Mitten im Kulturellen Wandel
Von Martin Mühl
Kunden der Finanzbranche suchen gerade in unsicheren Zeiten echte Begleitung und Beratung.
Wie entwickelt sich gerade das Zinsumfeld und was bedeutet das für die Banken und ihre Kunden?
Erich Mayer: Nach einer langen Phase historisch niedriger Zinsen haben wir in den vergangenen zwei Jahren einen rasanten Zinsanstieg erlebt. Mittlerweile sehen wir eine gewisse Stabilisierung, doch das Zinsniveau bleibt im Vergleich zur Vergangenheit hoch.
Für Banken bedeutet das einerseits steigende Erträge im Einlagengeschäft und attraktivere Sparprodukte für Kunden. Andererseits wird die Kreditvergabe anspruchsvoller: Finanzierungen sind teurer geworden, was insbesondere private Immobilienkäufer und Unternehmen belastet.
Versicherungen stehen zusätzlich vor der Herausforderung, ihre Kapitalanlagen neu zu positionieren, um Sicherheit und Rendite in Einklang zu bringen. Insgesamt erleben wir eine Rückkehr zu einem Umfeld, in dem die Zinsen wieder ein wichtiges Steuerungsinstrument darstellen – für Anleger, Kreditnehmer und die Institute selbst.
Große Auswirkungen haben auch die Inflation und die allgemeine wirtschaftliche Unsicherheit.
Inflation wirkt wie eine Doppelbelastung: Sie schmälert die Kaufkraft privater Haushalte und erhöht die Kosten für Unternehmen. Gleichzeitig erschwert sie die Verlässlichkeit bei langfristigen Planungen – sowohl für Banken und Versicherungen als auch für deren Kunden.
In einem solchen Umfeld steigt das Bedürfnis nach Sicherheit. Gleichzeitig sehen wir, dass Unsicherheit zu einer vorsichtigeren Haltung führt: Konsum und Investitionen werden verschoben.
Für die Branche bedeutet das, dass Beratung, Transparenz und Vertrauen wichtiger sind als je zuvor. Für Versicherungen bedeutet das wiederum, dass sich die Kosten für Schadensfälle deutlich verteuert haben.
Kann Finanzbildung hier helfen und Kunden selbstständiger machen?
Absolut. Finanzbildung ist ein Schlüssel, um Menschen in die Lage zu versetzen, fundierte Entscheidungen zu treffen – sei es bei Krediten, beim Vermögensaufbau oder bei Vorsorgeprodukten. Wer die Zusammenhänge zwischen Inflation, Zinsen, Risiko und Rendite versteht, kann Chancen und Risiken realistischer einschätzen.
Banken und Versicherungen haben dabei eine doppelte Verantwortung: Einerseits, verständlich zu informieren und Produkte nachvollziehbar darzustellen. Andererseits, proaktiv Bildungsinitiativen zu unterstützen – sei es in Schulen, im Rahmen von Workshops oder durch digitale Tools.
Mehr Finanzbildung stärkt nicht nur die Kunden, sondern auch die Stabilität des gesamten Finanzsystems.
Wie ändert sich die Kultur der Finanzbranche, wie kann diese auf die Bedürfnisse der Kunden eingehen?
Die Branche befindet sich mitten in einem kulturellen Wandel. Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Kundenorientierung sind längst keine Schlagworte mehr, sondern prägen das tägliche Geschäft. Kunden erwarten heute schnelle, transparente und individuelle Lösungen – und zwar sowohl digital als auch persönlich.
Für Banken und Versicherungen heißt das: die Prozesse müssen einfacher, die Produkte verständlicher und die Kommunikation offener werden. Die Kultur entwickelt sich noch mehr weg vom reinen Produktverkauf hin zu echter Begleitung und Partnerschaft.
Das bedeutet auch, stärker auf die Lebenssituationen der Menschen einzugehen – vom jungen Sparer bis zur Familie mit Baufinanzierung, vom Kleinunternehmen bis zum Pensionisten mit Vorsorgebedarf.
Wer als Institut diese Haltung glaubwürdig lebt, gewinnt Vertrauen und damit langfristige Stabilität.
Martin Mühl
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