Ein Pickerl als Test für die Demokratie

Erst Fakten schaffen, dann abstimmen – das ist der Plan für die Erweiterung der Parkpickerlpflicht in Wien. Die Grünen erhoffen sich weniger Autoverkehr in der Stadt, die ÖVP spricht von Augenauswischerei. VP-Wien-Chef Manfred Juraczka diskutiert mit dem Grünen Gemeinderat Christoph Chorherr über Parkgebühren und Volksabstimmung.
KURIER: Herr Juraczka, besitzen Sie ein Parkpickerl?
Manfred Juraczka: Nein, denn ich bin in einem Wiener Außenbezirk wohnhaft, wo derzeit keine Parkpickerlpflicht gilt. Wenn ich ins Büro in der Innenstadt fahre, stehe ich in der Parkgarage.
Herr Chorherr, Sie gelten als begeisterter Radfahrer. Wie steht’s bei Ihnen mit Parkpickerl?
Christoph Chorherr: Ich besitze ebenfalls keines. Weil meine Wohnung günstig liegt, kann ich täglich mit dem Fahrrad ins Büro fahren. Zudem besitze ich eine Jahresnetzkarte der Wiener Linien. Und wenn ich am Wochenende mit dem Auto aufs Land fahre, nütze ich eines über ein Car-Sharing-Modell.
Ich besitze ein Fahrrad, aber auch ein Auto samt Parkpickerl. Warum soll ich als Wiener in Summe 170 Euro jährlich zahlen, wenn ein Bewohner im 15. oder 16. Bezirk derzeit nichts zahlt. Das ist doch ungerecht ...
Chorherr: Die Parkraumbewirtschaftung innerhalb des Wiener Gürtels hat sich bewährt, der Autoverkehr hat abgenommen, in manchen Bezirken gehen auch die Zulassungszahlen zurück. Jetzt geht es darum, diese sinnvolle Maßnahme auszuweiten, um einen Lenkungseffekt zu erzielen. Das ist etwas, das in allen Städten der Welt passiert, nämlich den Autoverkehr zu reduzieren und den öffentlichen Raum für Radfahrer und Fußgänger attraktiver zu machen.
Juraczka: Wir wollen den Menschen die Wahl bieten, indem man erst attraktive Öffi-Angebote schafft. Die Grünen wollen die Menschen zum Umstieg zwingen. Ziel ist, dass die Pendler recht früh am Stadtrand ihr Auto abstellen. Der ewige Kritikpunkt am aktuellen Modell ist, dass man in Ottakring die gleichen Tarife für Parken zahlt wie in der Innenstadt. Das ist kein Anreiz für Pendler, mit dem Auto nicht in die Stadt zu fahren.
Wie will man das Problem lösen, dass täglich die Wiener Stadteinfahrten verstopft und Parkplätze Mangelware sind?
Chorherr: Der öffentliche Raum ist knapp und kostet Geld. Mit der Erweiterung des Parkpickerls wird jetzt ein Schritt gesetzt, um dem öffentlichen Raum einen Preis zu geben. Ich bin überzeugt, dass es einen Lenkungseffekt geben wird. Wer weiter mit dem Auto fahren möchte, kann es, aber parken wird maßvoll teurer. Und in London oder Paris kostet es ein Vielfaches von Wien. Gleichzeitig hat die Rot-Grüne Stadtregierung die Jahresnetzkarte verbilligt. Das hat wunderbare Auswirkungen. Die Wiener Linien verkaufen das Vier- bis Fünffache von früher.
Juraczka: Die Nachfrage nach dem günstigen Jahresticket zeigt nur, dass Menschen die Angebote annehmen, wenn es sie gibt. Aber Sie, Herr Chorherr, wollen ja langfristig, dass das Fahrrad das Verkehrsmittel Nummer eins wird in Wien und das Auto zurückdrängen.

Die Grünen haben vor den Wahlen gar die autofreie Ringstraße gefordert ...
Chorherr: Ja, es soll Zonen geben, die autofrei sind. Als beispielsweise die Kärntner Straße zur Fußgänger-Zone wurde, war die Aufregung ebenfalls groß. Heute kann sich keiner mehr vorstellen, dass dort Autos fahren. Langfristig ist für mich auch denkbar, dass der Wiener Ring autofrei wird. Das war auch schon bei der Europameisterschaft 2008 in Wien über Wochen problemlos möglich.
Herr Chorherr, das Parkpickerl spült laut Schätzungen derzeit rund 60 Millionen Euro in die leeren Stadtkassen. Wie viel Euro soll denn die Ausweitung bringen?
Chorherr: Das ist schwierig einzuschätzen, denn je wirksamer das Parkpickerl ist, desto weniger Autos werden fahren. Aber wir rechnen mit einer Größenordnung von 30 bis 50 Millionen Euro.
Wird das Geld wenigstens zweckgebunden und für neue Park-and-Ride-Anlagen oder U-Bahnbau verwendet?
Chorherr: Ich bin dafür, dass neue Park-and-Ride-Anlagen entstehen. Die müssen aber voll sein. Wo es Sinn macht, soll es auch Garagenbau geben. Ein Großteil der neuen Mittel soll in Öffis investiert werden, etwa in den Bau neuer Straßenbahnen.
Juraczka: Es freut mich, wenn Herr Chorherr sich neue Park-and-Ride-Anlagen vorstellen kann. Bisher waren die Grünen ja immer dagegen. Aber wir sind d’accord, sie dürfen nicht leerstehen. Es gibt Studien, die zeigen, dass sie bisher viel zu nahe am Stadtzentrum gebaut wurden. Es braucht neue Anlagen an den Stadträndern mit einem ordentlichen U-Bahn-Anschluss.
Steckt hinter der Parkpickerldiskussion letztlich der ewige Streit Autofahrer gegen Radfahrer?
Chorherr: Die Parkraumbewirtschaftung hat in erster Linie einen Lenkungsaspekt. Es wird weniger Autoverkehr in der Stadt geben, die Luft wird besser, etc. Das führt auch zum Nachdenken, ob man ein eigenes Auto braucht.
Im Streit geht es nicht nur um Auto vs. Fahrrad, es geht auch um den Einsatz der direkten Demokratie. Die ÖVP hat 150.000 Unterschriften gesammelt gegen das Parkpickerl-Modell und es kommt dennoch. Kann man den Wunsch von jedem siebenten Wahlberechtigten in Wien einfach ignorieren?
Chorherr: Nein, das kann man nicht. Wir haben einige Adaptierungen vorgenommen, um dem gerecht zu werden. Grundsätzlich müssen wir uns aber fragen, wollen wir eine Demokratie, wo laufend Volksbefragungen das Aushandeln – das Politik ausmacht – ersetzen? Ich habe sehr große Zweifel an der Sinnhaftigkeit, denn wir Politiker wurden auch gewählt, um manchmal unpopuläre Dinge zu entscheiden. Demokratie ist mehr als das Stellen von Ja/Nein-Fragen.

Aber ist es nicht bizarr, erst Fakten zu schaffen und dann die Wähler darüber abstimmen zu lassen? Das ist, als ob man Hainburg erst gebaut hätte und danach darüber abstimmt ...
Chorherr: Den Vergleich weise ich zurück. Das Parkpickerl ist eine organisatorische Maßnahme, keine bauliche. Ein Kraftwerk kann man nicht ohne Weiteres rückbauen. Da verweise ich auf positive Erfahrungen in Stockholm, wo der Prozess ganz ähnlich war.
Herr Juraczka, nicht nur die Grünen, auch die ÖVP hat sich zuletzt intensiv mit dem Thema direkte Demokratie beschäftigt. In Graz sind zuletzt die Bemühungen von VP-Bürgermeister Nagl für eine Umweltzone gescheitert, in Wien scheint man Angst vor ähnlichen Erfahrungen zu haben. Kann man Wähler über unpopuläre Themen abstimmen lassen?
Juraczka: Man darf sich vor dem Wähler nicht fürchten. Zum einen ist jeder Wahlsonntag eine ganz entscheidende Abstimmung, in welche Richtung ein Land geht. Zum anderen gibt es schon jetzt die Möglichkeit, dass Menschen bei ganz wichtigen Dingen abstimmen können.
Die ÖVP hat aber zuletzt Vorschläge gemacht, das Volk weitaus öfter zu befragen. Wandelt sich die ÖVP von der staatstragenden Partei hin zur populistischen Partei, die jedes Mal die Bürger mitbestimmen lässt?
Juraczka: Populismus wäre, wenn ich immer nur die Volksmeinung nachspreche, ohne Aufklärungsarbeit zu leisten. Ich bin selbstverständlich für mehr direkte Demokratie, aber sie kann nicht zum Ziel haben, dass sich die Politiker selbst abschaffen. Die Politik muss Lösungen erarbeiten. Dass man diese Konzepte dann den Menschen zur Abstimmung bringt, halte ich für sinnvoll.
Wenn man über das Parkpickerl abstimmt, dann könnte man doch auch über die Griechenland-Hilfe abstimmen, oder?
Juraczka: Wenn es eine große Anzahl von Menschen gibt, die eine direkte Mitbestimmung verlangen, muss man darüber reden. Aber als politische Partei muss man auch Überzeugungsarbeit leisten und die Menschen für das begeistern, was man umsetzen möchte. Gegen den Willen der Menschen wird es langfristig nicht gehen.
Abschließend: Können Sie sich vorstellen, dass bereits bei der nächsten Nationalratswahl neue Formen der direkten Demokratie gelten?
Juraczka: Ich bin für mehr direkte Demokratie, Vorschläge haben wir in der ÖVP bereits präsentiert. Es gibt verschiedene Überlegungen, etwa ein Bürgerbeteiligungsausschuss in der Stadtverwaltung oder die massive Verringerung der Hürde bei den Vorzugsstimmen.
Chorherr: Die Diskussion um direkte Demokratie ist heftig, auch innerhalb der Parteien, sowohl bei den Grünen als auch bei der ÖVP. Im Grunde genommen müssen wir unsere repräsentative Demokratie erneuern. Wir sollten das Wahlrecht viel stärker mit Persönlichkeitselementen ausstatten, damit Leute nicht nur Parteien, sondern auch Personen wählen können, denen sie vertrauen. Aber wir sollten unser Modell der repräsentativen Demokratie nicht leichtfertig aufgeben für ein Modell, wo die Menschen immer mit Ja oder Nein entscheiden. Der Volkswille liegt nicht auf der Straße, sondern muss mühsam als Kompromiss erarbeitet und erkämpft werden.
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