Besuch im Bezirksmuseum Simmering: Die Vielfalt abseits der Vorurteile
Hradecky, Leban und Team: Helene Pal, Brigitte Brauneis, Elfriede Lenius (v. li.).
Was könnte romantischer sein als der Wiener Neustädter Kanal? Den meisten würden da vielleicht mehrere Dinge einfallen, bevor sie an den künstlich angelegten Wasserlauf aus dem 19. Jahrhundert denken, der seinerzeit die Schifffahrt vom Wiener Neustädter Raum bis nach Wien ermöglichte. Und doch ist dieser alte Transportweg im Leben zweier Menschen auch zum Symbol für privates Glück geworden.
Als Johannes Hradecky nämlich für ein Buch über sein Herzensthema im Bezirksmuseum Simmering recherchieren wollte, kreuzte er dort den Weg der Leiterin Petra Leban. Das war vor zwölf Jahren. Seitdem sind die beiden ein Paar – privat wie beruflich. Denn Hradecky steht seiner Lebensgefährtin als stellvertretender Museumsleiter zur Seite.
Es ist der Wissensdurst, der sie verbindet, sagt Leban. Er war es auch, der die Historikerin Anfang der 1990er-Jahre überhaupt ins Bezirksmuseum am Enkplatz führte. „Als Geschichtsstudentin wollte ich mir hier einmal das Kinderprogramm anschauen. Mein Vorgänger hat mich gefragt, ob ich nicht mitarbeiten will – und so bin ich dann dageblieben.“ Seit 1998 leitet sie das Bezirksmuseum Simmering.
Vorurteile beseitigen
Sie und ihr Partner wollen mit den Vorurteilen über den Bezirk aufräumen: „Es heißt immer, Zentralfriedhof, Kläranlage, Müllverbrennung – in Simmering seien nur Entsorgungsbetriebe. Aber das stimmt einfach nicht!“ Zum einen seien hier auch viele Betriebe angesiedelt, die die Stadt versorgen, zum anderen habe der Bezirk einen Grünflächenanteil von 44 Prozent. „Und in den alten Ortskernen von Alt-Simmering, Kaiserebersdorf und Albern, aus denen sich der Bezirk zusammensetzt, gibt es auch historische Grätzel. Simmering ist sehr vielfältig.“
Einst verkehrten von Pferden gezogene Lastenschiffe auf dem Wiener Neustädter Kanal (Modell), der auch durch Simmering führte.
Im Wandel
Das zeigt sich auch in der Sammlung des Bezirksmuseums – und im Lieblingsexponat der quirligen Leiterin: ein Flugzeugmodell samt Pilot mit gelbem, im Wind wehenden Schal. Es stellt den Flugpionier Louis Blériot dar, dessen Flugshow am 23. Oktober 1909 auf der Simmeringer Haide 300.000 Menschen anzog. Nur wenige Monate zuvor hatte der Franzose als erster Mensch den Ärmelkanal mit dem Flugzeug überquert.
„Er muss mit aufs Foto“, sagt Leban. Und nicht nur Blériot und Hradecky holt sie vor den Vorhang, sondern auch das Team, zumindest die drei langjährigen Mitarbeiterinnen, die an diesem Tag im Museum sind. „Meine Mutter hat auch schon im Bezirksmuseum gearbeitet“, sagt Elfriede Lenius, eine der Damen, nicht ohne Stolz. Die Gruppe stellt sich für das Foto vor dem Jugendstil-Apothekerschrank auf – einer Dauerleihgabe der Kaiserebersdorfer Elisabeth-Apotheke. „Wenn Sie die Schubladen öffnen, hängt da noch der Geruch der alten Arzneien im Holz“, sagt Leban andächtig.
Aktuell befindet sich das Museum im Umbruch, denn es ist Großes geplant. Im Laufe des kommenden Jahres wird die neue Dauerausstellung eröffnet, die gemeinsam mit der Stabstelle Bezirksmuseen des Wien Museums konzipiert wurde. Bis dahin können die wechselnden Sonderausstellungen und die Highlights der bisherigen Dauerausstellung besucht werden.
Bezirksmuseum
Enkplatz 2, 1110 Wien
Fr. 14 bis 17 Uhr, jeden 2. und 4. Sonntag im Monat 10 bis 12 Uhr.
Sonderausstellungen
„Historisches Simmering“, fotografiert vom Fotoklub der Wiener Linien – verlängert bis 31.10.
„Paradiso“, poetische Malerei der Simmeringer Künstlerin Irene Hondt, noch bis 31.10.
Infos unter: bezirksmuseum.at
Das Awarenmädchen vom Leberberg und seine Grabbeigaben.
Die Ur-Simmeringerin aus Innerasien
Dazu gehört auch die reich geschmückte, vollständig erhaltene Begräbnisstätte eines etwa sechsjährigen Awarenmädchens. Ihre Gebeine wurden in einem Gräberfeld aus dem 7. und 8. Jahrhundert entdeckt, das am heutigen Leberberg freigelegt wurde. „Die Awaren waren ursprünglich ein Reitervolk aus der Steppe Innerasiens“, erklärt Hradecky.
Er und Leban wollen nämlich mit einem weiteren Vorurteil über den Bezirk aufräumen: „Viele sagen, ,Es sind so viele Ausländer in Simmering, das war früher anders.’ Aber das stimmt überhaupt nicht. Durch seine Randlage im Osten der Stadt gab es im heutigen Simmering schon immer eine große kulturelle Mischung. Die Kulturen standen hier stets im Austausch miteinander.“
Historische Grenzsteine, Grabsteine und Pestkreuz im Hof des Bezirksmuseums.
Geschichten teilen
Den Austausch suchen Leban und ihr Team, die alle ehrenamtlich im Museum arbeiten, auch mit ihren Besucherinnen und Besuchern. „Es ist so interessant, wenn Menschen aus Simmering kommen, die vielleicht schon älter sind, und die uns aus ihrer Jugend im Bezirk erzählen“, sagt Leban. Und sie hängt gleich noch einen Appell an: „Kommen Sie vorbei! Wenn Sie historische Dinge zu Hause haben, die wir in unsere Sammlung aufnehmen sollen oder über die Sie uns etwas erzählen wollen: Kommen Sie und teilen Sie Ihre Geschichten aus dem Bezirk. Wir freuen uns!“
Besonders am Herzen liegt ihr die Vermittlung der Bezirksgeschichte und ihrer Besonderheiten an die Jugend. Für großes Staunen sorgt dabei immer ein spezieller Stein im sogenannten Steinegarten im Hof des Bezirksmuseums. Es ist ein alter Grenzstein der Pfarre Alt-Simmering aus dem Jahr 1675, auf dem unter anderem ein Eisenrost eingemeißelt ist.
Er steht für den Heiligen Laurentius, der auf einem glühenden Eisenrost hingerichtet wurde. „Die Kinder sind dann immer ganz fasziniert und sagen: ,Wie, er wurde gegrillt?!’“, erzählt Leban. Und so wird ein unscheinbarer Stein plötzlich hochinteressant.
Kommentare