„Die Party kann noch weitergehen“

Gunter Deuber
Raiffeisen-Chefanalyst Gunter Deuber über teure Aktien, hohe Staatsschulden und die Zollpolitik von US-Präsident Donald Trump.

Von Martin Kwauka

Der Ausblick des Chefanalysten von Raiffeisen.

Die US-Börsen eilen heuer von einem Rekord zu Rekord. Wie weit können die Kurse 2026 noch steigen?

Gunter Deuber: An der US-Börse Nasdaq haben wir inzwischen Bewertungen erreicht, die höher sind als bei der Dotcom-Blase im Jahr 2000. Das kann noch eine Weile gut gehen, aber es stimmt uns vorsichtiger auf 12-Monatssicht. Im Moment ist die Aussicht auf weiter sinkende US-Zinsen neben der Künstliche-Intelligenz-Fantasie einer der Treiber der Börsen. 

Wir sehen die US-Leitzinsen 2026 bis leicht unter drei Prozent fallen. Das könnte zu viel sein und dort die Inflation ankurbeln. Bis ins Jahr 2026 hinein sollte aber die aktuelle Übertreibungsfantasie der Anleger noch die Börsen stützen, die Party kann noch weitergehen.

Ist bei Anleihen noch mehr Luft?

Wir glauben an höhere Zinsen für Euro- und US-Staatsanleihen, zum Beispiel erwarten wir, dass die zehnjährigen deutschen Bundesanleihen im Jahresverlauf 2026 Richtung drei Prozent gehen. Bei den Unternehmensanleihen sind die Risikoaufschläge gegenüber Staatsanleihen auf absolutem Rekordtief, die Renditen aber auskömmlich für Anleger zum Kaufkrafterhalt. 

Das liegt aber auch daran, dass das Risiko von Staatsanleihen steigt, vor allem bei langen Laufzeiten. Wir sehen aktuell Staatsanleihen als riskanter und schwankungsanfälliger als Unternehmensanleihen. Wir werden nämlich um weitere Diskussionen über die wachsenden und weniger tragfähigen Staatsschulden dies- und jenseits des Atlantiks nicht herumkommen.

Wie gefährlich ist die Lage in Frankreich? 

Dort gibt es ein innenpolitisches Patt, der Staat muss daher oft höhere Zinsen für Staatsanleihen als Italien zahlen. Wir sehen die Zinsen in Frankreich Richtung vier Prozent steigen, das wird 2026 ein Thema bleiben. Es können sich inzwischen sogar solide französische Banken und Unternehmen günstiger finanzieren als der Staat. 

Von fundamental nicht gerechtfertigten Finanzmarktverspannungen kann man nicht sprechen. Deshalb kann die Europäische Zentralbank nicht wirklich eingreifen, um Frankreich zu helfen. Das wird eine Hängepartie bleiben.

Wird der Euro zum US-Dollar weiter steigen? Wir sehen den Euro in der Tendenz stärker und einen Kurs von mindestens 1,20 oder höher zum Dollar. Wachsende Sorgen um Frankreich könnten den Euro belasten.

Wie sollen Anleger jetzt reagieren?

Klar ist, dass vor allem die US-Technologieaktien sehr teuer sind. Ich würde US-Tech-Aktien nicht mehr neu kaufen. Dort liegt für 2025 das Kurs-Gewinnverhältnis (KGV) laut Durchschnittsschätzung der Analysten bei 31. Die große Frage ist außerdem, ob nicht die Schätzungen für das Gewinnwachstum zu optimistisch sind. Hier werden für heuer rund 20 Prozent und für 2026 weitere 16 Prozent prognostiziert. 

Das ist schon sportlich. Außerdem gibt es für Euro-Investoren das Wechselkursthema. Heuer hat der schwache Dollar Euro-Anleger, die in den USA investiert sind, schon rund 12 Prozent gekostet. 2026 könnten noch einmal fünf Prozent dazu kommen. Europäische Aktien sind nicht so hoch bewertet und haben noch Potenzial.

Was ist mit Österreich-Aktien? 

Der ATX TR, also der Österreich-Index mit eingerechneten Dividenden, ist heuer bereits um 34 Prozent gestiegen und ist gemessen am KGV immer noch günstig. Langfristig waren US-Aktien rund 20 Prozent teurer als europäische. Bis Ende 2024 war der Aufschlag auf fast 70 hochgeschnellt. 

Jetzt sind es immer noch rund 50 Prozent. Der ATX war zusätzlich noch gegenüber dem europäischen Durchschnitt spottbillig, 2020 waren es 70 Prozent Abschlag. Von diesem absoluten Tiefpunkt hat die Wiener Börse wieder teilweise aufgeholt. Günstig bewertete Märkte schneiden in Spätphasen eines Börsenbooms meist besonders gut. Davon profitiert Deutschland heuer und Österreich sogar noch stärker.

Was ist mit den massiven Zollbelastungen durch US-Präsident Donald Trump? 

Die Börsen, zum Beispiel in Deutschland, reagieren ziemlich gelassen.Mit den derzeitigen 15 Prozent für Europa haben sich die Märkte abgefunden, die sind verdaubar. Der größte Unsicherheitsfaktor ist, dass zusätzliche Maßnahmen zu Ungunsten von Europa auf den Tisch kommen. Im Herbst 2026 sind die Midterm-Wahlen in den USA. Davor könnte Präsident Trump noch einmal hektisch reagieren. Ganz generell sind Jahre mit diesen US-Halbzeit-Wahlen schwierige Zeiten für Börsen.

Wir nähern uns dem Ende eines langen Börsebooms. Ein Rückschlag ist irgendwann fällig. Was können Anleger innerhalb von fünf Jahren erwarten?

Wenn es angesichts der hohen Bewertungen rein nach theoretischen Modellen ginge, müsste man bei Aktien von negativen Renditen ausgehen, vor allem für die USA. Aber die reine Theorie gilt an der Börse wenig, es gibt auch viele positive Sonderfaktoren. In Europa sieht die Lage ohnehin besser aus. Klar ist, dass man mit ausgewogenen Depots aus Aktien und Anleihen wieder gute Renditen erzielt. Mit Unternehmensanleihen sind fünf bis sechs Prozent pro Jahr möglich. Wer mehr als 70 Prozent Aktien hält, sollte sich überlegen, wieder stärker auszubalancieren.

Wie werden sich 2026 die Zinsen in Europa entwickeln?

Wir sehen die Leitzinsen der EZB stabil bei zwei Prozent. Gegen Ende 2026 oder Anfang 2027 könnte aber die Idee von Zinserhöhungen auftauchen. Wenn die Industriekonjunktur anzieht, ist die Frage, ob die Inflation in Europa nicht wieder leicht nach oben geht.

Die kurzfristigen Euribor-Zinsen, an der sich viele Immobilienkredite orientieren, liegen schon jetzt höher als zwei Prozent. Warum?

Die EZB nimmt seit längerem Liquidität aus dem Markt. Kurzfristiges Geld wird knapper und deshalb teurer. Der Preisaufschlag des Euribors gegenüber den Leitzinsen könnte 2026 noch weiter steigen.

Empfehlen Sie Kreditnehmern jetzt variable oder fixe Zinsen?

Die Konditionen liegen derzeit nahe beieinander. Die Risiken der variablen und fixen Zinsen sind in den nächsten zwei Jahren nach oben gerichtet. Wenn ich kaum Puffer habe, würde ich fixe Zinsen bevorzugen. Dort sind wir immer noch auf gutem Niveau, die langfristigen Kapitalmarktzinsen sind nicht sehr hoch im Vergleich zum Leitzins. Bei variablen Zinsen kann man attraktive Konditionen bekommen, wenn man vorzeitige Sondertilgungen fest vereinbart.

Was sind Ihre Erwartungen bei den Preisen von Wohnimmobilien?

Seit 2022 sind die Preise im breiten Durchschnitt um fünf Prozent gesunken. Beim Neubau ziehen sie teilweise wieder an, während es bei gebrauchten Immobilien hier und da noch nach unten gehen kann. 

Von Martin Kwauka

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