Die Stadt der Wechselwähler: Graz wählte wieder gegen den Trend

Außenansicht des Grazer Rathauses
Das Stimmverhalten in der steirischen Landeshauptstadt war bei den EU-Wahlen anders als auf Bundesebene. Die Gründe sind vielfältig.

Wäre SPÖ-Bundesparteiobmann Andreas Babler Grazer, hätte er nach diesem Wahltag ausgiebig feiern können: In der steirischen Landeshauptstadt heimste die Sozialdemokratie den ersten Platz bei den EU-Wahlen ein und hängte Grüne, ÖVP und FPÖ ab, ebenso die Bürgermeisterpartei KPÖ.

Nun hat die SPÖ bei den Wahlen zum Europäischen Parlament in Graz zwar etwas weniger Stimmenanteil als im österreichweiten Ergebnis, aber: In der Stadt selbst sind die Sozialdemokraten seit den Gemeinderatswahlen 2021 zur Kleinfraktion mit nur vier Gemeinderäten geschrumpft. 

Dann ist der Sprung auf Platz 1 doch schon beachtlich.

Hohe Mobilität im Wahllokal

Die Wählerschaft der zweitgrößten Stadt Österreichs folgte somit auch vergangenen Sonntag ihrem Ruf: Die Grazerinnen und Grazer sind so mobil wie kaum jemand, wenn es um die Stimmabgabe geht. So wurde hier etwa die FPÖ, die bundesweit auf Platz 1 landete, nur Vierte.

Doch weshalb ist das so?

Das liegt zum einen an einer zersplitterten Parteienlandschaft, die in der Form über Jahrzehnte hinweg ein Grazer Spezifikum war: Nirgendwo sonst gab es mit der KPÖ eine -  linke  - Alternative für Protestwähler. In Graz sitzen die Kommunisten seit 1945 ununterbrochen im Gemeinderat, wenn auch lange nur mit einem Mandatar.

Mittlerweile ist die Partei nicht nur in Graz etabliert und stellt mit Elke Kahr die Bürgermeisterin, sondern heimste auch anderswo Erfolge ein, Stichwort Stadt Salzburg und Vizebürgermeister Kay-Michael Dankl. 

Andererseits macht genau diese Zersplitterung jegliche Form von Wahlprognose für die Landeshauptstadt so schwer. Meinungsforscher beschrieben Graz schon einmal als "Horroraufgabe", während die Strategen von Parteien auf die launische Wählerschaft setzen.

Ist da etwas zu holen?

Sie hoffen, dass in Graz schon etwas zu holen sei, wenn es nur gelänge, potenzielle Wählerinnen und Wähler für die eigene Seite zu mobilisieren. Denn auch das machen die Wahlergebnisse der vergangenen paar Jahrzehnte deutlich: Die Bürgerinnen und Bürger unterscheiden offensichtlich ganz bewusst zwischen der Art der Wahlgänge.

Nur so lassen sich die deutlichen Differenzen erklären, wenn etwa die KPÖ als lokales Phänomen bei den Gemeinderatswahlen vorne liegt, aber bei überregionalen Wahlen nicht reüssieren kann.

War das etwas mit blauen Finanzen?

Oder die FPÖ, die bei den EU-Wahlen nun an der Spitze lag, es in Graz aber nur auf Platz 4 schaffte: Seit mehr als zwei Jahren beschäftigt der blaue Finanzskandal um mutmaßlich veruntreute Fördermittel des Gemeinderatsklubs Justiz wie Politik.  Allerdings - und das verblüfft dann wieder doch - gegenüber den EU-Wahlen 2019 konnten die Freiheitlichen auch in Graz zulegen, um knapp drei Prozentpunkte nämlich.

Spannend wird die Gemengelage dann erneut bei den Wahlgängen im Herbst, Ende September stehen die Nationalratswahlen an sowie Mitte oder Ende November die Landtagswahlen in der Steiermark.

Bei beiden Wahlen 2019 wählten die Grazerinnen und Grazer gewohnt gegen den Trend. So erreichten etwa die Grünen bei den Nationalratswahlen hier 27 Prozent und Platz 2, im Bund dagegen knapp 14 Prozent. 

Kommentare