Jedes fünfte Kind kann kaum lesen
Fatih muss nicht mehr jedes Match seines Lieblingsklubs Bayern München im Fernsehen sehen, um auf dem Laufenden zu bleiben. Nach intensivem Training versteht der 11-Jährige auch die Spielberichte, die in der Zeitung stehen. Denn der Schüler aus der Neuen Mittelschule in Hernals kann heute, was ihm noch vor einem Jahr enorme Schwierigkeiten bereitet hat: lesen. "Und es macht manchmal sogar Spaß."
Damals, vor einem Jahr, war die Aufregung groß, als die Ergebnisse des ersten Wiener Lesetests bekannt wurden: Jedes vierte Kind, so das Ergebnis damals, konnte wie Fatih nicht sinnerfassend lesen. Ein Jahr später liegt nun das "Zeugnis" für den zweiten Test vor. Wieder wurden 31.000 Schüler der vierten und achten Schulstufe getestet. Und wieder ist das Ergebnis ernüchternd und alarmierend: In der vierten Klasse Volksschule liegt die Zahl der Risikoschüler bei rund 20,5 Prozent. Ähnlich das Bild in den vierten Klassen der Hauptschulen und Gymnasien. Dort erfasst jeder vierte Jugendliche den Sinn des Gelesenen nicht.
"In der normalen Testgruppe hat es leichte Verbesserungen gegeben, die aber nicht signifikant waren", sagt auch Stadtschulratspräsidentin Susanne Brandsteidl bei der Präsentation der Daten. Für die Stadt Grund genug, die Förderung weiter zu intensivieren: Künftig sollen auch Schüler in der dritten und siebten Klasse schulintern und somit kostenschonend überprüft werden. Immerhin schlägt der Lesetest für die vierte und achte Klasse, den das Bildungsinstitut Bifie durchführt, mit jährlich 300.000 Euro zu Buche.
Risikoschüler verbessern sich
Für Fatih und fünf seiner Klassenkameraden aus der "1c" war der Lesetest des Vorjahres jedenfalls ein Erfolg – auch wenn sie damals als Risikoschüler abgeschlossen haben. "Wir konnten mit gezielter Förderung in Kleingruppen reagieren", sagt ihre Lehrerin Johanna Prader. "Sie konnten sich dadurch deutlich steigern."
Ein Trend, der im Stadtschulrat ebenfalls so gesehen wird. Brandsteidl spricht von einem "wirklichen Qualitätssprung" bei 3700 Risikoschülern des Vorjahrs. "Bei den Volksschülern konnten durch die Förderung im laufenden Schuljahr mehr als 60 Prozent die Risikogruppe wieder verlassen." Bei den AHS- bzw. Hauptschülern gelang dieser Sprung nur 40 Prozent der Schüler. "Je älter die Kinder sind, desto geringer wird die Chance, dass auch bei intensiver Beschulung die Ergebnisse besser werden", folgerte Brandsteidl.
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