Frömmigkeit und Jesus-Glow: Missionierung übers Smartphone

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Warum religiöse Influencer auf Social Media so gut funktionieren.

„Such dir einen Mann aus, der deiner Unterordnung würdig ist“: ein Dogma. Genauso wie: kein Sex vor der Ehe. Abtreibung ist Mord. Queere Menschen sind verlorene Seelen.

Diese und viele andere erzkonservative und patriarchale Botschaften tönen durch die Social-Media-Beiträge der Content Creators Jesu, der sogenannten Christfluencer.

Während sie in ihren Videos über Lifestyle sprechen und Nahrungsergänzungsmittel bewerben, wirken sie wie ganz „gewöhnliche“ Influencerinnen auf den Social-Media-Plattformen: hip, jung, attraktiv und zufrieden. Dabei verraten sie ihren Followern auch ihr Rezept für Glückseligkeit. Die Antwort auf alles ist dabei: Jesus. Und sie liefern dazu gleich konkrete Handlungsanweisungen: keusch sein, fromm sein, und bei Unsicherheit die Bibel konsultieren.

Radikale Positionen

Zu den bekanntesten Christfluencern im deutschsprachigen Raum zählen Jana Hochhalter und Jasmin Friesen. Zusammen haben sie fast 200.000 Follower auf Instagram und einen gemeinsamen Podcast. Von ihnen stammt das Zitat am Anfang dieses Textes.

Martin Fritz, Referent der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauung Berlin, erklärt, dass es noch weitere, auch noch erfolgreichere Christfluencer gebe. „Aber Hochhalters und Friesens Content ist klar christlich-fundamentalistisch, mit einem kulturkämpferischen Einschlag. Das macht die beiden auf eine Weise zu exemplarischen Figuren.“ Im großen Becken der religiösen Influencer sind die „radikaleren Stimmen aber erfolgreicher als die gemäßigten“, erklärt Fritz.

Veronika Zak von der Bundesstelle für Sektenfragen sieht evangelikale Gruppen am Erstarken und erklärt damit auch den Erfolg von Hochhalter und Friesen: „Sie bieten Klarheit, ein Orientierungsangebot“ – dadurch werde Halt gegeben. Nicht ohne Grund steht in Jana Hochhalters Instagram-Bio ihr Heilsversprechen: „Klarheit in einer Welt der Verwirrung“.

Missionierung als Job

Ein Schlüssel für den Erfolg ist aber auch Provokation: Hochhalter und Friesen heben sich durch ihre Positionen vom sogenannten liberalen Mainstream ab, sind patriarchal, anti-woke, wirken dadurch mutig und nehmen eine Revoluzzer-Position ein, sagt Zak. Hinzu kommt: Ihre Videos sind in einer gewissen Ästhetik produziert, die Junge ansprechen.

Ihr Ziel? Menschen für Jesus zu gewinnen. Das entspricht auch dem evangelikalen Grundgedanken der Missionierung. Angesprochen werden Suchende, also Menschen in Krisen, und Christen, denen die Volkskirchen zu unpersönlich sind, sagt Dirk Schuster, Religionswissenschaftler an der Uni Wien. „Wir kennen diese Art der Ansprache von den Zeugen Jehovas oder den Mormonen“, erklärt Schuster. In Mitteleuropa funktioniere die Missionierung durch Social Media aber besser, „da die Menschen hier viel zu distanziert sind, um sich auf der Straße auf ein Gespräch über Gott einzulassen“.

Auf diese Taktik setzen mittlerweile auch Volkskirchen. Die katholische Kirche wittert ihre Chance, dadurch ihr Christentum modern und nahbar zu machen und so gegen schwindende Mitgliederzahlen anzukämpfen. Etwa mit Videos von rappenden Mönchen oder der heurigen Heiligsprechung des 2006 verstorbenen 15-jährigen Carlo Acutis, der als Cyber-Heiliger bekannt wurde. Aber auch Juden, Muslime und weniger konservative christliche Gruppen und Solo-Influencer sind in den Sozialen Medien aktiv.

Wie alle Influencer haben auch Christfluencer monetäre Interessen. Jasmin Friesen zum Beispiel vertreibt stylishe Bibeln über Instagram. Viele von ihnen geben auf ihren Accounts deshalb auch keine Konfession an, was sie unabhängig von Gemeinden und als Solo-Unternehmer attraktiver für Produktpartnerschaften macht, sagen Experten.

Politische Mission

Viele Christfluencer beziehen auch politisch Position. Einer der bekanntesten christlichen Influencer in Deutschland nennt sich „Ketzer der Neuzeit“. Er steht offen in Beziehung zur AfD. Ihn kennen sehr viele, vor allem männliche Teenager, weil er mit seinen Videos provoziert. Weniger deutlich, aber doch auch unübersehbar positionieren sich Hochhalter und Friesen. „Sie sprechen vor allem Frauen an und haben eine Art Brückenfunktion in die rechtspopulistische Sphäre“, erklärt Fritz. Aber ist das schon eine Gefahr?

Der Experte sieht drei Problematiken: Politisch würden rechtspopulistische Rhetoriken potenziert. Psychologisch werde durch ihre extrem restriktiven sexual-ethischen Regeln großer Druck auf junge Menschen ausgeübt. Und theologisch gesehen schaden die einschlägigen Accounts dem Christentum, weil sich ein völlig obskures, aus der Zeit gefallenes Ideengebilde präsentiere. Über die Christfluencer mag noch keine religiöse Radikalisierung der Gesellschaft stattfinden, erklärt Fritz, allerdings sind fundamentalistische Positionen sichtbarer als früher und auf jedem Handy.

Der KURIER hat ein Interview mit Jana Hochhalter geführt – sie hat es letztlich nicht zur Veröffentlichung freigegeben.

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