Nobelpreis für Physik geht an Higgs und Englert

Das Nobelpreis-Komittee machte es spannend. Mit einer Stunde Verspätung verkündete der Sprecher der Akademie zwei Namen: Francois Englert und Peter Higgs. Die beiden Forscher veröffentlichten 1964 Jahre unabhängig voneinander, im August und im Oktober, zwei grundlegende Arbeiten, die erklärten, wie die Teilchen des Universums ihre Masse erhalten. Der Nachweis dieser Theorie gelang erst im vergangenen Jahr.
Am 4. Juli 2012 gelang den Elementarphysikern im CERN am Teilchenbeschleuniger LHC (Large Hadron Collider) der Nachweis eines bislang unbekannten Elementarteilchens. Das Teilchen, es handelte sich wie man heute weiß um das Higgs-Boson, wurde bei einer Masse von 125 Gigaelektronenvolt (GeV) entdeckt. Das nach dem Physiker Higgs benannte Teilchen ist das zentrale Puzzlestück in der Theorie über den Aufbau des Universums. Es sorgt demnach dafür, dass alle Objekte eine Masse haben. Der heute 84-jährige Higgs hatte seine Existenz schon 1964 vorhergesagt, seine einzigen Hilfsmittel: Papier und Füllfeder. Er beschrieb ein unsichtbares Feld, das im Vakuum des Weltraums wie ein kosmischer Klebstoff wirkt. Einige Partikel bremst dieses Feld stärker ab, sie erhalten Masse. Andere Elementarteilchen (Photonen) treten ungehindert durch, sie bleiben masselos. Über die Tragweite seiner Entdeckung war er sich stets bewusst: "Wenn es dieses Teilchen nicht gäbe, gäbe es uns nicht." Tatsächlich würde das Universum ohne Higgs gänzlich anders aussehen. Es gäbe keine Sterne, keine Planeten, und letztlich auch keine Menschen.
Englerts erste Reaktion: "Sie können sich vorstellen, dass das nicht ganz unangenehm ist. Ich bin sehr, sehr glücklich."
Dabei wäre das Paper des genialen Theoretikers um ein Haar nicht erschienen, ein Verleger lehnte es ab, das kurze Manuskript hätte "keine Relevanz" lautete die Begründung.
Englert und Higgs haben einander im Vorjahr erstmals persönlich getroffen.
Kollegen mit Tränen in den Augen
Higgs' Kollegen in Edinburgh berichten dem Guardian, dass die Freude dort groß sei: Die lange Wartezeit - die Verkündung war heute mehrmals verschoben worden - sei zwar mühsam gewesen, dafür habe er jetzt Tränen in den Augen, meinte HIggs' Kollege Alan Walker. Der Forscher selbst sei derzeit für niemanden erreichbar: "Er ist auf Urlaub, ohne Handy. Er wollte einem medialen Ansturm entgehen."
Auch der britische Premier David Cameron war unter den ersten Gratulanten:
Im vergangenen Jahr ging die Auszeichnung an die beiden Quantenphysiker Serge Haroche (Frankreich) und David Wineland ( USA). Sie hatten unabhängig voneinander Methoden zur Messung und Manipulation einzelner Atome oder Photonen entwickelt und damit Einblick in die seltsam anmutende Quantenwelt ermöglicht. Übergeben wird der Preis alljährlich am 10. Dezember, dem Todestag des Stifters Alfred Nobel.
Higgs wird nicht auf Konferenzen gesichtet, antwortet nicht auf EMails und Anrufe, Öffentlichkeit im allgemeinen und Journalisten im speziellen schätzt er nur dann, "wenn sie die Physik verstehen".
Higgs wurde 1929in Newcastle als Sohn eines BBC-Toningenieurs geboren. Er studierte Physik in London. Nichts deutete nach dem Studium auf eine große wissenschaftliche Karriere hin. Zum Experimentieren fehlte ihm der praktische Sinn. Higgs zog es in die mathematische Theorie. Die lehrte er ab 1960 in Edinburgh. Dort schrieb er auch 1964 jene Arbeit, die ihn später berühmt machte. "Du bist berühmt", rief ein Freund 1972 ins Telefon, nachdem auf einer Konferenz in den USA ständig sein Name gefallen war. Der Name Higgs-Teilchen stammt nicht von ihm. Higgs spricht lieber vom A-B-E-H-G-H-Mechanismus, nach den Physikern Anderson, Brout, Englert, Higgs, Guralnik, Hagen und Kibble, die alle an der Theorie beteiligt waren.
Die Physiker Robert Brout und Francois Englert habven fast zeitgleich mit Higgs eine ähnliche Theorie entwickelt. Dass sich der Name Higgs durchgesetzt hat, liegt wohl daran, dass er kurz und griffig ist.
Dem Gefeierten - am 4. Juli 2012 gelang endlich der Nachweis des H-Bosons - ist der Rummel um seine Person mehr als lästig. Laut New York Times ließ Higgs im Vorfeld ausrichten, er sei am Dienstag nicht zu erreichen. Für niemanden, wohlgemerkt, bis auf das Nobelpreis-Komittee.

Der Physik-Nobelpreis wird seit 1901 vergeben. Die erste Auszeichnung erhielt der deutsche Physiker Wilhelm Conrad Röntgen für die Entdeckung der „X-Strahlen“, der später nach ihm benannten Röntgenstrahlen. Die Preisträger der vergangenen zehn Jahre waren:
2012: Serge Haroche aus Frankreich und David Wineland aus den USA für Fallen, mit denen sich geladene Teilchen (Ionen) und Licht (Photonen) einfangen lassen. Sie schufen damit Grundlagen für genauere Uhren und grundsätzlich neue Computer.
2011: Saul Perlmutter, Adam G. Riess (beide USA) und Brian P. Schmidt (USA und Australien) für die Beobachtung, dass sich das All derzeit immer schneller ausdehnt.
2010: Der Niederländer Andre Geim und der britisch-russische Physiker Konstantin Novoselov für ihre Arbeiten zu Graphen. Das einlagige Gitter aus Kohlenstoffatomen leitet hervorragend Hitze und Strom.
2009: Charles Kao (China), Willard Boyle und George Smith (beide USA) für die schnelle Datenübertragung durch Glasfasern sowie für den lichtempfindlichen CCD-Chip.
2008: Yoichiro Nambu (USA), Makoto Kobayashi (Japan) und Toshihide Maskawa (Japan) für die Entdeckung und Erklärung sogenannter Symmetriebrechungen in der Teilchenphysik, die das Verständnis der Natur entscheidend verbessert haben.
2007: Peter Grünberg (Deutschland) und Albert Fert (Frankreich) für die Entdeckung des „Riesenmagnetowiderstands“, durch den sich die Speicherkapazität von Computer-Festplatten drastisch erhöhen ließ.
2006: John C. Mather und George F. Smoot (beide USA) für die Entdeckung der Saat der Galaxien in der kosmischen Hintergrundstrahlung, dem „Echo des Urknalls“.
2005: Roy J. Glauber (USA) für Grundlagen der Quantenoptik sowie John L. Hall (USA) und Theodor W. Hänsch (Deutschland) für die Entwicklung einer laserbasierten Präzisionsmesstechnik für Lichtfrequenzen.
2004: David J. Gross, H. David Politzer und Frank Wilczek (alle USA) für Erkenntnisse zur Kraft zwischen den kleinsten Materieteilchen im Atomkern, den Quarks.
2003: Alexej Abrikosow (USA und Russland), Vitali Ginsburg (Russland) Anthony Leggett (USA und Großbritannien) für bahnbrechende Arbeiten zu Supraleitern und Supraflüssigkeiten.
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