Wiener Schüler trotzen mit Fäusten dem Radikalismus

Gemeinsam gegen Extremismus in der Mittelschule Kagran, in die viele Schüler mit Migrationshintergrund gehen.
Ein Projekt gegen Extremismus brachte am Donnerstag Jugendliche und Prominente zusammen. Es wurde diskutiert und geboxt.

Hunderte Schüler sitzen gebannt am Turnsaalboden. Wenig später werden sie ein Boxtraining absolvieren. Jetzt aber lauschen sie im Schneidersitz jedem Wort der jungen Frau, die vor ihnen steht. Es ist aber keine Sportlehrerin, die hier spricht, sondern Christina Feist. Sie hat 2019 den antisemitischen Terroranschlag im deutschen Halle überlebt. „Ich dachte nur, du stirbst nicht alleine“, beschreibt sie sichtlich ergriffen den Moment, als sie kurz nach Beginn des Attentats einem Freund aus dem Gebetssaal folgte, um den Synagogeneingang zu verbarrikadieren.

Vielleicht auch wegen dieser Zivilcourage ist die gebürtige Wienerin überhaupt noch in der Lage, vor den Schülern der Mittelschule Kagran über die Risiken der Radikalisierung zu sprechen.

„Nicht im Namen Gottes“

Mut, gegen Extremismus aufzustehen, ist in der Schule aber schon länger Thema. Genau genommen seit 2016. Damals startete dort das Wiener Anti-Radikalisierungsprojekt „Not in God’s Name“. Erfolgreiche Sportler mit Migrationshintergrund kommen dabei in Schulen, um Jugendliche mit unterschiedlichen kulturellen und religiösen Wurzeln beim Training zusammenzubringen. Dabei wird auch über Gefahren der Radikalisierung aufgeklärt.

Derart prominente Teilnehmer wie am Donnerstag sind aber die Ausnahme. Neben Feist ist die Bundesministerin für EU und Verfassung, Karoline Edtstadler (ÖVP) zu Gast. Eindringlich appelliert sie an die Schüler: „Jede und jeder kann einen Unterschied im Kampf gegen Extremismus und Antisemitismus machen.“

„Wien ist Wien wegen euch“

Viel Applaus erhält der Vize-Präsident der israelitischen Kultusgemeinde, Michael Galibov, als er sich emotional an die Schüler wendet: „Wien ist Wien wegen euch, auch wenn manche Politiker etwas anderes sagen.“ Speziell die älteren Schüler, die den aktuellen Rassismus-Eklat rund um den niederösterreichischen FPÖ-Landtagsabgeordneten Gottfried Waldhäusl mitbekommen haben dürften, klatschen laut.

Aber auch die Jüngsten kommen zu Wort. Zweitklässler Benjamin etwa erzählt von der Angst, die seine Mutter und er hatten, als seine Schwester während des Wiener Terroranschlags in der Innenstadt ausharren musste. Eine Klassenkameradin diskutiert, wie solche Tragödien verhindert werden können.

Dann aber, als die bis dahin disziplinierten Schüler langsam unruhig werden, geht es an den aktiven Teil. Die Profisportler übernehmen und teilen die Schüler in Gruppen. Es wird mobilisiert, gekräftigt und schließlich geboxt – aber nicht gegeneinander, sondern in die Luft. Mit der Radikalisierung ist der Feind hier aber ohnehin ein anderer. Markus Strohmayer

Kommentare