Ein weiteres Ende von Wien: Triste Straße nach Triest

Als Wiener könnte man auf die Idee kommen, die Triester Straße vom Adjektiv trist abzuleiten. Wobei nach dieser Logik die Brünner Straße im Norden, die Wagramer Straße im Nordosten, die Simmeringer Hauptstraße im Osten und die Hadikgasse im Westen ebenso heißen müssten.
Also doch Triest! Süden, Sehnsucht, Sonne und Meer.
Bis auf Weiteres ist jedoch an diesem Ende von Wien noch keine Sonne in Sicht. Nur Fernweh macht sich breit: Bitte bringt mich so schnell wie möglich von dieser asphaltierten Hölle weg!

„Autoankauf Bar Sofort“
Die Stadtverwaltung hat dem Straßenzug in Richtung Triest zwei unterschiedliche Namen verpasst: Auf den Schildern mit den Hausnummern für die Postler ist sie die Triesterstraße, auf Straßenschildern steht hingegen Triester Straße. Den Hinweis auf die seinerzeit kaiserlich-österreichische Hafenstadt gibt es übrigens seit dem Jahr 1883.
Hier ist jedenfalls die alte Weltordnung konservativer Autofahrer noch in Takt: Auf den vier Fahrspuren können sie noch richtig Gas geben: kein Tempo 30, auch kein Radweg weit und breit.
An jeder zweiten Ecke ist ein Gebrauchtwagenhändler („Autoankauf Bar Sofort“), zu sehen, und auch ein „Moped-Center“. Und weil man auf dem Weg in Richtung Triest mehr Sprit benötigen wird, fehlt es auch nicht an Tankstellen.

„Autoankauf Bar Sofort“: Die Werbung dieses Händlers ist unmissverständlich.
Aufgelockert wird dieses wenig einladende Ensemble durch ein- und zweistöckige Häuser in suboptimaler Lage und ebensolcher Qualität. Zu ihnen passen optisch auch die Laufhäuser. Das kulinarische Highlight ist wohl die Pizzeria Marino – auch in Ermangelung von Mitbewerbern.
Die Quergassen, die nach Erlaa und nach Siebenhirten führen, haben nett klingende Namen wie etwa Schönwiese- oder Goldhammergasse. Auf der anderen Straßenseite gibt es noch eine Konsumstraße.
Manches Fundstück wie das historische Motorrad der tschechischen Firma Jawa in der mindestens ebenso verstaubten Auslage eröffnet sich nur jenen Flaneuren, die auf der Triester Straße unbeirrt zu Fuß unterwegs sind.

Fundstück: altes Motorrad der Firma Jawa in ebenso verstaubter Auslage.
Ein verstaubtes Juwel
Die „Jawa“ erinnert an eine Zeit, als jene Wiener Kinder als privilegiert galten, die mit ihren Eltern im Sommer nach Italien oder in das damalige Jugoslawien in Urlaub fahren durften, auf der recht engen Rückbank eines VW-Käfers oder eines Opel Kadetts, um nur zwei fahrbare Untersätze der späten 1960er- und frühen -70er-Jahre zu nennen.
Kurz vor dem Ende des Stadtgebiets schaltet eine Ampel auf Rot, und eine blau-weiße Garnitur der Badner Bahn kreuzt die mehrspurige Bundesstraße. Die Bahn fährt dann weiter Richtung Süden, parallel zur Landesgrenze.

Kurz vor der Stadtgrenze kreuzt die Badner Bahn die alte „17er“.
Die Triester Straße ist auch an einem Werktag viel befahren. Dabei führt sie fast parallel, nur wenige Meter entfernt, von der A23 bzw. A2 aus der Stadt. Als man noch zu den Jugoslawen fuhr, gab es noch keine Autobahn. War die Triester Straße damals weniger trist? Vielleicht ist sie weniger aufgefallen. Ganz Wien war derart grau, von den Häusern bis zu den Mänteln und Hunden seiner Bewohner.
Bei Nummer 242 ist dann Schluss mit Wien. Der rote Schrägstrich auf der weißen Ortstafel zeigt ein wenig grandioses Finale an. Das Problem der alten „17er“, wie die Bundesstraße heute noch genannt wird, ist aber: Sie wird in Niederösterreich auch nicht schöner. Zumindest auf den ersten Kilometern nicht.
Grüße von Mur und Mürz
Doch irgendwann führt die alte Reichsstraße auf den Semmering, und irgendwann erreicht sie das Mürz- und das Murtal. Spätestens dort ist die Wiener Tristesse vergessen.
Wo Wien endet: Das Ende von Wien ist dort, wo ein Schild mit dem roten Schrägstrich meist nicht weit entfernt ist. Die Peripherie Wiens wird poetisch „Saum der Stadt“ genannt.
Die Sommer-Serie: Folgen Sie bitte auch weiterhin unseren „Saum“-Berichten in diesem Sommer.
Heute Teil 7: Im Süden des 23. Bezirks führt die Triester Straße fast ohne Schnörkel, dafür laut tosend aus der Stadt hinaus. Bis zur Hausnummer 242 reicht Wien. Dahinter beginnt Niederösterreich. Und am Ende der alten Reichsstraße, die im Volksmund auch 17er-Bundesstraße genannt wird, wartet Triest. Und das Meer.
136,5 Kilometer lang ist die Grenze zwischen dem Land Wien und Niederösterreich.
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