Polizei-Einsatz in Wien: "Wusste nicht, wer da unter uns lebt"
Es ist 11 Uhr am Donnerstagvormittag, Jordanka Böck sitzt noch immer in ihrem Sonnenblumen-Pyjama am Küchentisch in ihrer Wohnung am Kapaunplatz.
Der Schrecken der vergangenen Nacht steht ihr ins Gesicht geschrieben. So ganz kann die 46-Jährige immer noch nicht glauben, was nur wenige Meter von ihrer Haustür entfernt passiert ist.
Ihr Nachbar, ein 39-jähriger Österreicher, ist tot. Der Mann hatte am Vorabend mit einem Messer bewaffnet im Bereich des Kapaunplatzes Drohungen ausgesprochen. Gegen 21.30 Uhr gingen am Mittwoch erste Anrufe von besorgten Passanten bei der Polizei ein. Das Gebiet um den Kapaunplatz wurde für mehrere Stunden großräumig abgesperrt.
"Ließen mich nicht durch"
Auch die Bewohner konnten das Gebäude sowie den Innenhof nicht betreten. "Ich wollte um 21.30 Uhr nach Hause, aber sie ließen mich nicht durch. Um Mitternacht hab' ich noch einmal nachgeschaut, aber der Einsatz hat lange gedauert. Deswegen hab' ich dann bei meiner Freundin übernachtet", schildert etwa der 26-jährige Samuel Seili, der mit seinem Hund am Donnerstagvormittag am Kapaunplatz spazieren geht.
Genau an dieser Stelle hatten sich in der Nacht zuvor dutzende Spezialkräfte in Stellung gebracht. Als WEGA, Cobra, Bereitschaftseinheit sowie die Diensthundeeinheit anrückten, flüchtete der Mann in seine Wohnung. Kurz öffnete der 39-Jährige die Türe, und zielte mit einer Langwaffe auf die Polizisten. Die ersten Schüsse fielen.
Tödlicher Schuss
Es dauerte nicht lange, bis sich der Mann am Balkon verschanzte und sein Sturmgewehr erneut auf die Polizisten vor dem Gebäude richtete. "Da die Situation für die Beamten eine unmittelbare Gefahr darstellte, kam es zu einer weiteren Schussabgabe. Dabei dürfte zumindest ein Schuss den Mann getroffen haben", gab die Polizei bekannt.
Die Spezialkräfte stürmten die Wohnung und fanden den 39-Jährigen leblos vor.
Während des Einsatzes befand sich Jordanka Böck nicht in ihrer Wohnung. "Die Polizei hat gesagt, wir sollen raus aus dem Gebäude. Ich hatte große Angst, weil ich gesehen habe, dass in meiner Wohnung Licht brennt. Ich habe nie abgeschlossen. Da hab' ich kurz gedacht, vielleicht versteckt er sich da drin", schildert die 46-Jährige.
Nachbarn schliefen im Bus
Der gesamte dritte Stock des Gebäudes wurde evakuiert, da die Polizei auch Gegenstände fand, die auf Sprengstoff hindeuteten. "Wir haben die Nacht in einem Bus verbracht, den uns die Rettung zur Verfügung gestellt hat", sagt Böck. Erst gegen 5 Uhr Früh durfte sie wieder in ihre Wohnung, die sich drei Türen entfernt von der Wohnung des Verdächtigen befindet.
Da die Tür weggesprengt worden war, konnte die 46-Jährige in die Wohnung ihres Nachbarn blicken. "Sie haben mir gesagt, ich soll nicht hinschauen, aber ich konnte nicht anders. Es war überall Blut. Sie haben auch die Spione von den anderen Wohnungen zugeklebt", berichtet Böck. Sie habe noch immer Herzrasen, aber es gehe ihr gut.
Enger Austausch unter Nachbarn
Seit acht Jahren wohnt die 46-Jährige bereits in dem Gemeindebau im zwanzigsten Bezirk. Genauso lange kennt sie auch ihren Nachbarn schon. Er war auch schon in ihrer Wohnung eingeladen, ein anderes Mal hatte sie ihm Kleidungsstücke ihres Sohnes geliehen. "Wir haben auch gegenseitig unsere Pakete entgegengenommen, er hat sich dann auch mit einer Merci-Packung bedankt. Ich wusste wirklich nicht, wer da unter uns lebt", schildert die Anrainerin.
Das Motiv des Mannes ist laut Polizei bisher völlig unklar. Eine Obduktion wurde angeordnet, bei der festgestellt werden soll, ob der Bewaffnete durch Alkohol und Drogen beeinträchtigt war.
Für die 46-jährige Jordanka Böck steht nun jedenfalls fest: "Ich werde meine Haustüre ab jetzt immer zusperren."
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