passieren?
Es ist jetzt höchst an der Zeit, hier die entsprechenden Reformen zu starten, da ein Kaufkraftverlust im Alter nicht nur die Existenz jedes Einzelnen bedrohen kann, sondern auch die gesamte Volkswirtschaft negativ beeinflusst. Es ist meine feste Überzeugung, dass es nun sehr rasch Reformen geben muss, weil wir ansonsten nachfolgenden Generationen die wirtschaftliche Grundlage für ein lebenswertes Österreich entziehen. Und kommen diese Reformen nicht jetzt, werden die Einschnitte später umso härter ausfallen müssen. Denn klar ist, dass eine Umstellung ein sehr langfristiges Unterfangen ist.
Welche Folgen hätte es für Österreich, wenn weiter zugewartet werden würde?
Die Konsequenzen einer anhaltenden Tatenlosigkeit würden sich unmittelbar auf die Zukunftsfähigkeit unseres Landes auswirken. Der Staatshaushalt würde weiter massiv belastet, unsere Wettbewerbsfähigkeit zurückgehen, Forschung und Entwicklung würden die nötigen Mittel fehlen und Österreich damit mittel- bis langfristig weiter an Innovationskraft verlieren. Und, es würden uns, aufgrund weiter steigender Ausgleichszahlungen, die Budgets für wesentliche Zukunftsinvestitionen im Bereich des Gesundheitswesens, eine dringend notwendige Bildungsoffensive oder für die grüne Transformation schlichtweg fehlen.
Das sind keine schönen Aussichten. Aber wie könnte man jetzt konkret gegensteuern?
Ein entscheidender Baustein für ein tragfähiges Pensionssystem ist die Stärkung der privaten und betrieblichen Vorsorge, die einen wesentlichen Beitrag zur Entlastung der ersten Säule leisten können. Wie das erfolgreich umgesetzt werden kann, zeigen die skandinavischen Länder, wo Pensionisten hohe Ersatzraten bekommen, weil sich ihre Pensionen aus einem Mix aus staatlicher, betrieblicher und privater Vorsorge zusammensetzen. Durch die Konzentration auf die erste Säule und das weitgehende Verzichten auf die zweite und dritte Säule schaffen wir es nicht, aus dem weltweiten Kapitalmarkt Erträge nach Österreich zu bringen, die das System stabilisieren. Das ist jedoch umso wichtiger, je kleiner und älter eine Volkswirtschaft ist.
Warum hinkt Österreich in der Kapitalmarktveranlagung anderen Ländern so weit hinterher?
Das ist zum Teil auf die in Österreich noch vorhandene politische Einstellung zurückzuführen, dass alles abseits der staatlichen Pension gefährliche Spekulation am Kapitalmarkt sei. Das ist aber ein völliger Irrglaube, wie die Zahlen eines MSCI World bei einer langfristigen Betrachtung belegen. Exemplarisch zeigt sich das beim norwegischen Staatsfonds, der seit 1998 eine jährliche Rendite von mehr als sechs Prozent erwirtschaftet, und das trotz Dotcom-, Finanz- und Corona-Krise. Im Vorjahr erzielte er gar eine Rendite von rund 13 Prozent oder in absoluten Zahlen 210 Milliarden Euro. Angesichts dessen kann man der Politik nur raten: Stärker den Kapitalmarkt zu nutzen.
Was könnte eine neue Regierung als ersten Schritt in diese Richtung setzen?
Sehr einfach und rasch umzusetzen ist es, die Versicherungssteuer in der Lebensversicherung zu senken oder die Förderung in der betrieblichen Altersvorsorge von derzeit 300 Euro im Jahr substanziell zu erhöhen. Letztere wurde seit Mitte der 70er-Jahre nicht mehr valorisiert – das wäre jetzt dringend an der Zeit und würde dem Staat auch nicht viel kosten.
Ist die Notwendigkeit einer privaten Vorsorge bei den Menschen überhaupt angekommen?
Umfragen – wie unter anderem unsere jährliche Vorsorgestudie – zeigen, dass den Österreicher durchaus bewusst ist, dass die staatliche Pension künftig nicht mehr reichen wird. 86 Prozent der Befragten zwischen 16 und 65 Jahren sagen, dass für sie persönlich private finanzielle Vorsorge sehr wichtig ist. Vor allem junge Menschen glauben immer weniger daran, später einmal eine ausreichend hohe Pension vom Staat zu erhalten. Und: 6 von 10 Österreicher gehen davon aus, dass sie in der Pension weiterarbeiten müssen, um ihren gewohnten Lebensstandard im Alter halten zu können.
Und können Sie das steigende Bewusstsein auch anhand Ihrer Zahlen ablesen?
Ja, wir sehen eine deutliche Belebung des Neugeschäfts, das betrifft sowohl die klassische Lebensversicherung, die von den gestiegenen Zinsen profitiert, als auch die hybride und fondsgebundene Lebensversicherung. Diese hat im Vorjahr um mehr als 12 Prozent zugelegt.
Wie lautet also Ihr Fazit?
Angesichts der großen Herausforderungen ist es höchste Zeit, unser Pensionssystem auf ein gesundes und stabiles Fundament zu stellen. Ansonsten laufen wir Gefahr, den über Jahrzehnte erarbeiteten und aufgebauten Wohlstand im Land zu verspielen, anstatt Österreich für nachfolgende Generationen zukunftsfit und lebenswert zu erhalten. Dabei spielt die Förderung der privaten und betrieblichen Vorsorge eine ganz entscheidende Rolle, weil sie den Staatshaushalt entlasten kann und dem Einzelnen eine Zusatzpension sichert. Und wichtig dabei ist, dass eine finanzielle Vorsorge stets unabhängig von aktuellen Entwicklungen gesehen und vor allem langfristig gedacht werden muss, damit sie im Alter ihre volle Wirkung entfalten kann. Grundsätzlich gilt, wer früh beginnt, hat am Ende mehr.
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