Wienerin in Marokko: "Hab' gleich gewusst, das muss ein Erdbeben sein"
Als die 69-jährige Wienerin am Freitagabend in ihrer Suite in einem Hotel im marokkanischen Taghazout, nahe Agadir, das Licht abdrehte, ahnte sie noch nicht, dass sie sich an diese Nacht wohl für den Rest ihres Lebens erinnern wird.
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"Ich war gerade am Einschlafen, es muss viertel zwölf gewesen sein. Auf einmal hat es laut gerumpelt und gepoltert", erzählt Roberta Pokorny. Sie habe gleich gewusst, dass es sich bei dem Grollen um ein Erdbeben handeln musste.
"Der Kronleuchter im Zimmer hat geschwankt und das Bügelbrett ist umgefallen. Da hab' schnell meine Zigaretten und mein Handy eingepackt und bin raus aus dem Zimmer", schildert die Wienerin, die seit 28. August im Hotel Paradis Plage Urlaub macht. Am Gang kamen ihr bereits Securitys entgegen, die die Hotelgäste aus ihren Zimmern brachten.
Drei Stunden Wartezeit
Rund 60 Urlauber versammelten sich um kurz nach 23 Uhr vor dem Hotel. "Sie haben uns Sessel gebracht, auf denen wir im Freien warten mussten, bis das Schlimmste vorbei war. Da war ich froh, dass ich am E-Book etwas lesen konnte", sagt Pokorny.
Panik sei keine ausgebrochen, die Evakuierung sei kontrolliert abgelaufen. Drei Stunden mussten die Hotelgäste im Freien ausharren, bevor sie wieder in ihre Zimmer zurückkehren konnten. "Gott sei Dank war es eine milde Nacht, ich hab' in der Eile nämlich nur mein Kleid mitgehabt", sagt die Wienerin.
Als die Erde gebebt hatte, kamen bei der 69-Jährigen sofort Erinnerungen an eines der stärksten Beben in Österreich hoch. "Das war im Jahr 1972. Unsere Wohnung in der Leopoldstadt hat damals dann viele Risse an den Wänden gehabt. Aber das ist mit der Stärke des Bebens jetzt in Marokko überhaupt nicht vergleichbar", schildert Pokorny.
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Die Wienerin ist das erste Mal in Marokko. "Ich wollte mir so gern noch Marrakesch anschauen, besonders das Yves-Saint-Laurent-Museum mit dem fantastischen Garten hätte mich interessiert. Aber durch die Zerstörung dort ist das jetzt leider nicht mehr möglich", bedauert die Touristin.
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Sie sei nur froh, dass niemand in ihrer unmittelbaren Umgebung verletzt wurde. Auch an dem Hotel, in dem sie wohnte, wurden keine Schäden verzeichnet.
Roberta Pokorny ist eine von insgesamt 70 Österreichern, die derzeit in Marokko Urlaub machen und beim Außenministerium registriert sind. "Es liegen uns nach wie vor keine Informationen vor, dass österreichische Staatsbürger verletzt wurden", sagte das Ministerium dazu auf KURIER-Anfrage. In Marokko halten sich zudem noch 215 Auslandsösterreicher auf.
Einer von ihnen ist der österreichische Unternehmer Farid Kachoun, der das Beben ebenfalls miterlebt hat. „Ich bin gerade von der Arbeit in meine Wohnung heimgekommen. Dann hat plötzlich alles gewackelt“, schilderte der Betreiber eines Hotels in Marrakesch gegenüber der APA.
"Wir waren alle nervös"
„Es war laut, die Menschen haben geschrien“, so Kachoun. „Dann war das Internet weg, die Telefonverbindung weg und der Strom fiel aus“, sagte er über die unmittelbaren Momente nach dem Beben. „Ich bin dann sofort zurück zu meinen Gästen. Wir haben bis 3 Uhr in der Nacht draußen im Freien gewartet“, sagte der 57-Jährige. „Wir waren alle nervös.“
Der gebürtige Marokkaner mit österreichischem Pass kehrte aufgrund einer Erbschaft vor zehn Jahren von Salzburg nach Marrakesch zurück. Kachoun überstand die Nacht zum Samstag unbeschadet.
„Ich und meine Familie hatten Glück. Uns ist nichts passiert. Das Hotel und unsere Wohnung sind in Ordnung“, so der dreifache Vater. Er selbst habe nun vor allem mit den wirtschaftlichen Folgen des Bebens zu kämpfen.
Mehr als 2.000 Tote, Menschen in Angst
Stornierungen im Hotel
„Mir haben zwölf Leute storniert“, sagte Kachoun, der regelmäßig auch Österreicher zu seinen Gästen in Marrakesch zählt. „Ihr Außenministerium hat sie gewarnt, dass es gefährlich sei, jetzt nach Marokko zu fliegen.“ Die Situation nach der Naturkatastrophe sei „unglaublich traurig“. „Allein in Marrakesch sind bisher 38 Menschen gestorben“, erzählte er.
Landesweit sprachen die Behörden zuletzt von mehr als 2.100 Toten. „Doch in den Bergen ist noch viel mehr zerstört worden, dort sind so viele Leute gestorben“, so Kachoun. Das Epizentrum des Bebens lag gut 70 Kilometer südwestlich von Marrakesch im Atlasgebirge. „In manchen Dörfern sind 90 Prozent der Menschen gestorben.“
In Marrakesch habe vor allem die alte jüdische Siedlung im Süden der Medina Schäden durch das Beben abbekommen. „Viele Häuser dort wurden zerstört, auch der Turm einer Moschee“, so Kachoun. Die Stimmung im ganzen Land sei nun bedrückend, so Kachoun. Dennoch halte nun das ganze Land zusammen.
Solidarität im ganzen Land
„Alle helfen jetzt zusammen: Kinder, alte Menschen, Familien.“ Er hoffe, dass noch so viele Menschen wie möglich aus den Trümmern gerettet werden könnten, sagt der 57-Jährige. Doch die Furcht vor einer neuen Katastrophe sei ständig präsent im Hinterkopf. Die Bevölkerung sei bereits vor weiteren Nachbeben gewarnt worden. „Jeder hat noch Angst."
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