Hoffnungsregion der Katholiken auf Identitätssuche

Eine Gruppe von Menschen in Kostümen feiert auf einem Karnevalsumzug.
Lateinamerikaner jubeln über ihren ersten Pontifex, aber seine Ansichten teilt nicht jeder.

Sie versammelten sich in und vor der großen Kathedrale von Buenos Aires und jubelten. Gehüllt in die argentinische Flagge, mit Rosenkränzen in den Händen, fielen sie einander in die Arme und weinten Freudentränen. Jubel, „ Viva!“-Rufe und Musik erhellte den frühen Mittwochnachmittag in Argentiniens Hauptstadt, als bekannt wurde, dass ihr ehemaliger Erzbischof, der bekannteste Vertreter der argentinischen, vielleicht sogar der lateinamerikanischen katholischen Kirche, der neue Papst ist.

Die „Hand Gottes“ selbst mag es entschieden haben, scherzte der Buenos Aires Herald. Die Freude in Argentinien – aber auch in den anderen Staaten Lateinamerikas – ist groß, zumindest unter den gläubigen Katholiken, die in der Region fast drei Viertel der Bevölkerung ausmachen.

Es brauchte nicht lange, da kam auch das offizielle Glückwunschschreiben der Präsidentin Argentiniens Cristina Fernandez de Kirchner: Das Volk wünsche dem Papst, dass seine Arbeit in den Bereichen Gerechtigkeit, Gleichheit, Brüderlichkeit und Frieden fruchtbar sei.

Doch so rosig, wie es für den Beobachter aus Europa auf den ersten Blick aussehen mag, ist das Verhältnis zwischen katholischer Kirche und Staat nicht. Das mag ursprünglich daran liegen, dass Jorge Mario Bergoglio keine weiße Weste hat, was die Militärdiktatur angeht. Denn mittlerweile ist die Aufklärung aller Verbrechen der Junta erklärtes Staatsziel.

Doch auch in einem anderen Punkt sind Franziskus und Kirchner bittere Feinde. Zwar setzte sich der bescheidene Erzbischof von Buenos Aires jahrzehntelang für die Armen und Kranken in der Bevölkerung ein, doch für eine andere Minderheit hat er nicht die geringsten Sympathien: die Homosexuellen.

Homo-Ehe und Sex

Als die Regierung von Präsidentin Cristina Kirchner 2010 die Gleichstellung homosexueller Lebensgemeinschaften beschloss, zeigte der sonst so liebevolle Bischof seine scharfe, gar hasserfüllte Rhetorik: Gleichgeschlechtliche Partnerschaften seien „eine Intrige, um Gottes Plan zu zerstören“. Er sprach von einem „düsteren anthropologischen Rückschlag“.

Traditionsgemäß lehnt der neue Papst auch die Abtreibung ab. Das entspricht der Gesetzgebung in vielen lateinamerikanischen Ländern. In einer Handvoll Staaten ist Abtreibung in jedem Fall verboten – auch bei Vergewaltigung, Inzest und selbst, wenn das Leben der Mutter auf dem Spiel steht.

Neben der Abtreibung ist auch Empfängnisverhütung nicht gerne gesehen. Mit teils fatalen Konsequenzen. In kaum einer Region sterben so viele Frauen an den Folgen heimlicher Abtreibungen. Vier Millionen Schwangere sollen laut New Yorker Guttmacher Institut jedes Jahr in illegale Kliniken gehen. Fast die Hälfte aller Schwangerschaften in Argentinien enden laut Human Rights Watch beim „Engelmacher“.

Täglich 8000 Austritte

Nicht zuletzt ist es die konservative und für viele „weltfremde“ Haltung der katholischen Kirche, die etliche Südamerikaner in die Hände der evangelikalen Freikirchen und der Pfingstbewegung treibt, die große Missionierungserfolge feiern. 8000 Katholiken kehren in der Region jeden Tag ihrer Kirche den Rücken, schreibt das TIME-Magazine. Seit Anfang der Achtzigerjahre ist die katholische Gemeinde – die noch mehr als 400 Millionen Mitglieder zählt – um ein Viertel geschrumpft.

Vielleicht – so glauben es zumindest viele Beobachter – versucht man mit einem Papst aus der Region der katholischen Kirche dort wieder zu einem Aufschwung zu verhelfen.

Die größte Gemeinde

Die Hälfte aller Katholiken Rund 72 Prozent der Bevölkerung Lateinamerikas ist römisch-katholisch. Fast die Hälfte aller Katholiken weltweit (39 Prozent) lebt in Süd- oder Mittelamerika. In Argentinien sind 76,8 Prozent der Bevölkerung katholisch. Einst war der Katholizismus Staatsreligion, nun verfügt er über bevorzugten Status.

Abwanderung Nur 20 Prozent der 31 Millionen argentinischen Katholiken praktizieren ihren Glauben regelmäßig. Es gibt Spannungen zwischen Kirche und Staat – zuletzt wegen der Homo-Ehe. In Lateinamerika findet seit Jahren eine starke Abwanderung von der katholischen Kirche zu evangelikalen Sekten und zur sogenannten Pfingstbewegung statt.

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