Zeitzeugin über die "Mühlviertler Hasenjagd": Von 500 überlebten nur 11

Anna Hackl hat es sich zur Aufgabe gemacht, von  der damaligen Zeit zu erzählen
Die Familie von Anna Hackl rettete 1945 zwei KZ-Häftlingen das Leben. Die heute 93-Jährige berichtet unermüdlich von den erschütternden Ereignissen und mahnt zur Vorsicht.

Von Anna Kindlmann

Der Ausblick vom oberösterreichischen Dorf Winden zeigt heute eine ländliche Idylle: Vierkanthöfe, grüne Mischwälder und auf den Feldern ist Rotwild zu sehen. Nur wenige Kilometer entfernt befindet sich das KZ Mauthausen. Auch Winden selbst war vor 79 Jahren Schauplatz unfassbarer Gräueltaten und der „Mühlviertler Hasenjagd“.

„Den 2. Februar 1945 habe ich nie vergessen“, ist das Erste, was die heute 93-jährige Anna Hackl erzählt. Es war ein verschneiter Sonntagmorgen. Sie und ihre Mutter machten sich gerade fertig für die Kirche – die in dieser Zeit täglich ein Familienmitglied besuchte. „Dass die Söhne wieder heil nach Hause kommen würden, bis Kriegsende“.

Zeitzeugin über die "Mühlviertler Hasenjagd": Von 500 überlebten nur 11

Der Bauernhof der Familie in Winden bei Schwertberg. Anna Hackl betrieb die Landwirtschaft bis 1991. Heute wird das Haus renoviert

Bevor sie gehen konnten, klopfte es um 6.30 Uhr leise an der Türe. Vor der 14-jährigen Anna und ihrer Mutter Maria Langthaler stand in der eisigen Kälte ein junger Mann in gestreifter Häftlingskleidung. Sie wusste sofort, wen sie vor sich hatten. „Es sind lauter Schwerverbrecher ausgekommen – Sie müssen sie erschlagen, erstechen und erschießen“, hatte es aus Lautsprechern der SS am Vortag gedröhnt. „Und wehe, wenn jemand Hilfe leistet, der kommt selber dran“.

Monatelang versteckt

Und trotzdem entschied sich Familie Langthaler – Mutter, Vater, sechs Söhne und drei Töchter -– den sowjetischen Kriegsgefangenen aufzunehmen. „Du kannst bleiben, sagte meine Mutter und gab ihm zu essen“, erzählt Anna Hackl. Die kleine Landwirtschaft gab im vorangeschrittenen Krieg genug her, um schließlich auch einem zweiten Geflohenen zu helfen, der sich am Heuboden versteckt hatte. Michail Rybcinskij und Nikolaj Cemkalo können ihre Geschichten heute nicht mehr selbst erzählen, beide starben in den 2.000er-Jahren. Dass sie den Krieg und die „Hasenjagd“, der fast alle ihrer Mithäftlinge zum Opfer fielen, überlebt hatten, verdanken sie nur der Courage der Familie – vor allem der Mutter. „Die Verantwortung musst du tragen“, sagte Vater Johann. Eine Entscheidung, für die ihr die beiden ein Leben lang dankbar waren.

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Maria und Johann Langthaler mit Tochter Anna (hinten Mitte), drei weiteren Kindern sowie Nikolaj Cemkalo 
(hinten, 2. von li) und Michail Rybcinskij (hinten rechts).

„Ehrlich gesagt, war uns das immer ein Rätsel, dass selbst die SS-Hunde die beiden nie gefunden haben“, so Anna Hackl. Oft erblickten sie in der Ferne eine Schar SS-Leute mit Hunden. „Wir haben sie mit Heu bedeckt, als die Offiziere das Haus durchsuchten“. Was ihnen drohen würde, erzählte Annas Bruder Alfred, der beim Volkssturm war. „Die schneebedeckten Straßen färbten sich blutrot“.

Ein Versteck bis zum Ende des Krieges

Bis Kriegsende blieben die beiden am Hof versteckt. Die Monate bis dahin wurden immer erdrückender. Auch heute erinnert sich Anna Hackl noch gut an abstürzende Kriegsflieger und die herabgefallenen Trümmer, die tief in der Erde steckten.

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 Im Stall haben sich die beiden Häftlinge versteckt

Nach der Heimkehr von Michail und Nikolaj, folgten zunächst 19 Jahre ohne Kontakt. Durch eine Meldung in einer Zeitung erreichte die Familie die Nachricht „Uns geht‘s gut, wir sind nach Hause gekommen“. Später folgten gegenseitige Besuche, für Mutter Langthaler war es der erste Urlaub in ihrem Leben, als sie in die Sowjetunion flog.

„Seid vorsichtig“

Bundespräsident Alexander Van der Bellen überreichte am 8. Mai Anna Hackl das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich. Als Jüngste der Familie ist sie die letzte, die diese Geschichte noch selbst erlebt hat – und die sie immer wieder erzählt.

Anna Hackl hält Vorträge, geht in Schulklassen. „Die Kinder bedanken sich auch persönlich bei mir“. Österreich gehe es heute viel besser, es gibt Freiheit, Wohlstand, Demokratie. Doch man müsse vorsichtig sein, dass so etwas nie mehr passiert. „Es stimmt, in den 1930er-Jahren, brauchten die Leute die Arbeit, die Hitler versprach“, betont sie. „Dass es in so einem Krieg münden würde, hatten wir nicht geglaubt. Aber es war zu spät, wenn einmal ein Krieg ist, ist er nicht bald wieder vorbei“.

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