Teure Fernwärme: Wo sich die Mieter in Wien warm anziehen müssen
Der Mieter öffnet die Tür, so als wollte er seine Wohnung sofort verlassen: Er hat an diesem Sonntagvormittag im Dezember eine Haube auf. Über dem Sweater trägt er eine wärmende Jacke, und unter der Jogginghose noch eine lange Unterhose, wie er nicht gerade stolz eröffnet.
Dabei hat Stefan Böheim, der als gelernter Koch lange in der Gastronomie gearbeitet hat und sich derzeit zu einem IT-Techniker umschulen lässt, keinerlei Probleme mit dem Kreislauf. Doch bei einer Raumtemperatur, die nicht viel über 18 Grad Celsius hinauskommt, wäre ihm nur in einem T-Shirt bitterkalt.
Heizung im Wohnzimmer: Sie wutde schon lange nicht mehr voll aufgedreht.
„Ich habe echt Angst, die Heizung voll aufzudrehen“, erklärt der Bewohner einer städtischen Wohnhausanlage am Ende der Polgarstraße im 22. Bezirk. „Echt Angst vor den horrenden Heizkosten.“
Seit mehr als zehn Jahren wohnt der Wiener hier. „Die Kosten für die Fernwärme waren von Anfang an hoch“, erzählt er. „Doch das, was man meinen Nachbarn und mir jetzt abverlangt, kann sich kaum noch wer leisten.“
Stefan Böheim hat alle Abrechnungen gründlich studiert und miteinander verglichen.
Schimmel im 22. Bezirk
Auf seinem Couchtisch im kühlen Wohnzimmer liegt ein Stapel von Abrechnungen, die eines klar belegen: Obwohl er schon seit Längerem extrem sparsam heizt, zahlt er für die 56-m2-Wohnung derzeit 160 Euro an die Wien Energie: 90 Euro für die laufenden Kosten pro Monat plus 70 Euro (als Monatsrate für eine Nachzahlung von mehr als 500 Euro).
Bedauerlicher Einzelfall? Der 37-Jährige schüttelt den Kopf. „Meine Nachbarn, die meisten sind ältere Leute, frieren auch“, weiß einer, der sich schon seit Wochen in den eigenen vier Wänden warm anziehen muss. Auf seiner Stiege genießt er den Ruf des freundlichen Nachbarn, dem man gerne auch das eine oder andere Private anvertraut.
Kaltes Haus: An der Innenseite dieser Außenwand bildet sich Schimmel.
Für Stefan Böheim sind die hohen Heizkosten nicht nachvollziehbar. Er hat sich in den vergangenen Monaten die Mühe gemacht und zwölf Mieter in anderen Wiener Bezirken um Einsicht in deren Abrechnungen gebeten.
Was er nach dem Preisvergleich weiß: „Alle bezahlen weniger als die Hälfte von dem, was wir bezahlen müssen. Es gibt Mieter drüben in Floridsdorf, die haben doppelt so viel beheizbare Wohnfläche wie ich, zahlen aber nur 20 Euro, wo sie von mir 90 Euro wollen.“
So auch seine Großeltern in Simmering: „Dabei sitze ich bei ihnen nicht so wie in meiner Wohnung warm angezogen im Wohnzimmer.“
Seit einem halben Jahr korrespondiert der Mieter mit Wiener Wohnen, der Wien Energie, einer Mietervertreterin und zuletzt mit der E-Control. Von den Eltern hat er gelernt, immer höflich zu sein. Doch irgendwie wird er das Gefühl nicht los, dass er freundlich-kompetent im Kreis geschickt wird, ohne dass je jemand auf seine Kernfrage eingegangen wäre. Die lautet: „Warum zahlen wir erheblich mehr als Menschen anderswo in Wien?“
Kaltes Haus: Der 58 Jahre alte Gemeindebau in der Polgarstraße am Rande der Stadt.
Fernkälte lässt alle kalt
Der angehende IT-Techniker blickt auf sein Mobiltelefon und liest dann aus einem Mail vor, das er von Wien Energie bekommen hat. Es endet mit einem Satz, der für ihn nach strikter Endgültigkeit klingt: „Nach erfolgter Prüfung ist Ihre Rechnung korrekt.“
Stefan Böheim blickt von seinem Handy auf. Er ist kein Querulant. Im Gegenteil, er schätzt durchaus die Vorteile des sozialen Wohnbaus in Wien, beklagt sich auch nicht über seine Miete. Er ist aber nicht bereit, weiterhin so viel Geld nur für das Heizen zu bezahlen: „Wir alle haben hier nicht gar so viel im Geldbörsel.“
Dass sich bisher noch niemand gefunden hat, den Frierenden im 22. Bezirk ein Stück entgegenzukommen, dass diese Fernkälte alle kalt lässt, kann er nicht verstehen.
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