Das Ende von Wien, oder: Diverse Grenzgänger in der Lobau

Mit einem Karacho, elegant, mit charakteristischem Pfiff und buntem Federkleid pfeift der Eisvogel unter der Brücke hindurch. Die heißt übrigens Gänsehaufentraverse, führt über das Kühwörther Wasser und bietet auch den Laien einen ersten Anhaltspunkt für die Grenze zwischen Wien und Niederösterreich.

Freiluftkino: das Kühwörther Wasser – quasi stadteinwärts. Nur wenige Meter weiter (nach rechts) beginnt Niederösterreich
Barrierefreie Lobau
„Der Eisvogel hat seine Speisekarte in Wien und Niederösterreich“, weiß Förster Markus Breuer, während er dem Mini-Flugkünstler mit seinem Fernglas weiter folgt.
Breuer ist ebenso eine Art Grenzgänger. Er wohnt in Orth an der Donau, in NÖ, erledigt seine Büroarbeit in Großenzersdorf, in NÖ. Sein Arbeitgeber ist jedoch der Forst- und Landwirtschaftsbetrieb der Stadt Wien. Und zuständig ist er für jene Teile im Nationalpark Donauauen, die dem Land Wien gehören.

Wohnt in Orth an der Donau, arbeitet in Wien: Markus Breuer.
Eine halbe Stunde mit dem passionierten Förster, genauer gesagt Nationalpark-Förster, auf dem Hochstand gleich neben besagter Brücke ist ein Geschenk, ganz großes Kino: Während der Eisvogel weiter seine Runden zieht, lässt sich jetzt auch Familie Seeadler in Wien blicken.
Und vielleicht sollte Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ), der gerne auf die faire Mittelverteilung der benachbarten Bundesländer pocht, mit den Seeadlern ein ernstes Wort reden.

Hier beginnt der niederösterreichische Teil der unteren Lobau.
„Sie brüten dort unten“, zeigt der Förster in Richtung Niederösterreich. Dann dreht er sich um. „Siebzig Prozent ihrer Beute holen sie sich aber auf dieser Seite.“ In Wien.
Kaum gesagt, tauchen im Fernglas acht Wildschweine und ein Nachzügler auf. Das Rotwild, Hirschkuh und ein Kalb, schwimmt indes nomen est omen gemütlich durch das Kühwörther Wasser. Und der Hirsch schwimmt, wenn er hungrig und brunftig ist, sogar durch die Donau. Dabei quert er die Landesgrenze. Und damit es jetzt richtig kompliziert wird, sind für ihn auch dort die Förster der Stadt Wien zuständig.

Ein Wels namens Mundl
Gut siebzig Fischarten sind in den Gewässern der Lobau vertreten, so Förster Breuer. Wobei sich der Wels als Mundl im Tierreich erweist. Ernst Hinterberger, Erfinder der Kultfigur, hätte wohl eine Freude am Wiener Wels gehabt: Wenn der genügend Nahrung findet, verlässt er sein Revier nicht. Ein echter Wiener geht nicht unter.
Tagespendler sind neben dem Eisvogel auch der Barsch und die Rotfeder. Für sie ist die Lobau auf beiden Seiten der Grenze paradiesisch.
Könnten die Rehe und die Wildschweine lesen, hätten sie eventuell weniger Stress. „Abschuss- und Schonzeiten weichen in Wien und Niederösterreich voneinander ab“, macht Nationalpark-Förster Breuer auf kleine, aber feine Unterschiede aufmerksam.
Den Silberpappeln und Weiden ist der Föderalismus hingegen ziemlich egal. Ihr wattebauschartiger Samen fliegt über alle Grenzen.

Einsame Zille am unteren Ende des Wiener Lobau-Teils
Das Happy End von Wien
Bleiben noch die Besucher des Nationalparks: Egal ob sie am Ende von Wien oder auf der anderen Seite unterwegs sind. Markus Breuer bittet sie, sich möglichst respektvoll in der Au zu bewegen: „Bitte nur dort Rad fahren, wo Radwege ausgeschildert sind. Bitte keine Tiere und keine Pflanzen in der Au aussetzen und auch nichts aus der Au mitnehmen. Bitte kein Feuer entfachen.“
Die Liste der Bitten ist noch länger. In der Pandemie haben viele den Nationalpark als Ausflugsziel entdeckt. Seither sind Flora und Fauna mehr unter Druck. Daher die Bitten. Damit das Ende von Wien ein Happy End bleibt.
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