Profane Kathedrale: Ausstellung zu Architektur und Geschichte des Wiener Rathauses

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Das Rathaus ist wie Wien: groß, etwas abweisend und moderner, als es aussieht. Eine Ausstellung in der Wienbibliothek widmet sich dem ersten Haus am Platz.

Die neugotische Architektur mit ihrer steinernen Fassade, den bunten Fenstern, dem mächtigen Turm und den vielen kleinen Türmchen und Skulpturen gibt dem 1883 eröffneten Wiener Rathaus einen sakralen Charakter. Und tatsächlich ist der Bau so etwas wie die profane Kathedrale der Stadt.

Hinten, im Gemeinderatssitzungssaal, fallen die politischen Entscheidungen; vorne, im 70 Meter langen Festsaal, kommen die Bürgerinnen und Bürger der Stadt auf Bällen oder Messen zusammen. In den mehr als 1.500 weiteren Räumen des Gebäudes wird die Stadt verwaltet. Neben den Büros des Bürgermeisters, mehrerer Stadträte und der Magistratsdirektion befinden sich im Rathaus unter anderem auch die Stadthauptkasse und die Wienbibliothek, die drittgrößte Drucksachensammlung der Stadt (nach Nationalbibliothek und Universitätsbibliothek).

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Architekt Friedrich Schmidt hat 35 Kirchen gebaut, hauptsächlich in Deutschland. In Wien hat er nicht nur das Rathaus, sondern auch das Akademische Gymnasium gebaut - und er war Dombaumeister von St. Stephan. 

Dort eröffnet kommende Woche die Ausstellung „Monument der Stadt. Rathaus Wien“, die sich mit der Geschichte des Hauses und mit dessen Architekten Friedrich Schmidt (200. Geburtstag am 22. Oktober) beschäftigt. Schmidt hat 35 Kirchen (die meisten in Deutschland) gebaut, war 30 Jahre lang Dombaumeister von St. Stephan und hat in Wien neben dem Rathaus unter anderem auch das Akademische Gymnasium entworfen. „Es geht uns auch darum, ihn bekannter zu machen“, sagt Gerhard Murauer von der Wienbibliothek, der die Ausstellung zusammen mit Andreas Nierhaus vom Wien Museum kuratiert hat.

„Vermeintlich selbstverständliche Dinge wie das Rathaus ein bissl anders anzuschauen, finde ich immer interessant“, sagt Nierhaus.

Friedrich Schmidt hatte das Rathaus ursprünglich für den heutigen Parkring, vis-à-vis vom Stadtpark, entworfen. Erst der seit 1868 regierende Bürgermeister Cajetan Felder hatte die städtebauliche Königsidee, es am sogenannten Parade- und Exerzierplatz – einer großen Freifläche – zu bauen; und es gelang ihm, den Kaiser von der Umwidmung zu überzeugen. Zusammen mit den gleichzeitig errichteten Gebäuden für Reichsrat (heute Parlament) und Universität entstand so ein bürgerliches Gegenstück zum Kaiserforum (Hofburg, Museen).

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Ursprünglich sollte das Rathaus vis-à-vis vom Stadtpark stehen. Im Bild: ein Entwurf aus dem Jahr 1870.

Die Steine sprechen

Architekt Schmidt, der vom neuen Standort anfangs übrigens gar nicht begeistert war, hatte seinen Entwurf unter das lateinische Motto „Saxa loquuntur“ („Die Steine sprechen“) gestellt. Das Rathaus sollte auch die Geschichte der Stadt erzählen. An der Fassade finden sich 76 Figuren; einige stehen für die Vorstädte, andere für die Kronländer; manche stellen Allegorien dar, andere repräsentieren Berufsstände. „Das war auch Arbeitsbeschaffung“, weiß Kurator Nierhaus. „Die Stadt sah sich in der Verantwortung, ihren Künstlern Arbeit zu geben.“

In den vergangenen 25 Jahren wurde das Dach erneuert und die Fassade – erstmals in der Geschichte des Rathauses – generalsaniert. Jetzt sollte wieder für ein paar Jahrzehnte Ruhe sein. Obwohl: Ganz fertig ist so ein Bau nie. „Wir haben hier ständig zu tun“, sagt Stefan Novotny, der als Leiter der Infrastrukturdienste in der MA 34 (Bau- und Gebäudemanagement) im Rathaus eine Art Superhausmeister ist.

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Stefan Novotny ist als Leiter der Infrastrukturdienste dafür verantwortlich, dass im Rathaus das Werkl rennt. 

Der 64-jährige Techniker ist dafür zuständig, dass das Rathaus gereinigt, gewartet, in Schuss gehalten wird; rund 150 Menschen sind damit beschäftigt. Es gibt zwei Werkstätten im Rathaus, eine für Heizung bzw. Lüftung und eine für Schlosser- und Tapeziererarbeiten. Früher gab es im Keller sogar ein Kohlekraftwerk, das Rathaus war eines der ersten elektrifizierten Gebäude Wiens.

„Das Haus ist sehr weitblickend gebaut worden“, sagt Novotny. Zum Beispiel wurden Zwischenebenen eingeplant, die es jetzt einfach machen, Glasfaserkabel fürs Internet oder Rohre für die Fernkälte zu verlegen. „Technisch sind wir up to date.“

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Mit seiner neugotischen Formensprache erinnert das Rathaus stark an einen Sakralbau. Im Bild: die Feststiege im Jahr 1884.

Gesamtkunstwerk Rathaus

Friedrich Schmidt hat das Rathaus als Gesamtkunstwerk entworfen, bis zu den Türschnallen und den Lustern sollte alles seine Handschrift tragen. Wobei er – Architektenschicksal – Abstriche machen musste. Die nicht öffentlich zugänglichen Räume sind deutlich weniger aufwendig gestaltet als die für alle sichtbaren. „Das Raffinierte an dem Konzept ist, dass sich die verschiedenen Funktionen des Gebäudes nicht beeinflussen“, sagt Gerhard Murauer. „Sie können auf einen Ball gehen und merken nicht, dass Sie sich in einem riesigen Verwaltungsgebäude befinden. Die Eventkultur des 21. Jahrhunderts passt da perfekt hinein.“

Eröffnet wurde das Rathaus seinerzeit als „Neues Rathaus“, bis 1960 war das sein offizieller Name. Neu ist es nicht mehr. Aber wer hinter die Fassaden schaut, weiß: Das Wiener Rathaus ist jünger, als man denkt.

Die Ausstellung
„Monument der Stadt. Rathaus Wien“. Wienbibliothek im Rathaus, 
23. 10. bis 30. 4., geöffnet Mo bis Do  9–19 Uhr, Fr 9–17 Uhr, Eintritt frei. 
Eröffnung: 22. 10., 18.30 Uhr.
Info: wienbibliothek.at  

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