,,Der Stillstand in der Pensionspolitik ist spürbar"

Ralph Müller
Ralph Müller, Generaldirektor der Wiener Städtischen Versicherung, über die Zukunft des Pensionssystems, die Bedeutung privater Vorsorge und den demografischen Wandel.

Das österreichische Pensionssystem steht unter Druck, gleichzeitig verändern Klimarisiken, Digitalisierung und Gesundheitsfragen die Versicherungswelt. Ralph Müller, Generaldirektor der Wiener Städtischen, spricht über Reformbedarf, Verantwortung und Chancen für private Vorsorge.

Die Reform des Pensionssystems wird derzeit intensiv diskutiert. Welche Vorschläge halten Sie für sinnvoll?

Ralph Müller: Der Stillstand in der Pensionspolitik ist seit Jahren spürbar und auch die zuletzt gesetzten Reformen waren bestenfalls kosmetischer Natur. Was es wirklich braucht, sind entschlossene Schritte: etwa eine Anpassung des Pensionsantrittsalters und die stärkere Einbindung kapitalmarktbasierter Lösungen. 

Denn wenn in Zukunft nur noch zwei Erwerbstätige eine Pension finanzieren, stößt das staatliche System unweigerlich an seine Grenzen. Aus diesen Gründen ist die private Altersvorsorge wichtiger denn je.

Viele Menschen zweifeln an der staatlichen Pension. Wie kann die Versicherungsbranche Vertrauen zurückgewinnen?

Viele Österreicher sind unsicher, ob das staatliche Pensionssystem ihren Lebensstandard im Alter sichern kann. Umso erfreulicher ist es, dass das Vertrauen in die private Altersvorsorge seit 2016 um 60 Prozent gestiegen ist. 

Für mehr als zwei Drittel der Österreicher ist sie heute ein zentraler Baustein ihrer finanziellen Absicherung im Alter – und damit längst keine Nische mehr, sondern eine verlässliche und tragfähige Ergänzung zum staatlichen System.

Neben der staatlichen Pension gewinnen betriebliche und private Vorsorge an Bedeutung. Welche Produkte wollen Sie hier forcieren?

Wir setzen klar auf einen Mix der drei Säulen – staatlich, betrieblich und privat –, denn Diversifikation ist der Schlüssel zu einer stabilen Altersvorsorge. Die staatliche Pension bleibt der Grundpfeiler, aber betriebliche und private Lösungen gewinnen massiv an Bedeutung. Entscheidend ist dabei immer die individuelle Beratung, bei der die jeweilige Situation analysiert wird, Ziele definiert und so die passenden Vorsorgelösungen gefunden werden. 

Als Einstieg eignet sich etwa die prämienbegünstigte Zukunftsvorsorge, darauf aufbauend bieten wir fondsgebundene oder hybride Lebensversicherungen – je nach Lebensphase, Zielen und Risikobereitschaft – an. 

Junge Menschen können stärker in den Kapitalmarkt investieren, während Ältere sicherheitsorientierter planen sollten.

Was sollte die Politik tun, um die zweite und dritte Säule attraktiver zu machen?

Die demografische Entwicklung zeigt sehr klar: Immer mehr Menschen verbringen deutlich mehr Jahre in Pension, während immer weniger Erwerbstätige die staatlichen Pensionen finanzieren. Umso wichtiger ist es, die zweite und dritte Säule spürbar zu stärken. 

Vorbilder finden wir in Skandinavien, wo ein ausgewogener Mix aus staatlicher, betrieblicher und privater Vorsorge für ein hohes Pensionsniveau und Stabilität sorgt. Von der Politik braucht es daher konkrete Maßnahmen: etwa die Halbierung der Versicherungssteuer, steuerliche Anreize für nachhaltige Veranlagungen oder die Valorisierung der Förderung in der betrieblichen Altersvorsorge. 

Das wären Signale mit großer Wirkung – bei vergleichsweise geringem Budgetaufwand – und würden private und betriebliche Vorsorge für breite Bevölkerungsschichten attraktiver machen.

Private Gesundheitsvorsorge boomt. Ist das staatliche System am Limit?

Das öffentliche Gesundheitssystem in Österreich leistet nach wie vor einen entscheidenden Beitrag zur medizinischen Versorgung der Bevölkerung. Gleichzeitig zeigt sich jedoch, dass es in manchen Bereichen zunehmend unter Druck gerät. 

Unsere aktuelle Gesundheitsstudie macht deutlich: Rund jeder Zweite ist mit dem öffentlichen System zufrieden, dennoch nehmen 45 Prozent eine Verschlechterung in den vergangenen zwölf Monaten wahr. Besonders häufig genannt wurden längere Wartezeiten sowie die eingeschränkte Verfügbarkeit von Kassenärzten. 

Über ein Drittel der Befragten gab an, bei Fachärzten mit Kassenvertrag länger als zwei Monate warten zu müssen. Diese Ergebnisse verdeutlichen, warum viele Menschen private Vorsorge als sinnvolle Ergänzung betrachten – sie schafft zusätzliche Möglichkeiten und entlastet gleichzeitig das öffentliche System.

Klimawandel und Naturkatastrophen belasten die Branche. Wie rüstet sich die Wiener Städtische dafür?

Der Klimawandel mit seinen zunehmenden Extremwetterereignissen stellt die Versicherungsbranche vor große Herausforderungen. Auch wenn die Schadenszahlen heuer geringer ausfallen, gehen wir aufgrund der steigenden Temperaturen künftig von mehr Starkregen, Stürmen und auch Hagelereignissen aus. 

Für die Wiener Städtische ist klar, dass wir uns und unsere Kunden darauf vorbereiten müssen: Wir investieren in Prävention und Aufklärung, um Menschen und Unternehmen bestmöglich zu schützen. 

Ein jährlicher Polizzencheck stellt sicher, dass die Versicherungssumme aktuell bleibt und keine Unterversicherung entsteht.

Digitalisierung verändert die Versicherungswelt. Welche Innovationen planen Sie und wie sichern Sie persönliche Beratung?

Die Digitalisierung verändert die Kundenerwartungen und schafft den Wunsch nach einfachen, schnellen und transparenten Lösungen, die jederzeit und überall verfügbar sind. Deshalb investieren wir in digitale Services, wie unsere Kunden-App „losleben“, mit der Verträge und Polizzen rund um die Uhr verfügbar sind, oder die Möglichkeit besteht, Schäden online einzureichen und den Status in Echtzeit zu verfolgen. 

Gleichzeitig sind wir überzeugt, dass persönliche Beratung unverzichtbar bleibt, gerade bei komplexen Themen wie Vorsorge oder Absicherung von Risiken. Unser Ansatz ist daher ein klares „Sowohl-als-auch“: Wir verbinden digitale Innovation mit der persönlichen Stärke unserer Berater.

Nachhaltige Veranlagung gewinnt an Bedeutung. Welche Rolle spielt Green Finance bei Ihren Investments und Produkten?

Wir übernehmen Verantwortung, indem wir uns schrittweise aus besonders CO2-intensiven Branchen wie der Öl- und Gasförderung zurückziehen und stattdessen gezielt in Zukunftsbereiche investieren, etwa in Solar- und Windparks oder in nachhaltige Infrastrukturprojekte. 

Einen besonderen Schwerpunkt legen wir zudem auf Immobilien: Als Investorin fördern wir innovative Bauweisen wie Photovoltaikanlagen oder Dachbegrünungen, um den Energieverbrauch zu senken. 

Gleichzeitig möchten wir auch unseren Kunden die Möglichkeit geben, aktiv zu einer nachhaltigeren Zukunft beizutragen. So bieten wir Produkte wie unsere fondsgebundene Lebensversicherung an, die ein weiteres Mal mit dem Österreichischen Umweltzeichen ausgezeichnet wurde.

Stephan Scoppetta

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