Sohn (4) getötet: Mutter muss nicht in geschlossene Anstalt
Frau im Gerichtssaal
Zwei Prozesstage waren bereits angesetzt, einer konnte nicht stattfinden, weil Geschworene nicht erschienen sind. Heute nimmt die 29-Jährige wieder vor dem Richter Platz.
Sie soll ihren 4-jährigen Sohn in einer akuten Psychose in der Wohnung in Wien Favoriten getötet haben. Ein "fulminanter Verlauf", wie es die Gutachterin Sigrun Roßmanith und Gutachter Peter Hofmann gleichermaßen benennen, habe dazu geführt, dass diese Frau ihr Kind im Wahn mit einem Schnitt durch die Kehle getötet hat.
Völlig gebrochener Vater
Um das Kind zu beschützen, das sie - wie sich selbst - von irgendwelchen gefährlichen Personen bedroht sah.
Die Tat liegt jetzt fast genau ein Jahr zurück. Die Polizisten, die als Zeugen befragt werden, erinnern sich an einen "völlig gebrochenen Vater", ein Ermittler, der seine Karriere vor 38 Jahren bei den Mädchenmorden in Favoriten begonnen hat, gibt an, nur ganz selten so etwas gesehen zu haben.
Der Vater des getöteten Buben hat die Szenen in der Wohnung in Floridsdorf, nachdem er den Notruf gewählt hat, mit seinem Handy gefilmt.
Vater filmte den Tatort
Erst sei das verdächtig gewesen, der Mann habe der Polizei aber schlüssig erklärt, warum er die Aufnahmen gemacht habe.
"Das war, damit er nicht als Täter in Frage kommt", ist sich ein Polizeiermittler als Zeuge sicher. Und dieser Ermittler ist auch überzeugt: "Diese Betroffenheit kann man nicht spielen." Bei den Einvernahmen habe sich der Vater, der auch heute dem Prozess beiwohnt und zu seiner Frau steht, Vorwürfe gemacht, das Messer nicht besser versteckt zu haben.
Die große Frage verhandeln die beiden Gutachter, Roßmanith und Hofmann. Wie wahrscheinlich ist es, dass es bei der Frau zu einem Rückfall kommt, der eine neuerliche Gewalttat zur Folge hat?
Hohe Rückfallquote ohne Behandlung
Sehr hoch - sind sich die beiden einig. Allerdings nur, wenn die Frau keine Medikamente nimmt und keine Behandlungen erhält.
Denn die Psychose, die bei der Betroffenen von innen heraus entstanden ist, ist nicht schleichend, sondern eben "fulminant" aufgetreten. Mit der Folge der Kindstötung. Fix sei, so Hofmann, dass eine derartige Psychose "lebensbegleitend" sei.
Gerade bei Kindesmörderinnen sei die Rückfallquote sehr gering. Unter einer guten Medikamentation komme es in 20 bis 30 Prozent zu Rückfällen, weiß Hofmann. "Aber", gibt er zu bedenken, " die Statistik übernimmt für Einzelfälle keine Verantwortung."
Einweisung könne nachgesehen werden
Er und Roßmanith sind dennoch gleichlautend der Überzeugung, dass eine Einweisung bedingt nachgesehen werden könne. Derzeit lebt die Frau in einer Betreuungseinreichtung für Straftäterinnen, bekommt monatlich eine Depotspritze, Therapien und Medikamente, die sie ordnungsgemäß einnehme.
Damit habe man, und auch darin sind sich die Gutachter einig, die Krankheit derzeit sehr gut im Griff.
Der Bewährungshelfer sagt sogar, die Frau sei "dankbar für den Rahmen", der ihr mit dieser Therapie gegeben werde, und sie sei sehr kooperativ.
Verteidiger Raoul Warnung merkt in seinem Schlussplädoyer an, dass in diesem Fall alle Voraussetzungen für einen Freispruch vorliegen würden.
"Weil ein Freispruch nicht sein darf"
Das bedingte Nachsehen einer Unterbringung diene nun dazu, dass nicht sein kann, was nicht sein darf, "ein Freispruch für eine psychotische Kindesmörderin".
Wobei er einräumt: Die engmaschige kontrollierte Therapie sei in diesem Fall sehr wichtig.
"Bub könnte noch leben"
Was er auch anspricht, ist die Situation der Betreuung psychisch kranker Menschen in Wien. "Wäre die Frau bei ihrem Besuch in der Klinik von einem Psychiater und nicht einer Allgemeinmedizinerin begutachtet worden, könnte der Bub heute noch leben", ist er sicher.
In ihrem Schlusswort entschuldigte sich die Frau noch bei ihrem im Saal anwesenden Mann und erklärte: "Wir waren eine schöne, glückliche Familie in Wien. Ich habe mein Kind mit Liebe großgezogen. Ich komme jetzt mit meiner Krankheit klar."
Das Urteil: Mutter kommt nicht in geschlossene Anstalt
Die Geschworenen folgen den Ausführungen der Gutachterin und des Gutachters. Die Mutter hat ihr Kind getötet, war dabei aber nicht zurechnungsfähig. Der Richter entscheidet deshalb auf Unterbringung in einer forensisch-therapeutischen Anstalt, die er ihr vorerst auf fünf Jahre bedingt nachsieht.
Die Frau kann also weiterhin in der betreuten Wohneinrichtung für Straftäterinnen wohnen bleiben und muss weder ins Gefängnis noch in eine geschlossene Anstalt. Die betreute Wohnform ist eine der vom Richter festgelegten Auflagen. Die anderen: Weitere psychiatrische Behandlung, etwa mit den Depotspritzen, weitere Einnahme der Medikamente, Bewährungshilfe, regelmäßiger Nachweis der Behandlung durch Vorlage von Bluttests. "Wir folgen damit den Ausführungen der beiden Gutachter, dass in unbehandeltem Zustand weitere schwere Gewalttagen folgen könnten", erläutert der Richter.
An die Frau gewendet sagt er: "Bei Ihnen können wir von der Unterbringung in einer geschlossenen Anstalt absehen. Wenn alles gut läuft, können sie auch in einem Jahr wieder zu ihrem Mann zurück. Wenn nicht, kann ich sie auch von der Polizei in eine geschlossene Anstalt bringen lassen."
Die Probezeit könne nach fünf Jahre enden, dann wäre die Frau quasi frei. Der Richter könne diese aber nötigenfalls wieder verlängern. "Die Medikamente müssen immer genommen werden, alles klar?", fragt der Richter. "Alles klar", sagt die Frau, fällt ihrem Anwalt um den Hals und verlässt das Gericht mit ihrem Mann.
Das Urteil ist bereits rechtskräftig.
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