Micro Scooter: Mehr Kinder-Unfälle nach Lockerung der Regeln

Ein trauriger Junge sitzt neben seinem blauen Roller auf dem Boden.
Seit 2019 dürfen Achtjährige allein auf Rollern am Gehsteig fahren. Bei Unfällen kommt es häufig zu Kopfverletzungen. Ein Experte gibt Tipps.

Im Umfeld von Schulen sollte man kurz vor der ersten Stunde als Fußgänger besonders achtsam sein: Der Gehsteig gehört einem nämlich nicht allein, sondern auch Kindern auf Micro Scootern und Tretrollern

Seit April 2019 dürfen schon Achtjährige ohne Beaufsichtigung auf den unmotorisierten Flitzern auf dem Gehsteig in die Schule fahren. Mit einem Fahrrad ist das erst ab einem Alter von zehn Jahren mit  bestandener Prüfung erlaubt. Der Unterschied ist nämlich, dass Fahrradfahrer die Radwege oder die Straße mit anderen Verkehrsteilnehmern wie Autos und Lkw teilen müssen, während Rollerfahrer wiederum nur am Gehsteig  fahren dürfen – der vermeintlich weniger Gefahren birgt. 

Sieht man sich die Unfallzahlen rund um das Datum der Gesetzesänderung an, könnte man daraus schließen, dass sie  einen neuen Boom von Tretrollern und Micro Scootern hervorgerufen hat – einen durchaus gefährlichen. 

Im Jahr des Inkrafttretens 2019 kam es in Österreich zu 89 Unfällen mit Tretrollern und Micro Scootern. Nach einem Rückgang im Folgejahr auf 63 Unfälle stieg die Zahl bei der bislang letzten Erhebung 2021 wieder auf 72 Unfälle an.  

Interview mit KFV-Expertin Ernestine Mayer

Eine Grafik zeigt die Entwicklung von Straßenverkehrsunfällen mit Personenschaden in Österreich von 2017 bis 2021.

Damit führen unmotorisierte Roller die Liste der gefährlichsten Spiel- und Sportgeräte an. Kinderfahrräder, Inlineskates,  Skateboards oder ähnliche Fortbewegungsmittel rangieren in dem Vergleich seit Jahren dahinter. Wichtig ist, auch zu erwähnen, dass sich diese Unfälle  nur auf öffentlichen Verkehrsflächen, also auf Gehsteigen, Fußgängerzonen oder Straßen ereignet haben – Unfälle im privaten Umfeld sind hier nicht miteingerechnet.

Aber auch dazu gibt es Zahlen und Studien, wie die von Peter Spitzer von der Grazer Klinik für Kinder- und Jugendchirurgie. Über einen Zeitraum von drei Jahren analysierte der Mediziner gemeinsam mit Kollegen Kinderunfälle anhand von Patienten, die in der Klinik behandelt werden mussten. Hier flossen also auch Unfälle im nicht-öffentlichen Verkehr mit ein. 

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Kopfverletzungen

Pro Jahr kommt es laut dem Experten zu rund 1.800 Unfällen mit Rollern, Micro Scootern oder ähnlichen Fortbewegungsmitteln für Kinder. Eine besondere Gefahr birgt laut Spitzer der Lenker: „Wenn man zum Beispiel mit Rollschuhen stürzt, gibt es den sogenannten Abstütz-Reflex, man streckt also automatisch die Arme aus, die abfedern und dabei mitunter auch verletzt werden. Beim Roller gibt es aber den Freeze-Reflex, die Lenkstange zu umklammern und nicht die Arme schützend auszustrecken. Daher kommt es hier besonders oft zu Kopfverletzungen, die mitunter schwer sein können. Natürlich sind auch Frakturen an Armen und Händen unangenehm. Das Gehirn kann man aber nicht mit einem Gips oder Pflaster heilen. Dessen müssen sich Eltern immer bewusst sein“, sagt Spitzer. 

Ein lächelnder Mann in einem blauen Sakko vor einem weißen Hintergrund.

"Mit dem Roller erreicht man leicht ein hohes Tempo, Stehenbleiben ist dann aber schwierig"

von Peter Spitzer

Klinik für Kinder- und Jugendchirurgie Graz Unfallforschung

Erst Ende April musste ein achtjähriges Mädchen aus Weyer  in Oberösterreich nach einem Unfall mit einem Micro Scooter wegen schwerer Verletzungen in künstlichen Tiefschlaf versetzt werden. Etwa einmal im Jahr kommt es laut Statistik zu tödlichen Unfällen. Besonders auf Zebrastreifen werden Kinder, die mit relativ hoher Geschwindigkeit auf die Straße rollen, von Auto- oder Lkw-Lenkern leicht übersehen. Spitzer appelliert daher, Kinder schon von Anfang an einen Helm aufzusetzen, um sie daran zu gewöhnen. Das Rollerfahren an sich sei nämlich eigentlich gut für die Entwicklung. "Es trainiert den Gleichgewichtssinn, und sie können sich später besser an das Fahrrad gewöhnen und sichere Fahrer werden", sagt der Mediziner. 

Anfangs sollte man aber jedenfalls auf nicht-öffentlichen Flächen üben und das Kind erst dann auf dem Gehsteig fahren lassen, wenn es den Roller sicher beherrscht. Und noch eine Komponente sollte nicht unterschätzt werden: Die Geschwindigkeit: "Mit dem Roller erreicht man leicht  ein hohes Tempo, Stehenbleiben ist dann aber schwierig", sagt Spitzer.

Zwei Drittel der Verletzten sind Buben

Von den über 3.500 untersuchten Unfällen in der Studie waren  zwei Drittel der Unfallopfer männlich und im Durchschnitt elf Jahre alt. "Fortbewegung mit Radgeräten heißt letztendlich Fortbewegung mit künstlich erzeugter Geschwindigkeit – ein Element, das die Buben tendenziell verstärkt anspricht." Wünschenswert wäre für Spitzer auch in Schulen mehr Risikomündigkeit, also Bewusstsein für die Gefahren,  zu lehren. 

Ist das Kind mit einem Helm ausgestattet und hat ausreichend geübt, sollten die Eltern auch noch auf die Art des Rollers achten, denn da gibt es deutliche Unterschiede, die auch verkehrsrechtlich relevant sind.  Hat ein unmotorisierter Scooter nämlich größere Räder, die mit Luft gefüllt sind, gilt er als Trittroller. Dann muss sich der Benutzer an die Regeln für Fahrradfahrer halten. Für Kinder bis zehn Jahre ohne Fahrradprüfung sind solche Roller verboten.  

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