Doppelstaatsbürger: Plötzlich Türke

Doppelstaatsbürger: Plötzlich Türke
Ein Wiener wurde aufgefordert, seinen Wehrdienst in der Türkei abzuleisten – und fiel aus allen Wolken.

Roman H. (Name von der Redaktion geändert, Anm.) ist Österreicher. Dachte er zumindest bis vergangenen Herbst. Da bekam seine Mutter einen Anruf. Am Telefon war ein Vertreter eines türkischen Konsulats. In dem Gespräch wurde die Mutter von Roman H. aufgefordert, dass ihr Sohn den Wehrdienst als türkischer Staatsbürger abzuleisten habe – oder sich wahlweise um 1000 Euro freikaufen könne. (mehr zum Thema siehe Zusatzgeschichte).

„Ich bin aus allen Wolken gefallen“, sagt Roman H. Denn mit der Türkei verbindet ihn nichts. „Ich war als Kind dort. Aber seit 30 Jahren nicht mehr. Ich kann kein Wort türkisch. Ich wurde österreichisch erzogen.“ Aufgewachsen ist Herr H. in einem kleinen Ort am Land. Nur: Sein Vater ist türkischer Abstammung. Und genau da vermutet Balazs Esztegar, der Anwalt von Roman H., das Problem. Der Vater von Herrn H. wurde in den 1980er-Jahren in Österreich eingebürgert. Und damit auch seine minderjährigen Kinder. Doch Jahre später fuhr er in sein Heimatland. Und dürfte dort vermutlich wieder die türkische Staatsbürgerschaft angenommen haben. Fragen kann man den Vater nicht mehr – er ist ein Pflegefall.

Still und heimlich

„Der Vater wird vermutlich in der Annahme leben, er ist halt beides. Türke und Österreicher. Er hat’s halt still und heimlich gemacht. Wo kein Kläger, da kein Richter. Nur entspricht das nicht der Rechtslage“, sagt der Anwalt. Doch damit wäre auch Roman H. wieder Türke.

Der Mittvierziger arbeitet im Sozialbereich und lebt in Wien. Zwei Tage nach dem Telefongespräch kam die Aufforderung zum Antritt des Wehrdienstes auf dem Postweg. „Da wurde mir klar, dass ich ein Problem haben könnte. Wenn die behaupten, ich habe die türkische Staatsbürgerschaft – aber ich weiß nur von der österreichischen – wer wird da Recht haben?“ Auf diplomatischem Weg lässt sich das nicht feststellen.

Doppelstaatsbürger: Plötzlich Türke

Anwalt Esztegar sucht mit seinem Mandanten  eine Lösung

Rechtsanwalt Esztegar wollte den Sachverhalt mit dem Konsulat klären. „Aber mir wurde am Telefon klargemacht, dass man als türkische Behörde nicht gewillt ist, einem österreichischen Anwalt schriftlich zu antworten. Man sagte mir nur: Es gibt da was in der Türkei.“

Es kursieren Listen von angeblichen (illegalen) Doppelstaatsbürgern. Allein 1500 Wiener Austro-Türken haben vom Magistrat die Aufforderung bekommen, den Sachverhalt zu klären. Vier Wiener verloren ihre österreichische Staatsbürgerschaft.

Viele schlaflose Nächte hatte Roman H. seither. Sein Vater, sagt er, sei ein typischer Türke mit großem Nationalstolz. „Er hatte schon eine starke Bindung zu dem Land. Für ihn war es schwierig, dass wir die österreichischen Werte gelebt haben.“

Herr H. wird abwarten. Er wird den Wehrdienst in der Türkei nicht antreten, auch keine 1000 Euro bezahlen. In Österreich wurde er übrigens als untauglich eingestuft.

Sollte der Name von Herrn H. auf den Listen der vermeintlichen Doppelstaatsbürger zu finden sein, sprechen Argumente für ihn: „Die Mutter ist Österreicherin. Deshalb ist sehr wahrscheinlich die österreichische Staatsbürgerschaft nicht verloren gegangen“, sagt Esztegar, der sich auf Staatsbürgerschaftsrecht spezialisiert hat und im Vorjahr einen Kommentar dazu veröffentlicht hat ( Jan Sramek Verlag). Zudem hat die Mutter der Wiedereinbürgerung mit Sicherheit nicht zugestimmt. Und dann gilt auch noch die „Putativösterreicher-Regelung“: Wenn jemand, ohne es selbst verschuldet zu haben, für einen längeren Zeitraum von der Behörde fälschlich für einen Österreicher gehalten wurde, sich aber herausstellt, dass er das nicht ist, kann er diesen Umstand sanieren.

Rechtliche Klarheit bekommt Herr H. nur durch ein Feststellungsverfahren. Dieses Risiko will er nicht eingehen.

Freikauf vom Wehrdienst bringt der Türkei Milliarden

1000 Euro. Auslandstürken sind für die Türkei ein einträgliches Geschäft. Denn auch sie müssen  ihren Wehrdienst in der Heimat absolvieren. Doch es gibt eine andere Lösung: Man kann sich auch davon freikaufen.
Bis zum Jahr 2013 war das allerdings eine teure Angelegenheit. 10.000 Euro mussten Auslandstürken für den Freikauf zahlen. Doch das löste harsche Kritik der Communities im Ausland aus – nur die Söhne reicher Türken konnten sich das leisten. Nach einem Treffen zwischen Präsident Recep Tayyip Erdoğan und Auslandstürken wurde die Summe gesenkt – auf 6000 Euro. Bei  Erdoğans Wahlkampftour im Jahr 2014, die ihn unter anderem auch nach Wien führte, kündigte er an, den Betrag auf 1000 Euro senken zu wollen. Diese Regelung trat 2016 in Kraft.
Der Freikauf ist ein Milliarden-Geschäft. Laut türkischer Regierung wurde in den Jahren 1995 bis 2012 rund eine Milliarde Euro eingenommen. Aktuelle Zahlen gibt es nicht – KURIER-Anfragen bei türkischen Ministerien und der türkischen Botschaft in Wien blieben unbeantwortet.
Alternativen zum Wehrdienst, etwa Zivildienst,  gibt es in der Türkei keine. Wer den Wehrdienst nicht leistet, gilt als fahnenflüchtig und wird festgenommen. Auslandstürken sollten dann besser nicht mehr in die Türkei reisen.

 

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