Büroalltag gegen Huskyfarm getauscht: eine Wienerin wandert aus

Petra und ihr Schlittenhundeteam
von Annika Meyborg
Früher fuhr sie mit den Wiener Öffis, heute steht sie auf einem Huskyschlitten in Nordschweden. Die gebürtige Wienerin Petra erzählt im KURIER-Interview von ihrem Leben mit 29 Huskys in Schwedens unberührter Wildnis.
Schweden. Fragt man hierzulande nach skandinavischen Städten, fällt vielen zuerst Stockholm ein. Doch was kommt danach? Etwa 850 Kilometer nördlich der swedischen Hauptstadt, jenseits des Nördlichen Polarkreises und der Grenze Lapplands, fand die Wienerin Petra vor über zehn Jahren ihr neues Zuhause.
Der kleine Ort, in dem die gebürtige Wienerin heute lebt, zählt gerade einmal eine Handvoll Einwohner. Die nächste Stadt ist mehrere Stunden entfernt. Das Leben dort ist anders als in Österreich: Die Nächte sind lang, die Tage kurz. Dichte Wälder erstrecken sich bis zum Horizont und bieten Bären, Elchen und Rentieren dunkle Rückzugsorte.

Petras Huskyschlitten vor weißer Schneelandschaft.
KURIER: Wie landet denn eine Wienerin auf einer Huskyfarm in Nordschweden?
Petra: Ich bin in Wien geboren, war in der IT tätig, viel auf Reisen und hatte mit Hunden beruflich nichts zu tun. 2013 machten ich und mein Mann Urlaub in Schweden. Huskys hatten wir schon damals.
Auf dem Rückweg nach Österreich blockierte ein Holztransporter unseren Weg und zwang uns, einen Umweg zu fahren. Durch Zufall entdeckten wir dann eine alte Farm. Das Gelände war traumhaft, die Natur unberührt. Wir verliebten uns eigentlich sofort und kauften das Grundstück.
Eigentlich wollten wir nur ein paar Wochen Schlitten fahren. Aber dann war jeder Monat schöner als der Vorherige. Irgendwann waren wir schon ein ganzes Jahr da. Mein Mann und ich arbeiten beide in der IT, daher können wir von überall aus arbeiten. Es war nie geplant, dass wir auswandern. Das ist einfach passiert.

Petra und ihre sieben Schlittenhunde fahren durch eine verschneite Landschaft.
KURIER: Auf einer Huskyfarm in Nordschweden wohnen – was heißt das?
Petra: Das heißt erstmal viel Arbeit. Unsere Tage sind lang und drehen sich um unsere 29 Huskys. Im Sommer ist es ruhiger, aber wenn der Schnee fällt und die Temperaturen sinken, beginnt die intensive Zeit: Dann trainieren wir, fahren mit den Schlitten und sind stundenlang draußen unterwegs.
Wir verbringen generell sehr viel Zeit mit den Hunden. Das Miteinander ist unglaublich wichtig. Unsere Hunde sind keine Sportgeräte, sondern Familie. Jeder von ihnen hat seinen eigenen Charakter.
Kommunikation zwischen Mensch und Hund; das faszinierte mich von Anfang an. Wie sich Vertrauen und Verständnis entwickeln, fast wortlos – über Blicke, Gesten, gemeinsame Erfahrungen. Ich habe mit meinen Hunden so vieles durchgestanden: Schneestürme, vereiste Strecken, Nächte, in denen wir unter tanzenden Polarlichtern unterwegs waren.

Petra wird von ihrem Schlittenhunde-Team über den Schnee gezogen. Bis zu 30 km/h wird ihr Schlitten schnell.
KURIER: Gibt es einen Schlitten-Moment, der für immer in Erinnerung bleibt?
Petra: Ja, das war 2023 bei einem schwedischen 350-Kilometer-Rennen. Der Himmel war strahlend blau, die Sonne schien. Ich war mit zehn meiner Hunde in den Bergen unterwegs, alle anderen Teams waren außer Sichtweite. Der Wind wurde stärker, aber ich machte mir keine Sorgen.
Der Trail war anspruchsvoll, es ging einen steilen Berg hinauf. Wir waren schon fast oben, als mein Leithund plötzlich überraschend kehrtmachte. Ich blickte nach vorne, strich über meine beschlagene Brille - und sah eine massive, schwarze und stürmische Wand, die sich vor uns auftürmte. Ich riss den Schlitten herum und versuchte, so schnell wie möglich abzudrehen. Ich wollte erst einmal etwas Abstand gewinnen, dann Hilfe zu rufen. Der Trail führte mich direkt in einen Windkanal zwischen zwei Bergen, und dann war alles zu spät.
In Sekundenschnelle war ich mitten im Orkan. Der Himmel verschwand, der Sturm tobte, es regnete und peitschte mir ins Gesicht. Der Wind war so heftig, dass ich vom Schlitten geschleudert wurde. Die Hunde kauerten sich instinktiv zusammen, suchten Schutz beieinander. Ich war durchnässt, meine Kleidung klebte an mir, und die Kälte kroch erbarmungslos in jede Falte meines Körpers. Ich versuchte, den Schlitten zu öffnen, an meine Ausrüstung zu kommen, aber alles war gefroren: Der Reißverschluss, meine Haare, selbst meine Hände fühlten sich an wie aus Eis.
In solchen Momenten denkt man nicht mehr. Man funktioniert nur noch. Wenn der Sturm kommt, bist du allein mit zehn Hunden und deinem Instinkt. Irgendwann fand mich mein Mann mit dem Scooter und brachte uns zurück. Ohne ihn wäre das alles anders ausgegangen.
Das war ein Moment, in dem du spürst, wie schmal der Grat zwischen Freiheit, Spaß und Gefahr sein kann; zwischen Naturerlebnis und -gewalt. Und wie tief die Bindung zu deinen Hunden geht, wenn ihr euch gegenseitig durch einen solchen Sturm rettet.

"Amundsenrace" in Schweden: Pfotenschuhe und neonfarbige Laiberl dienen der Sicherheit.
KURIER: Was macht einen guten Leithund aus?
Petra: Meine Leithunde stehen mir von Anfang an besonders nah. Meine Leithündin Suki kennt mich bis ins kleinste Detail. Schon als Welpe richtete sie ihre Ohren immer zu mir, wenn sie vor dem Schlitten lief, und reagierte blitzschnell auf jede meiner Gesten und Kommandos.
Entscheidend ist auch der Fokus: Sie müssen es wirklich wollen. Suki war immer wie eine Wahnsinnige auf der Strecke, hat das Team vor uns förmlich aufgefressen. Leithunde haben diesen besonderen Spirit in sich, also diese Leidenschaft und diesen Drang, immer weiterzugehen. Das musste ich ihnen auch nie beibringen, das ist einfach ihre Natur.

Petra und ihre Huskys haben von klein auf eine sehr enge Bindung.
KURIER: Wie kommuniziert man mit Hunden beim Schlittenfahren?
Petra: Draußen auf der Strecke ist es gar nicht so einfach, mit Körpersprache zu arbeiten. Die Hunde spüren aber durch das Bremsen und die Gewichtsverlagerung am Schlitten ziemlich genau, wohin es gehen soll. Und es gibt einige klare verbale Kommandos, die wir benutzen. Die wichtigsten sind "HO“ und "CHI“, das heißt links und rechts abbiegen.
Außerdem sagen wir oft „Easy, easy“, wenn die Hunde ein bisschen langsamer machen sollen. Gerade bei steilen Anstiegen oder engen Kurven ist das wichtig, denn ein Schlitten kann mit voller Geschwindigkeit leicht bis zu 30 Stundenkilometer erreichen.

Bei Langdistanzrennen sind Petra und ihr Hundeteam oft mehrere Tage unterwegs. Immer mit dabei: ein Zelt für die Nacht.
KURIER: Wäre es eine Option, mit dem Schlittenfahren aufzuhören?
Petra: Nein, im Moment nicht. Natürlich sind Rennen gefährlich, keine Frage. Aber gefährlicher als Skifahren? Das kann ich nicht sagen. Solange ich einen guten Schlitten habe, die Technik beherrsche und meine Hunde fit sind, bin ich sicher unterwegs. Klar ist aber natürlich auch, dass du immer die Verantwortung für dein Hunde-Team hast: Das ist die wichtigste Regel: Niemals deine Hunde verlieren.
KURIER: Zehn Jahren im Norden – was sind die größten Unterschiede zwischen Schweden und Österreich?
Petra: Die Mentalität ist ganz anders. In Österreich hört man oft: „Passt schon“, in Schweden heißt es eher: „Das kann man nicht machen.“ Die Schweden sind gesetzestreuer, ruhiger und zurückhaltender.
Schweden nicht gleich Schweden, aber der Norden fühlt sich fast an wie "Little Alaska". Ich sehe oft Königsadler über der Farm kreisen, oder einen Luchs, der am Fluss Wasser trinkt. Man muss wissen, wie man in der Wildnis überlebt. In Wien gehst du zum "Billa“, hier angeln und jagen. Österreich wird immer ein Teil von mir sein, meine Familie lebt ja auch dort - aber Schweden und diese Farm, das ist mein Zuhause.
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