Warum ein Wiener Lehrer seiner Schule den Rücken kehrte

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Michel Fleck ist als Direktor eines Liesinger Gymnasiums karenziert. Er arbeitet ein Jahr lang bei den Wiener Stadtwerken.

Die Menschen, die heute an seine Tür klopfen, sind nicht mehr schulpflichtig: Da ist zum Beispiel der 60-jährige Busfahrer, der gegen Ende seiner Berufslaufbahn noch mal „was anderes machen möchte“. Da ist der junge Mitarbeiter, Absolvent einer Universität, der im großen Universum der Stadtwerke eine neue Herausforderung sucht. Oder die Kollegin, die mit einen Wechsel in eine andere Firma liebäugelt, die ihre Chefs aber unbedingt halten möchten.

Als Beamter angestellt

„Ich berate die Mitarbeiter“, erklärt Michel Fleck. „Dabei geht es immer um interne Weiterentwicklung.“

Der Pädagoge arbeitet seit Anfang August im sogenannten „Career Center“ der Wiener Stadtwerke. Seine Aufgabe ist es auch, mit dem Blick von außen kritische Fragen zu stellen. Denn in seinem Brotberuf ist Fleck seit 25 Jahren mit großer Leidenschaft Lehrer und seit elf Jahren der Direktor des Gymnasiums in der Anton-Krieger-Gasse in Liesing.

Dorthin kehrt er im Schuljahr 2026/27 zurück. So sieht es das Konzept der Initiative „Seitenwechsel“ vor. „Er hat sich sehr schnell in unsere internen Abläufe eingearbeitet“, freut sich seine unmittelbare Vorgesetzte, Cornelia Springer. „Und er scheut sich nicht, Fragen zu stellen, auf die wir intern nicht gekommen wären.“ Für die Mitarbeiterin aus der Konzernleitung ist Michel Fleck somit „ein Gewinn“.

Der Seitenwechsler Michel Fleck sitzt auf einem Würfel mit Firmenlogo

Gutes Zeugnis für den Herrn Direktor: Michel Fleck brilliert derzeit auch in einem Wiener Konzern.

Auch er selbst zieht eine positive erste Bilanz: „Ich habe mich entschieden, die Komfortzone zu verlassen, um zu sehen, wie die Welt der Wirtschaft funktioniert.“

So manches funktioniert besser als in der Schule: „Ich habe hier noch kein einziges Formular ausgefüllt. Viele interne Prozesse sind einfach effizienter organisiert.“

Was der Lehrer im Gegenzug gelernt hat: „Dass dir in der Schule gar nicht bewusst ist, wie viele unterschiedliche Kompetenzen du eigentlich besitzt.“

Dafür nimmt Michel Fleck finanzielle Einbußen in Kauf. Als Seitenwechsler bekommt man von seinem temporären Arbeitgeber das Grundgehalt erstattet. Die Zulagen des Schuldirektors fallen weg: „In meinem Fall ist das ein Tausender.“

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Erwin Greiner hat die Initiative "Seitenwechsel" 2020 ins Leben gerufen.

Sein langjähriger Freund und Mentor, Erwin Greiner, fügt schnell hinzu: „Speziell jüngere Semester verlieren wenig bis nichts.“ Greiner ist mit seinen bald 76 Jahren ein feuriger Kämpfer für eine Schule, die sich viel mehr an der Gegenwart und Zukunft denn an der Vergangenheit orientiert.

Für die Schule lernt er

Vor sechs Jahren hat Erwin Greiner den privaten Verein Seitenwechsel gegründet. Bis dato konnten 25 Pädagogen die Seiten wechseln. Diese Lehrer waren in namhaften Unternehmen wie A1, Ikea, Berndorf AG oder im Verlag öbv temporär im Einsatz.

Greiners Motiv für den Seitenwechsel ist plausibel: „Ich hatte als Lehrer oft ein schlechtes Gewissen, wenn ich den Schülern über die Arbeitswelt berichtet habe. Im Grunde genommen hatte ich keine Ahnung davon.“

Kollege Fleck legt noch ein bisserl nach: „Jeder von uns Lehrern und Direktoren sollte alle zehn Jahre einen Seitenwechsel vollziehen.“ Auch der Schule werde das helfen: „Ich habe bereits eine Liste mit Verbesserungsvorschlägen angelegt.“

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