Venedig versinkt im Massentourismus
© REUTERS/STRINGER/ITALYEmsiges Treiben am Kanal
Rummel statt Romantik: Eine Viertel Million Einwohner steht zehn Millionen Gästen gegenüber.
Menschenmassen schieben sich über den Markusplatz, über die Brücken und durch die Gassen von Venedig. An die zehn Millionen Gäste beherbergt die italienische Stadt pro Jahr in Hotels und Pensionen. Dazu kommen laut Kommune 14 Millionen Tagesgäste - bei 260.000 Einwohnern.
Die einmalige Kulisse, das besondere Licht, die Romantik - das zieht Touristenmassen an. Hinzu kommt Glamour durch Filme und Promihochzeiten - etwa von Hollywoodstar George Clooney und Amal (mehr dazu hier). Oder erst im Juli vom deutschen Fußball-Nationalspieler Bastian Schweinsteiger und Tennisspielerin Ana Ivanovic (mehr dazu hier).
© REUTERS/STRINGER
Serbian tennis player Ana Ivanovic boards a boat following the wedding ceremony with German football player Bastian Schweinsteiger in Venice, Italy July 12, 2016. REUTERS/Stringer FOR EDITORIAL USE ONLY. NO RESALES. NO ARCHIVES.
Die Bilder der glücklichen Paare mit wehenden Haare gingen um die Welt - aber so luftig ist es längst nicht überall in der Lagunenstadt. Das Gedränge und auch das Verhalten der Besucher gehen den Venezianern zunehmend auf die Nerven. Flugblätter mit der Aufforderung "tourists go away!!! you are destroying this area!" (Touristen geht weg, ihr macht diesen Ort kaputt) klebten in diesen Tagen an Wänden nahe der Kirche San Giovanni in
Bragora, berichtete derCorriere del Veneto.
Dem Vernehmen nach soll einem erbosten Geschäftsmann der Kragen geplatzt sein. Gerade in der Woche vor dem
Feiertag Ferragosto (15. August) erlebte
Venedig ein Fiasko. Die Brücke der Freiheit, einzige Auto-Verbindung vom Festland, musste geschlossen werden. Das ungewöhnlich schlechte Wetter mit schlimmen Regengüssen mitten in der Urlaubssaison hatte Strandurlauber animiert, sich ein Alternativprogramm zu suchen - auch Einheimische blieben in den Touristenströmen stecken.
© REUTERS/TONY GENTILE
Tourists sit in a gondola in Venice August 24, 2014. The 71st edition of the Venice Film Festival will start on August 27. REUTERS/Tony Gentile (ITALY - Tags: SOCIETY TRAVEL ENTERTAINMENT TPX IMAGES OF THE DAY)
"Das sind einzelne Fälle", kommentierte Wirtschaftsprofessor Jan van der Borg von der Universität Ca' Foscari in
Venedig das böse Flugblatt. Allerdings stiegen die Besucherzahlen in
Venedig stetig: Binnen zehn Jahren um rund 25 Prozent, zuletzt um gut zwei Prozent. "Es geht mehr darum, die Interessen von Einheimischen und Touristen unter einen Hut zu bringen", sagt die Tourismusreferentin
Paola Mar. "Das Problem haben aber auch andere Städte."
© EPA/ANDREA MEROLA
epa02836419 A queque of tourists on the San Zaccaria pontoon at Saint Mark's wharf wait for a boat during the transport strike in Venice, Italy, 22 July 2011. EPA/ANDREA MEROLA
Allerdings ist die Lagunenstadt mit ihrer sensiblen Bausubstanz ein besonderer Fall. Die für Kreuzfahrtschiffe nötige Vertiefung von Fahrrinnen sowie deren Wellenschlag bedrohen die Fundamente der Gebäude. Die
Unesco drohte wegen der Kreuzfahrtschiffe inzwischen mit dem Entzug des Welterbetitels. Gerade deren Passagiere sind nicht besonders beliebt. "
Venedig hat nichts von ihnen, wenn sie nur einen Tag kommen und einmal über den
Markusplatz gehen", sagt van der Borg.
© REUTERS/ALESSANDRO BIANCHI
Italian policemen patrol as tourists arrive at San Marco Piazza during the Venice Carnival, January 31, 2016. REUTERS/Alessandro Bianchi
"Die Zahl der Touristen ist zu hoch - und es fehlt an Qualität", sagt van der Borg. Wer sich ernsthaft für
Venedig interessiere und nicht einen Abstecher vom Strandurlaub mache, sei auch zu entsprechender Planung bereit. "Wir brauchen Reservierungssysteme." Zudem müsse es Anreize für die Wintermonate geben, um Besucher besser auf das Jahr zu verteilen.
© REUTERS/STRINGER/ITALY
Tourists travel on a canal in gondolas in Venice August 15, 2011.
REUTERS/Manuel Silvestri (ITALY - Tags: SOCIETY)
Im vergangenen Jahr sprach auch der frisch gewählte Bürgermeister
Luigi Brugnaro darüber, möglicherweise den Zugang zu Attraktionen wie dem
Markusplatz zu beschränken, etwa indem Tagestouristen im Voraus buchen müssten. Auch Tickets für den Zutritt zu der Stadt waren immer wieder im Gespräch - und umstritten. "Man muss auch an die jungen Leute denken, die nicht so viel Geld haben", sagt van der Borg. Auch rechtlich wäre eine solche Beschränkung vermutlich gar nicht so einfach umsetzbar. Immerhin gibt es für Einheimische seit Juni eigene Zugänge für die Wasserbusse, die Vaporetti. Damit müssen die Venezianer nicht mehr mit den Touristen Schlange stehen.
© REUTERS/STRINGER/ITALY
Tourists wait in line to take a ride on gondolas in Venice August 15, 2011.
REUTERS/Manuel Silvestri (ITALY - Tags: TRAVEL SOCIETY)
Unbekannte ließen die Urlauber kürzlich auch wissen, was sich gehört. An den Mülltonnen wurde lautCorriere del Venetoein weiteres Plakat gefunden: ein Schwein im Badeanzug, das Abfall auf den Boden wirft, mit der Aufschrift "Stop" und "Ich bin nicht willkommen in
Venedig", ebenfalls auf Englisch. Mancher bade einfach in den Kanälen, oder ziehe sich aus und gehe im Badeanzug herum, als sei
Venedig ein Badeort, sagt van der Borg. Andere biwakierten nachts auf dem
Markusplatz. Wieder andere kommen laut Tourismusreferentin
Mar mit dem Rad. "Sie verstehen einfach nicht, dass man in
Venedig mit den vielen Brücken und Gassen nicht Radfahren kann."
© REUTERS/STRINGER/ITALY
A canal in Venice is clogged with tens of tourist-laden gondolas on a recent summer day, August 15, 2011. Venice's resident population has sunk to little more than 59,000, down from about 175,000 at the end of World War Two. Lagoon die-hards are finding it ever more difficult to live normal lives as the city's infrastructure and stores are increasingly morphed to cater to tourists instead of residents. Picture taken August 15, 2011.
To match FEATURE ITALY-VENICE/PEOPLE REUTERS/Manuel Silvestri (ITALY - Tags: ENTERTAINMENT)
Doch selbst ohne solche Zwischenfälle geht es gerade in der Hauptsaison oft chaotisch zu:
Menschenmassen drängen sich durch Gassen, schieben sich über die Brücken und quetschen sich auf Boote. Auf dem
Canal Grande beschimpfen sich die Fahrer von Wassertaxis, -bussen, Privatbooten und Gondeln, die sich gegenseitig behindern. Und die Touristen? Die staunen über die einmalige Kulisse und ducken sich erschrocken, wenn der Nachbar auf dem Wassertaxi wieder mit dem Selfie Stick fuchtelt.
Kommentare