83-Jährige soll für toten Sohn Mindestsicherung zurückzahlen

Impfschaden
Wienerin pflegte den Kranken zwanzig Jahre lang, Sozialamt steigt von Forderung nicht herunter.

In einer Wohnung in der Linzer Straße in Wien-Penzing sitzt die 83-jährige Gunthilde Schmidt und versteht die Welt nicht mehr. Sie hat die Wohnung mit ihrem Mann erworben und mit ihm und dem gemeinsamen Sohn Florian darin gelebt. Ihr Mann ist längst tot, auch der Sohn ist gestorben, sie hat ihn mehr als 20 Jahre lang allein gepflegt.

"Ich habe auf einer Matratze neben meinem Sohn geschlafen, jahrelang, in stabileren Phasen habe ich im Nebenzimmer geschlafen. Ich habe ihn nur zum Einkaufen kurz verlassen", erzählt Frau Schmidt. Und jetzt soll sie die Wohnung – das Einzige, was ihr noch geblieben ist – verlieren. Das Sozialamt der Stadt Wien erhebt Ansprüche (der KURIER berichtete) und kämpft das seit eineinhalb Jahren durch sämtliche Gerichtsinstanzen durch.

7. 12. 1965 – 12. 6. 2015: Zwei Impfungen (Tetanus und Polio-Salk) haben aus dem Psychologie-Studenten Florian binnen Wochen einen Pflegefall gemacht. In einem Gutachten und im Pflegegeldbescheid wird ein Impfschaden festgehalten, Entschädigungsanspruch wurde aber keiner anerkannt. Florian bekam von 2008 bis zum Tod seines Vaters 2010 Mindestsicherung. Diese rund 22.000 Euro will sich das Sozialamt von der "Erbin" zurückholen.

Wieso Erbin? Frau Schmidt hatte Florian die Eigentumswohnung nach dem Tod ihres Mannes überschrieben, damit er abgesichert ist, wenn sie nicht mehr da sein würde. Aber der Sohn starb vor ihr, also erbte sie die Wohnung von ihm wieder zurück. Für die MA 40 ist das verwertbares Vermögen, Ansprüche an Erben verjähren erst nach zehn Jahren, da ist also offenbar noch etwas zu holen.

Wohnbedürfnis

Der Anwalt Gerold Beneder wandte ein, dass Frau Schmidt ja ein dringendes Wohnbedürfnis hat. Und er rechnet gegen, dass der die Forderung weit übersteigende Pflegeaufwand der 83-Jährigen für ihren Sohn von niemandem entlohnt wurde.

"Am Anfang seiner Krankheit bin ich mit Florian kleine Runden im Freien gegangen. Er war empfindlich gegen Sonnenstrahlen und den leisesten Windhauch. Er hat gesagt: ‚Ich fühle mich atomisiert‘", berichtet Gunthilde Schmidt. Zuerst brach eine Allergie aus, dann bekam Florian einen Herzinfarkt und schließlich einen Zusammenbruch, von dem er sich nie mehr erholte.

Das interessiert den von der MA 40 eingeschalteten Verwaltungsgerichtshof allerdings wenig. Ein "allfälliger Pflegeaufwand" schmälere die Ersatzpflicht nicht, wurde Frau Schmidt beschieden. Auf das Wohnbedürfnis wurde gar nicht eingegangen. Das Verwaltungsgericht Wien, das die Forderung zunächst abgewiesen hatte, wurde angewiesen, die exakte Höhe der Forderung zu erheben (es gibt auch in dem Punkt Divergenzen) und einen neuen Bescheid auszustellen.

Bei der Verhandlung erschien zwar Gunthilde Schmidt mit ihrem Anwalt, vom Sozialamt fand es niemand der Mühe wert, der 83-Jährigen gegenüberzutreten. Der Richter musste vertagen, die unendliche Geschichte geht damit weiter.

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