Chaos in Millennium City: Der Handelskai als Kriminalitäts-Hotspot

Am Montagvormittag sind es vor allem Pensionisten, die sich im Gastrobereich des Wiener Einkaufszentrums Millennium City zu einem frühen Mittagessen treffen. Schwer zu glauben, dass hier regelmäßig Gruppen junger Männer für Gewaltexzesse sorgen. So passiert am Abend zuvor.
Zuerst wurde ein Messer gezogen, dann flogen Steine und schließlich wurde sogar zum Pfefferspray gegriffen. Die chaotischen Szenen am Sonntag spielten sich genau genommen in der S-Bahn-Station Handelskai vor dem Shopping Center ab. Drei junge Männer gerieten aneinander. Einer der drei, ein 19-jähriger Tschetschene, rettete sich in das Einkaufszentrum, während seine Kontrahenten, ein 23-jähriger und ein 28-jähriger Syrer, flüchteten. Laut KURIER-Informationen ging dem Streit ein missglückter Drogendeal voraus.
Schwerbewaffnete Polizisten waren zum Zeitpunkt der Flucht bereits vor Ort. Mehrere Zeugen hatten den Notruf gewählt und von Schüssen berichtet. Innerhalb kürzester Zeit brach Panik aus – und das, obwohl die drei Männer rasch festgenommen wurden und keiner von ihnen eine Pistole bei sich hatte.
Recht
Das Jugendstrafrecht gilt in Österreich ab 14 Jahren, darunter ist man nicht strafbar. Es können Erziehungsmaßnahmen gesetzt werden. Ab 14 Jahren werden Jugendliche strafrechtlich zur Verantwortung gezogen und sind schadenersatzpflichtig. Ab 18 gilt das allgemeine Strafrecht.
Anzeigen
gegen Jugendliche steigen seit Jahren zwar an, die Zahl der Verurteilungen sinkt aber stetig. Das liegt daran, dass auch Schulen dazu angehalten sind, Delikte schneller zur Anzeige zu bringen, und Verdächtige allgemein immer öfter ausgeforscht werden, viele Delikte dann aber keine strafrechtlichen Konsequenzen nach sich ziehen.
Schlechter Ruf
Dass eine Schlägerei bei den Menschen eine derartige Reaktion auslöst, dürfte mit dem Ruf der Millennium City bzw. des Handelskais zusammenhängen. Das Grätzel gilt nicht erst seit dem aktuellen Vorfall als Kriminalitätshotspot. Vor einigen Jahren kam es zu Prügelattacken durch junge Sittenwächter.
Dementsprechend wenig überrascht zeigten sich am Tag nach dem Großeinsatz jene Menschen, die täglich in der „Millennium City“ ein- und ausgehen. „Es war kein Schuss zu hören und niemand hat eine Pistole gesehen, aber plötzlich sind alle gerannt“, erzählt der 25-jährige Lokalmitarbeiter Berto. Er fühle sich an seinem Arbeitsplatz sicher, verstehe aber, dass es nicht allen so geht. Gruppen Jugendlicher würden sich abends herumtreiben und „Blödsinn“ machen. Es sei aber ein Sicherheitsdienst unterwegs – rund um die Uhr.

Der 17-jährige Noel stimmt zu. Ihm zufolge beschränken sich die Konflikte in der Regel ohnehin auf den Bahnhofsbereich, denn dieser sei der eigentliche Hotspot. „Man hat schon das Gefühl, dass hier öfter etwas passiert als anderswo. Aber das liegt an der Gegend“, pflichtet die Angestellte Sonja bei.

Brennpunkte entschärfen
Dass es Problem-Hotspots in der Stadt gibt, darunter etwa der Keplerplatz oder Praterstern, ist nichts Neues. „Natürlich gibt es Bereiche, meistens Parks oder Stationen des öffentlichen Verkehrs, wo wir genauer hinschauen und die mehr bestreift werden“, bestätigt auch Polizeisprecher Markus Dittrich. Orte, wo sich Jugendliche und junge Erwachsene gerne treffen und es auch zu kriminellen Handlungen kommt, gäbe es in allen Bezirken.
Das jüngste Beispiel Handelskai zeigt dabei einmal mehr, dass diese Orte zwar bekannt sind, aber deshalb nicht unbedingt unter Kontrolle. Während der Praterstern videoüberwacht wird und am Keplerplatz eine sogenannte Schutzzone eingerichtet wurde, sind am Handelskai Sozialarbeiter unterwegs. Ein Zugang, der vor allem bei jungen Straftätern helfen könnte.
In Wiener Neustadt (NÖ) galten der Bereich um den Bahnhof und auch der Stadtpark als echte Problemfälle. Drogen und Gewalt bereiteten der Exekutive und den Stadtverantwortlichen Kopfzerbrechen. Weshalb vor rund fünf Jahren das „Sicherheitsforum Hauptbahnhof Wiener Neustadt“ ins Leben gerufen wurde.
Polizei, ÖBB-Securitys und der Ordnungsdienst der Stadt arbeiten zusammen. Mit Erfolg, wie Stadtpolizei-Kommandant Manfred Fries betont. Man sei mittlerweile vor allem darum bemüht, das subjektive Sicherheitsgefühl der Menschen zu erhöhen. Denn die Zahl der tatsächlich verübten Straftaten sei „im Vergleich zu den Gerüchten darüber verschwindend gering“.
Dazu beigetragen habe auch eine Notrufsäule, die im Oktober 2022 vor dem Bahnhof aufgestellt wurde. Seit Mai 2017 ist das Areal als polizeiliche Schutzzone definiert. Deutlich mehr als 3.000 Betretungsverbote wurden seither ausgesprochen.
Probleme auch im Westen
Rund um das Kremplhochhaus in Linz (OÖ) wurde 2019 ebenfalls eine Schutzzone eingerichtet – ohne Verbesserung: Nach wie vor blüht der Drogenhandel. Nun soll eine Videoüberwachung installiert werden, ein entsprechender Gemeinderatsbeschluss wurde gefasst.
Auch der Lehener Park in Salzburg gilt seit Jahren als Drogenumschlagplatz, er wurde 2016 zur Schutzzone erklärt. Nachdem es erst vergangene Woche wieder zu zwei Messerstechereien mit einem Toten gekommen ist, hat Bürgermeister Harald Preuner (ÖVP) einen Runden Tisch mit Polizei, Verwaltung und NGOs einberufen, um konkrete Maßnahmen zur Entschärfung der Situation zu setzen.
Thomas Marecek vom Verein Neustart für Bewährungshilfe und Präventionsarbeit sagt, dass ein Drittel der Klienten Jugendliche sind. Meist sind sie als Kind selbst zum Opfer von Gewalt geworden, haben keine erwachsenen Bezugspersonen oder Vorbilder. „Gerade junge Menschen versuchen, ihre Wirkung auf die Umwelt zu erforschen. Das ist eine Periode ihres Lebens, die mit Normverletzungen einhergeht“, sagt Marecek.
Natürlich müsse man laut Marecek die Problematik ernst nehmen, man dürfe aber auch nicht die Fakten vergessen. Sieht man über die Pandemie-Jahre hinweg, in denen die Kriminalität allgemein zurückging, ergeben sich folgende Zahlen bis zur letzten Erhebung 2022. 2019 wurden 33.705 Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren als Verdächtige ausgeforscht, 2022 waren es mit 33.964 nur wenige mehr. Bei den 18- bis 20-Jährigen sank die Zahl im Vergleichszeitraum von 29.000 auf 26.155.