Tränen auffangen
„Es geht um eine Aufwertung und Verwertung von Emotionen“, erklärt Hollmann, während sie ihrem Besuch die Tränensaline im oberen Stockwerk des zuvor leer stehenden Geschäftslokals zeigt. Hinter dem Auslass der Saline liegt bereits ein großer Berg Salz. „Da sind auch unsere Tränen dabei“, sagt Hollmann.
„Bei so einer Millionenstadt wie Wien, da kommt schon einiges an Tränen zusammen“, ergänzt der Salinenarbeiter, der im weißen Schutzanzug gerade an der komplexen Maschine hantiert. Das, wird immer wieder betont, hängt mit dem „obersten Reinheitsgebot“ zusammen, das bei solch einer heiklen Produktion Voraussetzung ist. Ebenso wie natürlich eine gewisse Offenheit und Humor des Publikums. Aber das scheint gar kein Problem zu sein. „Ich bin eigentlich verwundert, dass die Reaktionen so positiv sind und dass uns wenig Unverständnis begegnet“, sagt Barbara Ungepflegt.
Tatsächlich nehmen immer wieder Passanten in einer der beiden Tränenkabinen Platz, um hinter einem Vorhang und unterstützt durch ein trauriges Hörspiel ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen. Andere nehmen sich lieber ein Tränenset mit nach Hause, denn auf Kommando weinen ist gar nicht so leicht. Das Set geben sie dann mit der wertvollen Flüssigkeit gefüllt wieder vor Ort ab. „Jede Träne zählt“, lautet das Motto.
Denn um ein Gramm Salz herzustellen, braucht man 160 Milliliter Tränen. Kein Wunder also, dass die Salzpackerl, die vor Ort erworben werden können, wie die Künstlerinnen selbst sagen, „natürlich sehr teuer sind“. 99 Euro kosten 200 g des weißen Goldes.
Öffentlich weinen
Immer wieder bleiben Passanten vor der großen Auslage stehen und schauen verwundert bis interessiert. Eine junge Frau kommt herein und möchte mehr über die Aktion erfahren. „Der Ort hier ist wirklich ideal für Kunst im öffentlichen Raum“, sagt Barbara Ungepflegt. „Es gibt viel Frequenz, eine gute Durchmischung und die Leute rasen nicht so durch.“ Zudem erinnere das zweistöckige Lokal entlang der kurzen Rolltreppe, das für die Dauer der Aktion von der Stadt Wien zur Verfügung gestellt wurde, ein bisschen an ein Bergwerk, fügt sie mit einem Augenzwinkern hinzu.
Stehen die Wienerinnen und Wiener zu ihren Emotionen? „Ja, aber es geht schon noch mehr“, sagt die Künstlerin, deren Arbeiten bisher alle im öffentlichen Raum stattfanden. „Mich interessiert, was das Öffentliche mit einem macht aber auch umgekehrt“, erklärt sie. Denn manchmal sitzt nämlich auch sie hinter der Scheibe und lässt sich von den Kolleginnen die Tränen abnehmen. „Und da ist es schon interessant zu sehen, wie die Menschen reagieren. Männer wenden sich eher ab, manche schimpfen sogar. Frauen sind eher ergriffen oder wollen helfen. Mich interessiert das, wie schnell sich etwas durch so eine Gefühlsregung ändert.“
Schottentor Passage, noch bis 21. Mai, Mo bis Fr von 10 bis 18 Uhr. Infos unter wienerweinen.at.
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