Die Situation wird immer unerträglicher

KURIER: China wirft den Tibetern vor, sie seien Separatisten, die die Autonomie von " Groß-Tibet" anstreben (ein Viertel von China, Anm.). Was fordert die Tibetische Exil-Regierung wirklich?
Lobsang Sangay: Wir wollen echte Autonomie innerhalb Chinas. Wir fechten weder Chinas Souveränität noch seine territoriale Integrität an. Wir wollen ein administratives System, das alle Tibeter inkludiert. Wir wollen keine Mauer bauen, Zäune oder Checkpoints. Ich spreche vom Tibetischen Hochplateau. Sogar die Chinesen nennen es "Tibetisches" Plateau. Wenn die Autonomie nur das heutige Territorium umfasste, dann wären einige Regionen nicht dabei, aus der viele Tibeter stammen.
Gibt es in irgendeiner Weise Kontakt mit Peking?
Seit Jänner 2010 haben wir keinen Kontakt. Es werden zwar Nachrichten hin und hergeschickt, aber es gibt keinen formellen Dialog.
Wie halten die Exil-Tibeter Kontakt mit Tibet?
Die Menschen in Tibet sind über Radio, TV und Internet gut informiert. Tibeter gehen nach Tibet hinein. Hunderte fliehen auch. So wissen wir, was die Bedürfnisse der Menschen dort sind.
Warum häufen sich jetzt die Selbstverbrennungen?
Die Unterdrückung wächst, die Situation wird immer unerträglicher. Die chinesische Regierung erlaubt keine Art von Protest in Tibet. Keine Demonstration, nicht einmal Hungerstreik. Das verschlimmerte sich seit 2008. Heuer wurden acht Tibeter erschossen, weil sie demonstriert haben. Tibeter sagen sich: "Wenn ich ohnehin getötet werde, wenn ich protestiere, dann kann ich doch gleich sterben." Das ist tragisch, aber es ist die Realität. 35 zündeten sich seit März 2011 an, 27 starben.
Die Exil-Tibeter werfen China "kulturellen Völkermord" vor. Glauben Sie, dass sich viele junge Tibeter schon mit dem chinesischen Regime abgefunden haben?
Das Faktum, dass sich 35 Menschen angezündet haben, zeigt klar, dass der tibetische Geist noch sehr stark ist. Die, die jünger als 50 Jahre sind, haben noch nie den Dalai Lama gesehen, und dennoch protestieren sie.
Sie sind 44 und damit relativ jung. Denken Sie, dass Sie noch in Ihren Lebzeiten nach Tibet zurück können?
Ja, absolut. Deshalb habe ich meinen Job an der Harvard-Universität aufgegeben, deswegen habe ich Amerika verlassen und bin nach Indien zurückgegangen. Damit ich einmal nach Tibet zurück kann.
Wie finanziert sich die Exil-Regierung?
Über individuelle Spenden, Organisationen und Stiftungen. 30 Prozent der administrativen Kosten kommen von Tibetern selbst. Manche Regierungen leisten humanitäre Hilfe. So unterstützen uns zum Beispiel die Staaten Norwegen, Dänemark, Schweden, ein bisschen die Europäische Union und auch die USA.
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