Zeitzeugen gesucht: Wer kennt das jugoslawische Gebiet in Wien?

Sucht noch nach Zeitzeugen: Ivan Kajgana bei der exterritorialen Anlegestelle, die Jugoslawien gehörte.
Bis zum Balkankrieg tauschten sich an der exterritorialen Anlegestelle Agenten aus. Ivan Kajgana erinnert sich und will mehr wissen.
Von Uwe Mauch

Dunkle Kappe, dunkle Jacke, selbsttönende Brillengläser: So begibt sich Ivan Kajgana zum vereinbarten Treffpunkt: Stromkilometer 1926,3.

Das Treffen ist aber nicht konspirativ, mehr informativ. Ivan Kajgana geht von seinem Wagen am Handelskai auf den Damm zur „Donaumarina Wien“. Um zu erzählen, was nur wenige in Wien wissen. Er deutet auf die Marina: „Hier befand sich das Büro der Jugoslawischen Flussschifffahrtsgesellschaft samt exterritorialer Anlegestelle.“

Man schrieb Mitte der 1950er-Jahre. Österreich war noch nicht frei, und Wien zog im Kalten Krieg noch mehr Agenten als Touristen an.

Russen "schenkten" den Jugoslawen den Grund

Die russischen Verhandler hatten nach dem Krieg durchgesetzt, dass das Grundstück neben der heute rauschenden Südosttangente Jugoslawien zugesprochen werden soll. Um hier neben Waren wohl auch geheime Informationen umschlagen zu können.

Ivan Kajganas Vater, ein Kroate aus Sisak, lotste die schweren Kähne der damals „Jugoslawischen Flussschifffahrt“ vom Donauhafen in Komárno mit viel Erfahrung nach Wien. Am Handelskai saßen seine Vorgesetzten.

Mächtig: der Herr Franz

„Wir wohnten in der Nähe, in der Ausstellungsstraße“, sagt Ivan Kajgana. „Mein sieben Jahre älterer Bruder und ich kamen daher oft zum Spielen an die Donau.“ Dort wurde der Gymnasiast Zeitzeuge: „Da war diese Funkstreife, ein grüner VW-Käfer mit zwei Polizisten drinnen. Sie waren aufs Gelände eingefahren, um Matrosen zu kontrollieren.“

Zeitzeugen gesucht: Wer kennt das jugoslawische Gebiet in Wien?

Stromkilometer 1924,5: Das Mietobjekt der „Jugoslawischen Flussschifffahrt“ bei der Ostbahnbrücke wirkt heute verlassen.

Verantwortlich für das Areal war die jugoslawische Botschaft in Wien, die einen Verwalter eingesetzt hatte: „Den Herrn Franz“, wie sich Ivan Kajgana erinnert. „Mein älterer Bruder erklärte mir, dass der Herr Franz ein hochdekorierter österreichischer Kommunist war, der sogar in Spanien gekämpft hatte.“

Furchtlos fertigte dieser die beiden Polizisten ab: „Ihr könnt da wieder rausfahren, und ich mache hinter Euch das Tor zu. Weil das ist hier exterritoriales Gebiet, wo ihr nicht amtshandeln könnt und auch nichts zu suchen habt.“

Unvergesslich für den jungen Zeitzeugen: „Nach Rücksprache mit deren Einsatzzentrale bestiegen die beiden Polizisten mit eingezogenen Köpfen ihr Dienstfahrzeug und fuhren davon.“

Die Donau als Sehnsuchtsfluss

Nach der Schule besuchte Ivan Kajgana die Graphische und wechselte von dort ins Gastgewerbe. Seine Kindheitstage an der Donau haben ihn bis heute, also sein ganzes Leben lang, mit dem Sehnsuchtsfluss verbunden.

Seine Mutter war übrigens eine Donauschwäbin in x-ter Generation. Geboren hat sie ihn in Aljmaš, einem kleinen kroatischen Dorf nahe der Draumündung in die Donau, auf der rechten Flussseite.

Seine ersten sechs Jahre verbringt der Donau-Bub im slowakischen Komárno, weil sein Vater dorthin versetzt worden war, ehe die Familie nach Wien übersiedelt.

Um seiner Sehnsucht zu folgen, kauft sich Kajgana ein Segelboot: „Mit dem bin ich unzählige Male nach Aljmaš gefahren und ein Mal auch bis zur Mündung der Donau ins Schwarze Meer.“

Nach der Pensionierung beginnt er, an einem Buch über die Donau zu arbeiten. Ein Kapitel ist für den „Herrn Franz“ und das bisher wenig bekannte Stück Jugoslawien in Wien vorgesehen.

Zeitzeugen gesucht: Wer kennt das jugoslawische Gebiet in Wien?

Das Schild von der jugoslawischen Flussschiffahrt hängt noch heute.

Kalter Krieg: Nach dem Zweiten Weltkrieg stehen sich zwei Blöcke gegenüber. Die Grenze zwischen Ost und West verläuft zwischen Wien und Bratislava, durch die Donau.

Aufruf: Wer hat Erinnerungen, wer hat schriftliche Dokumente zur Niederlassung der Jugoslawischen Schifffahrt
in Wien? Hinweise bitte an: ivan.kajgana@aon.at

2.850 Stromkilometer ist die Donau lang. Sie ist damit auch der zweitlängste Fluss Europas – nach der Wolga im europäischen Teil Russlands (die Wolga ist 3.531 Kilometer lang)
 

Mauer des Schweigens

Doch überall, wo er anfragt, ob es amtliche Dokumente gibt, wird er abgewiesen. „Das ist doch einigermaßen befremdlich“, sagt Kajgana. „Denn als man daran ging, die Staustufe Wien zu bauen, ist plötzlich das exterritoriale Gelände aufgefallen.“

Weil Jugoslawien zu Beginn der 1990er-Jahre in einem blutigen Krieg zu existieren aufhörte, sei am Anfang nicht einmal klar gewesen, mit wem genau die österreichische Seite in Verhandlungen treten sollte.

Zeitzeugen gesucht: Wer kennt das jugoslawische Gebiet in Wien?

Stromkilometer 1926,3: Im „Kalten Krieg“ wurden hier diverse Waren und vor allem geheime Informationen umgeschlagen. Das damals exterritoriale Gebiet dient heute als Bootsanlegestelle.

Wanderten Geldkuverts? Nahe der Ostbahnbrücke, Stromkilometer 1924,5, steht ein verlassenes Bürogebäude mit kyrillischen Lettern und eigener Schiffsanlegestelle, aber ohne Exterritorialität. War das die Kompensation? Ivan Kajgana würde gerne mehr erfahren. Er bittet daher die Leser und Leserinnen des KURIER um Hinweise.

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