Endstation Kirchengasse: Wie die U-Bahn-Baustelle Existenzen bedroht

Endstation Kirchengasse: Wie die U-Bahn-Baustelle Existenzen bedroht
Die Kirchengasse ist eine lebendige Einkaufsstraße, abseits der Ketten auf der nahen Mariahilfer Straße. Wie lange noch?

Der einzige Grund, warum Manfred Lindner zwischen den beiden Baucontainern vor seinem Geschäft „Disaster Clothing“ fürs Foto posieren kann, ist, weil der dritte, der bisher dazwischen gestanden ist, nach seiner Urgenz doch  noch weggestellt wurde. Sonst hätte man sein Geschäft gar nicht mehr gesehen. „Ich war eingekastlt“, sagt Lindner.

Endstation Kirchengasse: Wie die U-Bahn-Baustelle Existenzen bedroht

In der Kirchengasse in Wien-Neubau (7. Bezirk) ist nichts, wie es einmal war. Die Gehsteige sind aufgerissen und mit Holzbrettern bedeckt. Auf der Straße stehen riesige Kabeltrommeln, Betonsilos und Baucontainer.

Es ist so laut, dass ein Mann, der im Café Figar  einen Tisch reserviert hat, wieder aufsteht, der Kellnerin einen entschuldigenden Blick zuwirft und wieder geht. „Das passiert jetzt ständig“, sagt Szene-Gastronom David Figar

Endstation Kirchengasse: Wie die U-Bahn-Baustelle Existenzen bedroht

Im April haben die Vorarbeiten zum Bau des Linienkreuzes von U2 und U5 (siehe Bericht unten) begonnen. Jetzt ist die Baustelle an ihrem vorläufigen Höhepunkt angelangt – zumindest in der Kirchengasse. Weil die geplante U2-Station Neubaugasse mit ihrem Ausgang zur Kirchengasse unter die bestehende U3 gebaut werden muss, wird bis 35 Meter tief in den Boden gebohrt.

Und weil sich dort fast nur Altbauten befinden, müssen viele mit Bodenplatten verstärkt  werden.  Der Schanigarten im Figar ist an Werktagen praktisch leer. „Wir leben derzeit vom Wochenende“, sagt der Chef. Wie lange sich das noch ausgeht, weiß er nicht. Der Mietzuschuss der Wirtschaftsagentur reiche nicht aus.

 

U-Bahn-Baustelle bringt Probleme für Kleinunternehmen auf der Kirchengasse

Für direkt betroffene Unternehmer werden über die U-Bahn-Bau-Soforthilfe  Zuschüsse zur Miete und Förderungen für Projekte jeweils in der Höhe von maximal 7.500 Euro pro Jahr ausgezahlt. Bis jetzt wurden 150.000 Euro bezahlt. 80 Betriebe haben bisher die U-Bahn-Bau-Soforthilfe beantragt, 40 haben Zuschüsse bekommen. Manche davon auch in der maximalen Höhe von 14.500 Euro (Förderungen können auf der Website der Wirtschaftsagentur beantragt werden).

Auch David Rüb vom Sneaker-Shop „Zapateria“ bekommt so einen Zuschuss. Und obwohl die Baustelle bis jetzt „Pipifax“ war, wie er sagt –  noch handelt es sich ja um Vorarbeiten – sei der Umsatz eingebrochen. Für ihn gibt es jetzt zwei Optionen: „Entweder wir ziehen um, oder wir hören ganz auf.“

Endstation Kirchengasse: Wie die U-Bahn-Baustelle Existenzen bedroht

Die Baustelle trifft Rüb nicht nur wirtschaftlich, sondern auch sozial: Seine direkten Nachbarinnen vom Sight-Store und dem Wiener Label Kitsch Bitch sind schon weggezogen und haben gemeinsam an der Ecke Neubaugasse/Westbahnstraße neu eröffnet.

Endstation Kirchengasse: Wie die U-Bahn-Baustelle Existenzen bedroht

Lisi Lang hat mit ihrem Modegeschäft „lila“  schon die Flucht in Richtung Westbahnstraße angetreten. Die Herrenboutique „La Moustache“ hat vor dem Sommer aufgegeben. Seitdem sind die Auslage mit Packpapier ausgeklebt.

Endstation Kirchengasse: Wie die U-Bahn-Baustelle Existenzen bedroht

Zwei bis drei Jahre eine massive Baustelle vor der  Geschäftstür, insgesamt acht Jahre Bauarbeiten –  das ist für viele existenzbedrohend. Manfred Lindner büßte im Juni, Juli und August  30 Prozent des Umsatzes in seinem Shop „Disaster Clothing“ ein.

Das Sommergeschäft ist für ihn wichtiger als das Weihnachtsgeschäft: „Ich weiß nicht, ob ich das überleben kann.“ Auch er überlegt, wegzuziehen. Dabei war Lindner  schon auf der Kirchengasse, also es sonst  nur den Niessner mit seinem Geschirr gab. Vor allem in den vergangenen zehn Jahren habe sich die Kirchengasse zu einer lebendigen Einkaufsstraße abseits der großen Ketten entwickelt.  „Es wäre schad’ drum“, sagt Lindner

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