Warum in einem Wiener Museum ein Riesenei Rätsel aufgibt

Hans-Martin Berg zeigt das größte Vogelei der Sammlung im NHM
Hans-Martin Berg nimmt das Riesenei in beide Hände und hebt es in die Luft. 30 mal 20 Zentimeter misst es, 130 Hühnereier passen hinein – zumindest theoretisch. Denn ausprobieren will das niemand. Der Elefantenvogel legte es vor Hunderten Jahren in Ostafrika, vor Hunderten Jahren starb er auch aus.
Das Ei ist im Naturhistorischen Museum in Wien aufbewahrt, katalogisiert und nummeriert. Ein Museumsmitarbeiter hat die Karteikarte einst fein säuberlich beschriftet. Der Leiter der Vogelsammlung setzt es vorsichtig wieder ab. Es gibt nur ein einziges Exemplar in der großen Ei-Sammlung des Museums, die 1793 begründet wurde. Forscher und Sammler haben etwa 12.000 Eier verschiedenster Vögel zusammengetragen. Und das muss man sich einmal vorstellen, fast alle bis auf die Kleinsten ausgeblasen, um sie haltbar zu machen. Sie lagern in Kartons, weich gebettet.
Watte umhüllt auch das winzigste Objekt. Es stammt von einem Kolibri aus Kalifornien. Die Veilchenkopfelfe legte das sechs Millimeter kleine Ei, das zarter ist als eine Erbse und ausschaut wie ein Tic Tac. Aus dieser winzigen Hülle schlüpft in freier Natur Leben. Die Nummer 13.845 gehört diesem Exemplar.
Das Eiersammeln hat eine lange Geschichte, einfach weil die Eier schön sind und weil Menschen um des Sammelns willen sammeln. Exotisch waren sie zudem und daher bei Herrschern beliebt. Seine Hochzeit hatte das Sammeln aber am Ende des 19. Jahrhunderts bis in die 1930er-Jahre. Max Schönwetter, einfacher Vermessungsbeamter, häufte Eier aus aller Welt an. In der Universität Halle sind viele davon untergebracht. Der Deutsche war es auch, der den Zweig der Oologie, der Vogeleierkunde, begründete. 1960 erschien der erste Teil seines monumentalen Handbuchs. Im Archiv des Naturhistorischen Museums ziert es die Regale.
Ei der Erkenntnis
„Jedes Ei ist ein Unikat“, erklärt Swen Renner, Kurator der Vogelsammlung. „Weil jedes Ei wurde nur einmal gelegt.“ Der Wert einer solchen Sammlung lässt sich nicht beziffern, nicht in Euro. Aber die Eier in den Museen rund um die Welt können Daten über die biologische Vielfalt liefern. Fünf Millionen Stück sollen es laut der Fachzeitschrift The Auk sein. Ihr Nutzen sei nicht hoch genug einzuschätzen. „Er ist noch gar nicht abschätzbar“, erklärt Renner. Die Methoden werden immer besser, Schalen Geheimnisse zu entlocken. Forscher können Eier einer Art aus vielen Jahrzehnten, von unterschiedlichen Orten untersuchen. Dabei werden Veränderungen sichtbar, wie die Auswirkungen von Temperaturschwankungen – bei der Form des Sperling-Eis etwa – und von Schadstoffen. Der Einsatz des Insektizids DDT machte Eierschalen dünner, die Vögel waren missgebildet.

Swen Renner
So fortschrittlich die Forschung auch ist, nicht immer kann sie Ergebnisse liefern. Im Inneren des Elefantenvogeleis rieselt es. Was ist denn da drinnen? Eine Sensation? Kann man endlich bestimmen, woher das Ei genau kommt? Hier fehlen nämlich die Daten. Das Objekt wurde durchleuchtet. Die Erkenntnis war ernüchternd. Es war Sand, wohl über die Poren hineingekommen. Und die DNA? „Wir haben Hühner-DNA gefunden. Warum, wissen wir nicht“, sagt Hans-Martin Berg. Das Ei des Kolumbus ist für diese Frage noch nicht gefunden.
Die Frage, was zuerst war
Apropos Fragen. Wer sich mit Eiern beschäftigt, kommt um die Frage nicht herum: Was war zuerst da, Henne oder Ei?
Ex ovo omnia, alles entspringt dem Ei, stellte der Arzt William Harvey (1578–1657) fest. Nicole Gronemeyer drückt es in ihrem Buch „Hühner. Ein Portrait“ so aus: „Das erste Huhn schlüpfte aus einem Ei, das von einem Vogel gelegt wurde, der eben noch kein Huhn war.“ Erst durch Vermischung und Mutation der elterlichen Gene sei ein Nachkomme entstanden mit neuen Merkmalen. Genannt wurde er Huhn. Also das Ei war Erster. Zumindest beim Henderl.

Aber es geht um mehr, um nicht weniger als die Frage nach dem Anfang. Das Ur-Ei findet sich in vielen Kulturen als Ursprung des Universums. Der finnischen Mythologie nach ist das Universum aus sieben Eiern entstanden, sechs goldenen und einem aus Eisen.
Ein Ei war auch in der chinesischen Mythologie der Beginn des Lebens auf der Erde. Aus dem Ur-Chaos entstand ein Ei, darin war Pangu, der erste Bewohner. Im Ei waren Yin und Yang vereint, bis Pangu das Ei zerbrach. Aus dem Eiweiß wurden der Himmel und die Wolken (Yang), aus dem Eidotter entstand die Erde (Yin).
Nicole Gronemeyer:
„Hühner. Ein Portrait“ Verlag: Matthes & Seitz Berlin.
144 Seiten. 22 Euro
„Das Ei steht auch für das Verständnis der irdischen Lebensvollzüge“, schreibt Gronemeyer. Es werde mit dem Frühling assoziiert und sei ein Sinnbild des Lebens. Symbol und Speise zugleich. Womit man bei Ostern gelandet ist. Christen verbänden das rot-gefärbte Ei mit dem vergossenen Blut bei der Kreuzigung. Der syrische Kirchenlehrer Ephraem der Syrer schrieb dazu im 4. Jahrhundert: „Gleich einem Ei springt das Grab auf.“
Das Innere des Eis
So ein Ei ist auch unter der Schale fasizinieren.

Jetzt bleibt nur noch eine Frage offen, wie gelingt das perfekte Frühstücksei?


Guten Apettit!
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