Deutsche Fahnder suchen weiter nach KZ-Aufsehern

Nach Vorermittlungen gegen 50 Ex-Wärter werden Untersuchungen ausgedehnt. Österreichs Bemühungen "mangelhaft".

Mord verjährt nicht: Nach der Prüfung von 50 mutmaßlichen früheren Aufsehern aus dem Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau wollen Fahnder ihre Ermittlungen noch weiter ausdehnen. „Wir haben auch die anderen Vernichtungslager und die Einsatzgruppen im Blick“, sagte der Leiter der Zentralen Stelle der Justizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen, Kurt Schrimm, am Montag in Ludwigsburg. Weitere mögliche Täter aus Auschwitz werde die Behörde dagegen wohl keine mehr finden. „Wir gehen davon aus, dass Auschwitz damit abgearbeitet ist“, sagte Schrimm.

Am Wochenende war bekannt geworden, dass die Behörde Voruntersuchungen gegen 50 frühere KZ-Aufseher aus Auschwitz einleiten wird. Der Vorwurf gegen die Männer, die über ganz Deutschland verteilt leben und die um die 90 Jahre alt sein müssen, lautet auf Beihilfe zum Mord. „Wir versuchen zunächst herauszufinden, gegen wen eine Strafverfolgung juristisch noch möglich ist“, sagte Schrimm. Sollte es gegen Einzelne in der Vergangenheit bereits Gerichtsverfahren wegen ihrer Rolle in Auschwitz gegeben haben, so könnten diese nicht noch einmal belangt werden.

Tätigkeit in Vernichtungslagern ist Beihilfe zum Mord

Nach dem Urteil gegen den früheren KZ-Aufseher John Demjanjuk aus dem Jahr 2011 konnte die Zentralstelle ihre Fahndung nach mutmaßlichen NS-Tätern deutlich ausdehnen. Denn nach dem damaligen Richterspruch des Münchner Landgerichts – Demjanjuk war Wachmann im Lager Sobibor gewesen – reicht die Tätigkeit in einem Vernichtungslager aus, um wegen Beihilfe zum Mord belangt zu werden. Demjanjuk war wegen Beihilfe zum Mord in 20.000 Fällen zu fünf Jahren Haft verurteilt worden. Er starb im März 2012, bevor der deutsche Bundesgerichtshof über die Revision Demjanjuks entscheiden konnte.

Bei denjenigen unter den 50 Männern, die sich noch nicht vor Gericht hätten verantworten müssen, versuchten die Ermittler „zu rekonstruieren, wann er wo was gemacht hat“, sagte Schrimm. Derzeit stünde seine Behörde aber noch am Anfang: „Im Augenblick wissen wir nur Name, Adresse und Geburtsdatum.“ Kontakt zu den Männern hätten die Fahnder noch nicht aufgenommen. Das Lager Auschwitz-Birkenau im besetzten Polen war zwischen 1942 und 1945 das größte deutsche Vernichtungslager. Mehr als eine Million Menschen starben dort.

Sollten sich bei den Untersuchungen der Verdacht erhärten, dass jemand für seine Rolle in Auschwitz zur Verantwortung gezogen werden könnte, gäbe die Behörde die Akten an die Staatsanwaltschaft des Wohnorts des Verdächtigen zur Ermittlung weiter. Sollte dieser im Ausland sein, werde der Bundesgerichtshof informiert, der dann eine zuständige Staatsanwaltschaft in Deutschland festlege. Die Ludwigsburger Zentrale Stelle wird seit 1958 von den Bundesländern unterhalten. Sie hat seither insgesamt 7485 Vorermittlungsverfahren gegen mutmaßliche NS-Täter geführt.

Deutschland „gut“, Österreich „mangelhaft“

Das Internationale Auschwitz-Komitee begrüßt die Ermittlungen der deutschen Justiz. „Jetzt erreicht sie hoffentlich doch noch eine Spur der Gerechtigkeit und der Wahrheit. Es ist spät, aber noch nicht zu spät“, schrieb der geschäftsführende Vizepräsident des Komitees ehemaliger Auschwitz-Häftlinge, Christoph Heubner, am Samstag in einer in Berliner verbreiteten Erklärung. „Für die Überlebenden von Auschwitz, die die Bilder des Lagers und ihrer ermordeten Familien durch ihr ganzes Leben tragen, ist dies eine wichtige Nachricht.“

Auch der israelische Nazi-Jäger Efraim Zuroff ist froh über die Aufnahme von Vorermittlungen gegen 50 mutmaßliche NS-Täter in Deutschland. „Wir sind hocherfreut, dass diese Fahndungen jetzt begonnen haben“, sagte der Leiter des Wiesenthal-Zentrums in Israel am Sonntag. Er sei allerdings Realist und erwarte nicht, dass alle 50 mutmaßlichen KZ-Aufseher aus Auschwitz wirklich vor Gericht gestellt werden. „Wenn fünf bis zehn angeklagt werden, werde ich mich mitten in Berlin hinstellen und laut Hallelujah schreien“, sagte Zuroff.

Das Wiesenthal-Zentrum bescheinigt Deutschland im Gegensatz zu Österreich ernsthafte Bemühungen bei der strafrechtlichen Verfolgung von NS-Verbrechern. Die Einrichtung vergab in ihrem am Sonntag veröffentlichten Jahresbericht die Note „gut“ an Deutschland. Die USA erhielten sogar ein „sehr gut“. Die Bemühungen von Ländern wie Australien, Österreich, Estland, Lettland, Litauen und der Ukraine im Jahre 2012 wurden hingegen als „mangelhaft“ eingestuft, weil es dort keinen politischen Willen gebe, NS-Verbrecher vor Gericht zu bringen.

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