KI treibt die Märkte aber noch nicht die Gewinne

Monika Rosen
Börsenexpertin Monika Rosen sieht 2026 Chancen durch Technologie und sinkende Zinsen, warnt jedoch davor, Risiken zu unterschätzen. Politische Einflussnahme und überzogene Erwartungen könnten Anlegern schaden.

Von Stephan Scopetta

Zinspolitik, KI-Boom und geopolitische Risiken bestimmen derzeit die Finanzmärkte. Welche Folgen das für Anleger hat und wo Chancen für 2026 liegen, erklärt Monika Rosen, Börsenexpertin und Vizepräsidentin der Österreichisch-Amerikanischen Gesellschaft im Interview.

Seit Donald Trump wieder US-Präsident ist, übt er verstärkt Druck auf die US-Notenbank aus. Welche Folgen hat diese Politisierung der Geldpolitik bereits heute und welche Auswirkungen erwarten Sie für die Märkte in den kommenden Jahren?

Monika Rosen: Durch die Zurufe von US-Präsident Trump hat die Geldpolitik der USA eine stark politische Färbung bekommen. Dabei geht es um das höchste Gut jeder Notenbank, nämlich ihre Unabhängigkeit. Das letzte Wort haben aber die Finanzmärkte. Wenn an den Märkten der Eindruck entsteht, dass der politische Einfluss auf die Geldpolitik zu stark wird, dann kommt es zu Reaktionen. 

Der Dollar könnte stärker abwerten, die Käufer von US-Staatsanleihen könnten höhere Zinsen verlangen. Spätestens dann wäre der Moment gekommen, in dem auch Trump zuhören würde. Das hat man bereits im April gesehen. Als die Renditen auf US Treasuries plötzlich drastisch angestiegen sind, hat er die Zölle für 90 Tage ausgesetzt.

Welche langfristigen Auswirkungen hat die Trump-Rhetorik auf die Politik der Federal Reserve?

In einer aktuellen Umfrage sieht eine deutliche Mehrheit von über 80 Prozent die Unabhängigkeit der Fed zumindest eingeschränkt, wenn nicht gefährdet. Mehr als die Hälfte erwartet langfristig höhere Inflation und geringeres Wachstum, drei Viertel einen schwächeren Dollar. Uneinigkeit besteht darüber, ob der politische Druck zu höheren oder niedrigeren Zinsen führen wird. 

Trump strebt zwar tiefere Zinsen an, doch sollte die Inflation steigen, müsste die Fed gegensteuern – mit dem paradoxen Ergebnis höherer Zinsen. Der Anleihenmarkt hat sich bereits positioniert: Die Renditen am langen Ende sind gestiegen, nicht nur in den USA, sondern auch in Europa und Japan. Offenbar rechnet der Markt mit einer lockeren Geldpolitik und reagiert auf den hohen Schuldenstand dies- und jenseits des Atlantiks – mit vorweggenommenen höheren Zinsen.

Im Jahr 2026 steht auch die Neubesetzung an der Spitze der US-Notenbank an. Welche Bedeutung messen Sie diesem Wechsel für die Kapitalmärkte bei?

Der potenzielle Nachfolger von Powell wird unter einem enormen Glaubwürdigkeitsdruck leiden. Egal was er oder sie tut, man wird es unter dem Blickwinkel der Einflussnahme von Trump sehen. Das hat sich ja bereits bei der Zinssenkung der Fed im September gezeigt. 

Da stellten viele die Frage, ob diese von der Datenlage gerechtfertigt war, oder ob sie de facto einen Kniefall vor dem Weißen Haus darstellt. Derartige Diskussionen werden wohl unter dem Nachfolger von Powell nicht weniger werden.

Wie beurteilen Sie die aktuelle Zinspolitik der Fed und mit welchen Entwicklungen rechnen Sie in den kommenden Monaten?

Im Gegensatz zu den meisten Notenbanken, die nur die Preisstabilität als Ziel haben, verfolgt die Fed zwei Ziele, nämlich Preisstabilität und Vollbeschäftigung. Während die US-Inflation weiter beharrlich vom Zielwert der Fed, nämlich zwei Prozent, entfernt ist, zeigt der Arbeitsmarkt zuletzt massive Schleifspuren. 

Die Anzahl der neugeschaffenen Stellen enttäuscht seit mehreren Monaten, insofern hielt die Fed im September eine Zinssenkung um 25 Basispunkte für gerechtfertigt. Was den weiteren Lockerungspfad betrifft, so sind sich die meisten Beobachter einig, dass es zu weiteren Zinssenkungen kommen wird. Wie viele es sein werden, darüber scheiden sich allerdings die Geister.

Wie wird die EZB in den nächsten Monaten reagieren?

Diese scheint sich im Moment mit dem Niveau der Leitzinsen offenbar wohlzufühlen, auch da die Inflation in der Eurozone insgesamt nahe am Zwei-Prozent-Ziel der EZB liegt. Insofern sind manche Experten der Meinung, dass der aktuelle Lockerungszyklus in der Eurozone zu Ende ist. 

Andere erwarten gegen Jahresende noch eine Senkung um 25 Basispunkte. Die Zollpolitik der USA und der starke Euro könnten das Wachstum ausreichend belasten, um einen derartigen Schritt zu rechtfertigen.

Welche Folgen das aktuelle Zinsumfeld für die Anleihen und die Aktienmärkte?

An den Rentenmärkten sind die Renditen am langen Ende weltweit gestiegen. Anleger befürchten, dass eine zu lockere Geldpolitik die Inflation anheizen könnte. Auch die US-Zollpolitik wirkt in diese Richtung. Zugleich belasten steigende Ausgaben, etwa für Verteidigung und Sicherheit in Europa, die Budgets – was höhere Zinsen nach sich ziehen kann. 

An den Aktienmärkten hat die Zinssenkung der US-Notenbank im September neben dem anhaltenden KI-Boom zusätzlichen Schwung gebracht. Doch nach den kräftigen Kursgewinnen in diesem Jahr könnte eine Enttäuschung über die Geldpolitik – etwa weniger US-Zinssenkungen als erwartet – zum Party-Schreck werden.

An der Wall Street prägten die „Magnificent 7“ – also Apple, Microsoft, Alphabet, Amazon, Meta, Tesla und Nvidia – auch 2025 das Geschehen. Bleibt diese Dominanz bestehen, oder wird der Markt wieder breiter?

Die „Mag 7“ haben über weite Strecken des Jahres keine Outperformance gezeigt; erst im Herbst haben sie wieder gegenüber dem S&P 500 aufgeholt. Gleichzeitig gewinnen neue KI-Akteure wie Palantir oder Broadcom an Bedeutung, obwohl sie nicht zu dieser Gruppe zählen. 

Die Wall Street bleibt überzeugt vom Potenzial der Künstlichen Intelligenz – Kapital fließt in großem Stil in den Sektor. Doch viele Unternehmen setzen nach wie vor auf Wachstum statt Gewinn. Entscheidend wird sein, wann Anleger reale Erträge sehen wollen – und ob sich die hohen Bewertungen rechtfertigen lassen.

Im Technologiesektor erleben wir derzeit einen massiven KI-Investitionszyklus. Wo sehen Sie Chancen und wo lauern die größten Risiken? 

Der KI-Boom ist der Motor hinter der aktuellen Marktdynamik, aber auch ihre größte Unbekannte. Anders als zur Jahrtausendwende, als Privatanleger die Dotcom-Blase trieben, stammt das Kapital heute von den großen Tech-Konzernen selbst. 

Alphabet, Meta oder Nvidia investieren Milliarden, obwohl die Technologie bislang kaum Gewinne abwirft. Nvidia etwa stellt 100 Milliarden Dollar für Rechenzentren des ChatGPT-Entwicklers OpenAI bereit – mit einer geplanten Leistung von zehn Gigawatt, dem Energieverbrauch einer Metropole wie New York. Das zeigt: Die Erwartungen sind gigantisch, doch auch das Risiko, dass der Return on Investment länger auf sich warten lässt.

Gold hat Rekordhöhen erreicht. Welche Chancen und Risiken sehen Sie derzeit im gelben Edelmetall?

Gold zählt heuer zu den besten Anlageklassen und hat in den ersten neun Monaten rund 50 Prozent zugelegt. Dahinter stehen geopolitische Spannungen und die beginnenden Zinssenkungen in den USA. Da Gold keine Zinsen abwirft, wird es bei sinkenden Zinsen attraktiver. 

Auch der schwächere Dollar stützt den Preis, weil Gold für Anleger außerhalb des Dollarraums günstiger wird. Zudem kaufen viele Notenbanken, vor allem in Asien, weiter zu. Nach dem rasanten Anstieg ist jedoch mit Gewinnmitnahmen und einer möglichen Konsolidierung zu rechnen.

Welche Rolle spielen Öl- und Rohstoffpreise für Inflation und Wachstum im kommenden Jahr?

Für 2026 erwarten die meisten Experten keine starken Anstiege beim Ölpreis. Die OPEC erhöht weiterhin ihre Fördermengen, während die Nachfrage nur moderat wachsen dürfte. Das Konjunkturtempo in den großen Verbraucherländern bleibt verhalten, und der Übergang zu erneuerbaren Energien dämpft den Bedarf an fossilen Brennstoffen. 

Für Europa bleibt die Verringerung der Abhängigkeit von Russland eine zentrale Aufgabe. In Bezug auf die Inflation gilt derzeit weniger die Energie als vielmehr das Thema Zölle als größeres Risiko.

Geopolitische Konflikte – von der Ukraine bis zum Nahen Osten – beschäftigen die Märkte täglich. Wie stark sind solche Risiken bereits eingepreist?

Viele Beobachter sind überzeugt, dass geopolitische Krisen, wie in der Ukraine oder im Nahen Osten, derzeit von den Märkten unterschätzt werden. Zwar bleiben die Fundamentaldaten ausschlaggebend, und das Sprichwort „politische Börsen haben kurze Beine“ gilt weiterhin. Sollte sich die Lage aber zuspitzen, würde sich die derzeitige Gelassenheit der Anleger rasch ändern.

Welche Perspektiven sehen Sie für China und andere Schwellenländer – eröffnen sich neue Chancen oder überwiegen die Risiken?

Nach einer längeren Schwächephase zeigen die Emerging Markets heuer wieder Stärke, getragen auch von der guten Performance der chinesischen Börse, die rund zwei Drittel des MSCI Emerging Markets Index ausmacht. 

Diese Märkte profitieren von der geldpolitischen Lockerung in den USA, einem schwächeren Dollar und vom wieder erwachten Risikoappetit der Anleger. Zudem sind viele internationale Fonds in Schwellenländern noch untergewichtet, was zusätzliches Aufholpotenzial schafft.

Europa hinkt den USA am Kapitalmarkt hinterher. Wo kann es 2026 aufholen, wo hakt es noch?

In der EU finanzieren sich Unternehmen zu rund 70 Prozent über Banken und nur zu 30 Prozent über den Kapitalmarkt, in den USA ist es genau umgekehrt. Mittelfristig sollte auch Europa ein ausgewogeneres Verhältnis von etwa 50 zu 50 anstreben. Eine echte Kapitalmarktkultur fehlt hier bislang. 

Wünschenswert wäre, dass mehr Menschen am wirtschaftlichen Erfolg teilhaben können – etwa über die Börse. Dafür müsste der Kapitalmarkt allerdings sein negatives Image ablegen, das er in vielen Bereichen, auch in der Popkultur, noch immer hat. Entscheidend wäre, die Börse als Erfolgsmodell zu vermitteln, ähnlich wie in den USA mit den großen Tech-Unternehmen.

Zum Schluss: Welche drei Empfehlungen geben Sie Anlegern, um sich für das kommende Jahr gut zu positionieren?

Die Grundregeln bleiben unverändert: Erstens, eine klare und langfristig durchdachte Strategie verfolgen – idealerweise in Abstimmung mit einem Berater. Zweitens, bei Marktkorrekturen Ruhe bewahren. Und drittens, nie alles auf eine Karte setzen, sondern breit diversifizieren.

Stephan Scoppetta

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