Wiener Kaffeehausliteratur: Willkommen im Café Größenwahn

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Das Kaffeehaus war und ist ein wesentlicher Bestandteil der Wiener Kultur. Die goldenen Jahre der Kaffeehausliteraten aber sind lange vorbei. Eine Spurensuche.

Das Wiener Kaffeehaus ist als literarischer Ort gut eingeführt. Das Wien der Jahrhundertwende – also jene Epoche, der die Wiener Tourismuswirtschaft mindestens so viel zu verdanken hat wie dem barocken Erbe der Habsburger – ist untrennbar mit der Figur des Kaffeehausliteraten verbunden.

Der typische Kaffeehausliterat ist männlich, sitzt Zeitung lesend und Aphorismen schreibend im Café und ist dort so oft anzutreffen, dass er sich sogar die Post dorthin schicken lässt (in einem Wiener Adressenverzeichnis war bei Peter Altenberg als Anschrift tatsächlich „Café Central, Wien I“ vermerkt).

Das Kaffeehaus und seine Kaffeehausliteraten gehören zu jenen kulturellen Errungenschaften, die vom nationalsozialistischen Terrorregime ausgelöscht wurden. Viele seiner wichtigsten Vertreter waren Juden und/oder Linke, wurden vertrieben oder ermordet. Nach dem Krieg waren die meisten Kaffeehäuser zwar noch da, aber die Kaffeehausliteraten gab es nicht mehr.

Friedrich Torberg, der selbst ein berühmter Kaffeehausliterat war, macht für das Verschwinden der Kaffeehausliteraten auch die Beschleunigung der Zeit verantwortlich. Die Intellektuellen und Literaten von Wien seien einfach zu beschäftigt, schrieb er 1959. „Sie sind nur noch potenzielle Kaffeehaus-Stammgäste, keine praktischen mehr. Sie bringen alle Erfordernisse eines Stammgastes mit, nur sich selber nicht. Sie haben keine Zeit.“ Ein Problem sei auch, „dass die heutigen Dichter direkt in die Schreibmaschine dichten, und die kann man ins Kaffeehaus nicht mitnehmen“. Von Laptops und Notebooks ahnte Torberg damals noch nichts.

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Der einzige Literat, den man im Café Central heute noch antrifft, ist Peter Altenberg - als Puppe. 

Die Kaffeehausgasse

Die goldenen Zeiten der Kaffeehausliteratur sind lang vorbei. Wer heute noch Spuren davon entdecken will, muss schon sehr genau schauen. Die drei wichtigsten Kaffeehäuser der Kaffeehausliteraten befanden sich alle in der Herrengasse, also in unmittelbarer Nachbarschaft. Ganz vorne, am Michaelerplatz, das Café Griensteidl (Herrengasse 1), weiter hinten das Café Central (Herrengasse 14), dazwischen das Café Herrenhof (Herrengasse 10).

Das Griensteidl war vor 1900 das führende Literatencafé. Unter anderem war es Treffpunkt der losen Literatengruppe „Jung-Wien“. Hermann Bahr, Arthur Schnitzler oder Felix Salten, damals noch keine 30, gingen dort ein und aus, auch Teenager wie Hugo von Hofmannsthal oder Karl Kraus waren Stammgäste. Die jungen Herren traten so selbstbewusst auf, dass das Griensteidl auch „Café Größenwahn“ genannt wurde.

Die ersten Hofmannsthal-Texte, noch unter dem Pseudonym Loris verfasst, hatten den arrivierten Hermann Bahr so beeindruckt, dass er den unbekannten Dichter ins Griensteidl einlud. Zu seinem Erstaunen stand dann auf einmal ein Gymnasiast in kurzen Hosen vor ihm und stellte sich mit heller Knabenstimme vor: „Hofmannsthal! Ich bin Loris.“

Im Jänner 1897 wurde das Palais Dietrichstein, in dem sich das Griensteidl befand, abgerissen; kurz bevor es so weit war, kam es noch zu einem Eklat: Felix Salten hatte dem jungen Karl Kraus, der sich in einem Aufsatz („Die demolirte Literatur“) über Jung-Wien lustig gemacht hatte, eine Ohrfeige gegeben. „Gestern abends hat Salten im Kaffeehaus noch den kleinen Kraus geohrfeigt, was allseits freudig begrüßt wurde“, notierte Schnitzler in sein Tagebuch.

Zwar wurde im November 1898, im neu errichteten Palais Herberstein, erneut ein Café Griensteidl eröffnet, aber da waren die Schriftsteller schon weitergezogen, die meisten ins Central. Das Griensteidl, das nach einem Besitzerwechsel inzwischen Café Reil hieß, wurde 1909 geschlossen.

1990 kam es zu einer Wiedergeburt: An selber Stelle wurde wieder ein Café Griensteidl eröffnet, aber das konnte, logisch, nicht mehr an die fast 100 Jahre zurückliegende Tradition anschließen. Statt Literaten kamen Touristen, und 2017 war auch das neue Griensteidl Geschichte. Heute befindet sich dort eine Billa-Corso-Filiale.

Café Herrenhof, Damensalon

Das Café Herrenhof war das eleganteste Wiener Literatencafé. 1967 wurde es zum Espresso verkleinert, 2006 geschlossen. 

Süchtig nach Centralin

Das Café Central wurde 1876 in dem Bank- und Börsengebäude eröffnet, das heute nach seinem Architekten Palais Ferstel genannt wird. Erster Betreiber war Wenzel Prückel, der später das nach ihm benannte Café am Stubenring eröffnen sollte.

Was die magische Anziehungskraft des Central ausmachte, war den Stammgästen selbst nicht ganz klar. „Der Gast mag vielleicht das Lokal gar nicht und mag die Menschen nicht, aber sein Nervensystem fordert gebieterisch, das tägliche Quantum Centralin“, schrieb Alfred Polgar in seiner „Theorie des Café Central“. Und: „Es gibt Schaffende, denen nur im Central nichts einfällt, überall anderswo weit weniger.“

Zu den Stammgästen im Central gehörten auch Egon Friedell, Anton Kuh und Peter Altenberg – sowie fast alle, die vor 1897 im Griensteidl residierten. Das Central wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört und erst 1975 wiedereröffnet. Da war’s natürlich längst zu spät, an alte Zeiten anzuschließen. Der einzige Literat, den man im Central heute noch antrifft, ist Peter Altenberg – als Puppe. Überhaupt verirren sich heute kaum noch Wienerinnen und Wiener ins Central, dafür so viele Touristen, dass sich vor dem Lokal täglich eine Schlange bildet.

Das jüngste der klassischen Wiener Literatencafés war das 1914 eröffnete Herrenhof. „Es war ein weitläufiges, großräumiges Etablissement, dessen dekoratives Interieur dem Jugendstil nachempfunden war“, schrieb der Journalist Milan Dubrović. Zu den Stammgästen – viele pendelten zwischen Central und Herrenhof – zählten Egon Erwin Kisch, Robert Musil, Joseph Roth oder Franz Werfel. Hermann Broch ging schon täglich ins Herrenhof, bevor er auch nur eine Zeile veröffentlicht hatte. Als sein Bruder ihn fragte, warum er das tut, antwortete er: „Weil die Leute dort so gescheit sind.“

Das Café Herrenhof schrumpfte 1967 von 750 m² auf 60 m², ehe es 2006 endgültig geschlossen wurde. Heute befindet sich an dieser Stelle das „Steigenberger Hotel Herrenhof“.

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Eine Kaffeehausliteratin von heute: Stefanie Sargnagel im Café Weidinger. 

Café Stadtbahn

Nach dem Krieg gab es die Cafés noch, aber keine Kaffeehausliteraten mehr. Heute ist es umgekehrt: Es gibt Literaten, aber kaum noch Literatencafés.

In der Innenstadt sind am ehesten das Hawelka und das Alt-Wien zu nennen, aber literarisch ergiebiger ist heute die Peripherie. Im Café Stadtbahn in Gersthof etwa findet einmal im Monat die Reihe „Blumenmontag“ statt, bei der junge Autorinnen und Autoren neue Texte präsentieren. Und wer Stefanie Sargnagel beim Schreiben zusehen will, muss ins Café Weidinger am Gürtel gehen. Das Literatenkaffeehaus lebt, aber niemand käme auf die Idee, es noch so zu nennen.

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