Im Müll-Bunker der Spittelau: Wenn’s im Ofen „plopp“ macht

Im „Bunker“ der Verbrennungsanlage Spittelau türmt sich der Müll 22 Meter hoch. Für ungeübte Augen ist der Berg eine undefinierbare Masse. Nicht für den Kranfahrer, der noch ein paar Meter höher in einer Kabine sitzt. Er weiß, wie der Ofen richtig zu füttern ist – und das sogar besser und schneller als ein Computerprogramm.
Wie bei einem Spielautomaten steuert er einen vier Tonnen schweren Greifarm. Der vorderste Teil des Kabinenbodens ist verglast, um bis auf den Grund des Müllberges sehen zu können. Von hier oben wird der Müll durchmischt und nach sperrigen Gegenständen gefischt. Würden sie den Trichter verstopfen, hätte das eine Abschaltung des Kessels zur Folge, was einen Stillstand von zwei Tagen bedeuten würde.
Badewannen oder Kühlschränke findet man laut Christine Wenzl, Österreichs erste weibliche Werksleiterin, immer seltener: „Was sich im Restmüll findet, hängt von der Trenndisziplin der Wienerinnen und Wiener ab. Die Mülltrennung funktioniert gut, ist aber immer ausbaufähig.“ Das gelte vor allem für Batterien, die immer noch jeden Tag zu Tausenden im Müll landen.
Weggeworfen werden hin und wieder auch geladene Waffen. Werden sie vom Kranfahrer nicht entdeckt und mitverbrannt, sei das halb so wild: „Dann machts im Ofen plopp.“
Fossiler Energieträger
In Sachen Energiewende hat man das Ziel, den Ausstieg aus dem Erdgas zu schaffen und bis 2040 klimaneutral zu werden. Noch machen fossile Energieträger aber 60 Prozent der Fernwärme aus. Die Müllverbrennung deckt ein Drittel ab, der Rest setzt sich aus alternativen Quellen und industrieller Abwärme zusammen.
Durch die immer häufiger auftretenden Hitzetage, angetrieben durch den menschengemachten Klimawandel, steht man auch vor einem wachsenden Bedarf an Gebäudekühlung durch Fernkälte: „Der Bedarf wird so hoch sein wie jener nach Fernwärme. In Zukunft wird sich das Verhältnis sogar umdrehen“, prognostiziert Wenzl.
Heizungen als Klimaanlagen
Wie auch bei der Fernwärme funktioniert die Versorgung mit Fernkälte über ein ringartig ausgebautes Netz. In eigenen Kältezentralen, wie es sie auch in der Spittelau gibt, werden Kältemaschinen mit Energie angetrieben, die zuvor bei der Müllverbrennung gewonnen wurde. Diese Maschinen kühlen Wasser auf fünf Grad ab, das dann über Rohre in Krankenhäuser, Universitäten und Bürogebäude geleitet wird.
Eine Vision, wie die Kühlung von Privathaushalten in Zukunft funktionieren könnte, hat Georg Baresch. Der Hundertwasser-Kenner führt jährlich Tausende Besucher durch die Verbrennungsanlage: „Der Heizkörper, den wir im Winter zum Heizen verwenden, wird im Sommer kühlen. Ich bin sicher, dass wir bald die Technologie dafür haben.“
Baresch war es auch, der während der Pandemie begann, Besucher auf das begrünte Vordach der Spittelau zu führen. Die dortigen Bäume sind jedoch zu groß und zu schwer geworden. Aus Sorge, dass sie durchbrechen, wird nun stattdessen ein neuer „Klimawald“ gepflanzt, der Boden verstärkt und eine Hundertwasser-Wand entworfen. Ab Mitte September soll die neue Hundertwasser-Station öffnen und fixer Bestandteil von Rundgängen werden.
- Großbrand: In der Nacht vom 15. Mai 1987 fanden am Dach der Spittelau Abdichtungsarbeiten statt. Bei einer Pause ließen Arbeiter brennende Halogenscheinwerfer zurück. Der starke Wind erfasst die Lampen und Baumaterial geriet in Brand – und schon bald stürzte das Dach ein. Bei dem Feuer kommt es zu so hohen Temperaturen, dass sogar Metall schmilzt. Nach 16 Jahren Betrieb ist der Industriebau völlig zerstört
- 500 Millionen Schilling: Der Schaden durch das Feuer beträgt 500 Millionen Schilling. Für den Neubau übernimmt Künstler Friedenreich Hundertwasser (unten) die Gestaltung kostenlos, knüpft daran aber Bedingungen im Sinne der Umwelt
- Wahrzeichen: Heute ist die Anlage ein Wiener Wahrzeichen, jährlich finden 420 Führungen statt. Ab September öffnet für Besucher auch der neu gestaltete Wald auf dem Vordach
Hand an das Werk von Friedensreich Hundertwasser zu legen, ist jedoch heikel. Jedes Detail muss vorab mit dessen Nachlassverwalter besprochen werden. Heikel war aber auch Hundertwasser selbst, wie Baresch schildert.
„Dreckschleuder“
Nachdem die erste Verbrennungsanlage in der Nacht vom 15. Mai 1987 bei einem Großbrand völlig zerstört wurde, war der damalige Bürgermeister Helmut Zilk entschlossen, den Künstler für die Neugestaltung zu gewinnen. „Eure Dreckschleuder werde ich euch nicht behübschen“, so seine anfängliche Ablehnung.
Es sollte ein ganzes Jahr dauern, ihn umzustimmen. Als Hundertwasser schließlich zusagte, stellte er jedoch drei Bedingungen. Erstens: Es wird eine moderne Rauchgasreinigungsanlage eingebaut. Zweitens: Wien baut ein umfassenden Systems zur Mülltrennung auf. Und drittens: Niemand mischt sich in seine künstlerische Arbeit ein. Und das gilt bis heute.
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