Drogenboss El Chapo im Prozess-Finale
Staatsanwältin Andrea Goldbarg sprach in ihrem fünfstündigen Schluss-Plädoyer mit bebender Stimme von einer „Lawine der Beweislast“. Ob Joaquín Guzmán Loera, wegen seines auf
168 cm gestauchten Körpers „El Chapo“ (Der Kurze) genannt, darunter begraben wird, kann sich heute, Freitag, entscheiden.
In einem New Yorker Gericht geht dann der Superlativ-Prozess gegen einen der mächtigsten Drogenbosse der Welt auf die Zielgerade.
Seit November wurden der zwölfköpfigen Jury 56 Zeugen vorgeführt. Darunter 14 Überläufer, von denen viele früher für den Chef des Sinaloa-Kartells Narco-Dienste verrichteten.
Anhand von abgehörten Telefonaten, abgefangenen SMS-Nachrichten, Foto- und Videoaufnahmen und Zigtausenden Dokumenten versuchte die Anklage den Nachweis zu führen, dass Guzmán die fette Spinne im Netz aus Mord, Drogenschmuggel, Waffenhandel und Geldwäsche schlechthin war. Binnen 25 Jahren sollen unter seiner Führung über 200 Tonnen Kokain, Marihuana, Heroin, Amphetamine und andere Drogen in die USA gebracht worden sein.
14 Milliarden Dollar
Rein-Gewinn: 14 Milliarden Dollar. Kollateralschaden: über 3000 Tote.
Folgt die Jury den Strafverfolgern, verbringt Guzmán (61) die letzten Jahre seines Lebens in einem Hochsicherheitsgefängnis in Colorado. Die Todesstrafe war vor seiner Auslieferung an die USA zwischen Washington und Mexiko-City ausgeschlossen worden.
Die Verteidiger um Jeffrey Lichtman, der am Donnerstag zum letzten Mal lautstark das Wort führte, hielten bis zuletzt daran fest: „El Chapo“ war im Grunde ein mittlerer Angestellter. Der echte Capo des Sinaloa-Kartells sei bis heute Ismael „El Mayo“ Zambada; ein Mann, der Regierungen in Mexiko-City bestochen habe und darum auf freiem Fuß sei.
In der unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen von Richter Bruce Cogan straff navigierten Verhandlung bekam die Öffentlichkeit im Justizpalast am Cadman Place in Brooklyn die reale Vorlage von Netflix-Serien wie „Narcos“ präsentiert, die sich, Ironie des Zeitgeistes, ausgiebig El Chapo widmet.
Diamanten-Pistole
Da ist die diamantenbesetzte Pistole mit den Initialen „JGL“ (für Joaquín Guzmán Loera), mit der El Chapo persönlich Widersacher niedergestreckt haben soll.
Da ist die Neigung zu grausamsten Gewaltausbrüchen, bei denen der zweifache Vater Gegnern aus nächster Nähe in den Kopf geschossen haben soll und sie danach auf einen brennenden Scheiterhaufen werfen ließ.
Da ist die Aussage des Zeugen Alex Cifuentes, der behauptet, El Chapo habe dem früheren mexikanischen Präsidenten Enrique Peña Nieto 100 Millionen Dollar Schmiergeld gezahlt, was dieser dementiert.
Und da ist die atemberaubende Vorgeschichte: Guzmán war im Sommer 2015 aus dem Altiplano-Gefängnis in Mexiko ausgebrochen.
Ein Video der Wärter zeigte, wie er plötzlich in der Duschtasse seiner Zelle verschwand. Dort war ein Loch, das zu einem 1,6 Kilometer langen Tunnel führte. Der Fluchtweg war mit Licht, Lüftung und einem Moped auf Schienen ausgerüstet und auf die Körpergröße des Häftlings abgestimmt.
Treffen mit Sean Penn
Die Arbeiten am Tunnel begannen kurz nach Guzmáns Inhaftierung im Februar 2014. In Freiheit traf sich Guzmán, erpicht darauf, dass seine Lebensgeschichte verfilmt wird, im Oktober 2015 konspirativ mit Hollywood-Star Sean Penn. Das Interview erschien im Januar 2016 im Magazin Rolling Stone.
Kurz danach wurde Guzmán in der Provinz Sinaloa verhaftet. Geheimdienste hatten das Treffen überwacht. 2017 folgte die Auslieferung in die USA.
Im Prozess war Guzmán bis auf Augenzwinkern und Luftküsse für seine 30 Jahre jüngere Frau, die ehemalige Schönheitskönigin Emma Coronel, unkommunikativ. Der Top-Gangster sagte nicht aus.
Allein von 1990 bis 1993 organisierte Guzman den Transport von 90 Tonnen Kokain in die USA. Der Stoff wurde in Dosen mit Chili und Jalapeños geschmuggelt. Per Zug. Im Auto. Durch Tunnel unter der Grenze. Gewinn: 1,5 Milliarden Dollar.
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