Wiener Missbrauchsfall: Zeuge belastet möglichen Mittäter
Im Missbrauchsfall um einen Sportlehrer an einer Wiener Mittelschule, der bis zu seinem Suizid im Mai 2019 mindestens 40 unmündige Buben missbraucht haben dürfte, liegt der APA die Aussage eines Zeugen vor, der einen möglichen Mittäter belastet. Der Zeuge hatte im Alter zwischen zwölf und 15 vor über zehn Jahren in einem Basketball-Verein unter diesem Mann trainiert, den der verstorbene Lehrer - er hatte eine leitende Funktion in dem Verein inne - zum Verein gebracht hatte.
Der Basketball-Trainer war damals selbst noch als Lehrer an einer Schule tätig - es handelt sich dabei nicht um die Mittelschule, in der der mutmaßliche Serien-Täter seit 2004 Schüler missbraucht haben dürfte, sondern um eine Bildungsstätte in einem anderen Bezirk. Mit September 2016 wurde dort sein Dienstverhältnis als Vertragslehrer beendet, nachdem ihn ein Schüler wegen eines im vorangegangenen Jänner erfolgten angeblichen sexuellen Übergriffs angezeigt hatte. Die Staatsanwaltschaft Wien ermittelte in diesem Fall wegen geschlechtlicher Nötigung, das Verfahren wurde aber gemäß 190 Absatz 1 StPO - die dem Ermittlungsverfahren zu Grunde liegende Tat war nach Einschätzung der Anklagebehörde nicht mit gerichtlicher Strafe bedroht bzw. die weitere Verfolgung des Beschuldigten aus rechtlichen Gründen unzulässig - eingestellt.
Der verdächtige Ex-Lehrer fiel allerdings in weiterer Folge in dem Sport-Verein auf, in dem auch mehrere seiner Schüler trainierten. „Er war mit diesen anderen Kindern immer sehr 'touchy', hat sie eingecremt“, schildert der nunmehrige Zeuge seine damaligen Wahrnehmungen. Der Trainer habe auch gemeinsam mit den Buben geduscht: „Ich würde nicht ausschließen, dass er bei diesem gemeinsamen Duschen mit den anderen diese auch angefasst hat oder sexuell stimuliert war.“
Laut dem Zeugen war es üblich, dass die Buben dem Mann „Bussis auf dem Mund“ gaben. Der Trainer habe „immer so mit dem Finger auf seinen Mund gezeigt, so wie ein Befehl, und hat 'Komm her' gesagt, das habe ich bei anderen beobachtet, und ich wurde auf einmal dazu genötigt, das zu machen. Das war alles bestimmt nicht freiwillig von mir oder anderen, sondern das war ein Ausdruck von Ausnutzen seiner Autorität, so wie es bei ihm allgemein war.“ Im Training sei es „sehr derb und autoritär zugegangen“.
Neuer Job trotz Verdacht
Obwohl der Mann wegen Missbrauchsverdachts aus dem Schuldienst ausgeschieden war, kam er nur wenige Monate später als Basketball-Trainer auch wieder in zumindest einer Schule unter - wiederum auf Vermittlung des Sportlehrers und mutmaßlichen pädophilen Serien-Täters. Wie eine von der Bildungsdirektion Wien eingesetzte Untersuchungskommission in ihrem in der Vorwoche präsentierten Bericht aufzeigte, heuerte der Ex-Lehrer ausgerechnet in einer an die Mittelschule, in der Dutzende Schüler missbraucht worden sein dürften, angrenzenden und baulich verbundenen Volksschule an. 2017 leitete er an Freitagnachmittagen eine Basketball-Gruppe, wobei er diese Kinder „alleine betreute“, wie im Bericht der Untersuchungskommission vermerkt wird.
Von Übergriffen in der Volksschule ist bis dato nichts bekannt. Allerdings hatte sich in Bezug auf den Sport-Verein 2018 der Wiener Basketballverband (WBV) eingeschaltet, nachdem es im Verein, der mit der von dutzendfachem Kindesmissbrauch betroffenen Mittelschule eine Kooperation laufen hatte, zunehmend Beschwerden über den Basketball-Trainer und früheren Lehrer gab. Unter Einbeziehung der Kinder- und Jugendanwaltschaft wurde im Dezember 2018 mit dem Trainer eine Vereinbarung getroffen, die ihn unter anderem verpflichtete, seine „Hilfsdienste“ beim Umziehen in der Garderobe einzustellen, sich Burschen körperlich nicht mehr zu nähern, Kinder unter 14 Jahren nicht mehr zu trainieren und den Kontakt zu Jugendlichen überhaupt nur mehr vereinsöffentlich zu gestalten. Im Gegenzug wurde vorerst von einer Anzeige abgesehen - mit Wissen und Zustimmung der damaligen Leiterin der Kinder-und Jugendanwaltschaft.
Beweislage reicht nicht aus
Der Basketball-Trainer hielt sich aber nicht daran. Er ging weder - wie vereinbart - zur Männerberatung, noch hörte er auf, Unmündige, d.h. unter 14 Jahre alte Kinder zu trainieren. Der WBV zog daraufhin die Reißleine. Der Trainer wurde 2019 für alle Basketball-Aktivitäten gesperrt, dem Sportverein wurde auferlegt, ihn nicht mehr als Trainer zu beschäftigen. Seither ist der Mann in der Basketball-Szene nicht mehr in Erscheinung getreten.
Die Opfer-Anwältin Herta Bauer, die mehrere von Übergriffen und sexuellem Missbrauch Betroffene vertritt, hat diesen Mann als möglichen Mittäter des verstorbenen Sportlehrers bei der Staatsanwaltschaft Wien angezeigt, zumal er und der verstorbene Sportlehrer gemeinsam in den schulfreien Monaten in einem Feriencamp am Wolfgangsee als Betreuer gearbeitet hatten. Zumindest eine Missbrauchshandlung im Salzkammergut ist inzwischen bekannt - ein Betroffener hatte den Sportlehrer bereits 2013 angezeigt. Diese Anzeige „versandete“ allerdings aus unerfindlichen Gründen, dazu ermittelt inzwischen die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt wegen Amtsmissbrauchs gegen unbekannte Täter.
Für die Staatsanwaltschaft Wien, bei der auch die Bildungsdirektion vor wenigen Wochen eine Sachverhaltsdarstellung gegen den Ex-Lehrer und langjährigen Basketball-Trainer als möglicher Mittäter eingebracht hat, reicht die Beweislage zur Begründung eines Anfangsverdachts nicht aus. Es gebe kein Ermittlungsverfahren, wurde der APA zuletzt auf erneute Anfrage bestätigt.
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