Seit drei Jahren wird im Keller des Seniorenwohnheims „Haus Atzgersdorf“ gebraut: „Eine Schnapsidee“, die in der Pandemie entstanden sei, erzählt Seniorenheim-Mitarbeiter Günther Wallner, in einer Zeit mit wenigen Kontakten und viel Einsamkeit. „Da haben wir uns gedacht: Warum brauen wir nicht einfach gemeinsam Bier? Warum sollen wir das den Hipstern überlassen?“
Gesagt, getan, gebraut
Also wurde im Keller eine kleine Anlage installiert und fortan jeden Donnerstag gebraut. Was in Atzgersdorf begann, wurde bald in der weiten Welt bekannt: So berichteten etwa bereits die Süddeutsche Zeitung, die Augsburger Allgemeine oder das ZDF über das Projekt. Sogar der Fernsehsender CBS Miami brachte einen Beitrag.
Darauf ist man freilich sehr stolz. Und doch ist so ein Pressetermin immer noch etwas Besonderes: Rupert Jaksch, 88, hat für den Besuch des KURIER sein rotes Lieblings-Hawaiihemd angezogen. „Gegen die Falten, das lenkt davon ab“, sagt Herr Jaksch und zwinkert. Er ist fast immer mit von der Partie und hat großen Spaß.
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„Zack, zack“, sagt er dann zu seinem Tischnachbarn Gustav Paier, und fordert ihn zum flotteren Flaschenetikettieren auf. „Ich werde gerade interviewt bitte“, erwidert Herr Paier, Jahrgang 1939, resolut. Und beginnt gleich zu erzählen: Über seinen Beruf als Nachrichtentechniker, als er 1991 über Funk den Weltraumflug von Franz Viehböck begleitet hat. „Aber jetzt, in der Pension, wollte ich auch einmal das Bierbrauen probieren.“
Zwei Sorten gibt es mittlerweile: Das Wiener Lager namens „Oma“ oder „Opa“ und das Helle namens „Hellga“ oder „Hellmut“. Welches der beiden ihnen besser schmeckt? „Wir finden, sie schmecken gleich. Aber psssst“, erwidern die beiden Herren und grinsen.
Während die Männer Späße machen, ist die einzige Dame am Tisch, Ingeborg Zeller, 92, emsig bei der Sache: Flasche um Flasche versieht sie mit einem „Hellga“-Etikett. „Die Frau Zeller ist schneller als jede Maschine. Sie ist die Disziplinierteste von uns“, geben die Herrn freimütig zu und lachen.
Griss ums Craftbeer
Freilich, das Zusammensein, der Schmäh, das sei das Wichtigste bei dem Projekt. „Aber es freut uns auch sehr, dass das Bier so ein großer Erfolg ist“, sagt Stephan Duursma, Direktor vom „Haus Atzgersdorf“. In allen 30 Seniorenheimen der „Häuser zum Leben“ in Wien wird es angeboten – meist ist es sofort ausverkauft.
„Daher haben wir heuer unsere Kapazitäten verdoppelt“, fügt er hinzu. Rund 150 Flaschen fülle man pro Woche mittlerweile ab. Doch es gehe nicht um Profit, sondern eben um die Freude, gemeinsam etwas zu tun.
Auch der 82-jährige „Braumeister“ Helmut Riegerbauer ist von Anfang an mit dabei. „Sonst tut sich ja nicht viel: essen, schlafen, spazieren. Hier ist es aber immer lustig.“
Kein Nachwuchsproblem
Diesmal schult er einen Neuling ein: Dieter Keplinger, 83, zog im Mai ins „Haus Atzgersdorf“. Er wollte unbedingt mit dabei sein, erzählt er: „Bier ist immerhin ein Lebenselixier.“ Vieles habe er schon gelernt, etwa das Desinfizieren der Flaschen oder das Maischen. „Er ist kein Lehrling mehr – er hat schon die Gesellenprüfung“, lobt ihn Riegerbauer und lacht.
Gegen 11.30 Uhr sind schließlich alle Flaschen verkorkt, etikettiert und in Kisten einsortiert. Es herrscht Aufbruchstimmung, das Mittagessen ruft. Bis zum nächsten Donnerstag, wenn das Bier wieder in die Flaschen rinnt und der Schmäh rennt.
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