Wie Städte gegen das Scooter-Chaos kämpfen

Das Volk hat entschieden. 89 Prozent der Bewohner der französischen Hauptstadt haben am Sonntag bei einer Volksabstimmung für ein Verbot von Leih-E-Scootern in der Stadt votiert. Somit gehören Leih-E-Scooter in Paris ab 1. September der Vergangenheit an. Eine radikale Maßnahme.
Lange galt Paris als Musterbeispiel für den Umgang mit den Gefährten. Eigene Parkplätze etwa waren gang und gäbe. Dem Chaos auf den Bürgersteigen und den Unfällen habe das laut der französischen Zeitung Le Monde aber keinen Einhalt geboten. Die Pariser wollen die rund 15.000 Leih-Roller deshalb nicht länger in ihrer Stadt.
Internationaler Fleckerlteppich
Kein Einzelfall. Auch in anderen (Groß-)Städten quer durch Europa sorgen E-Scooter für heftige Debatten. Die Regelungen, mit denen die Politik reagiert, könnten unterschiedlicher nicht sein. In London etwa sind Leih-Scooter erlaubt, private hingegen verboten. Wer sie nutzen will, muss strengen Regeln folgen. Viele andere Städte im Ausland haben das Angebot zuletzt stark zurückgefahren. (Mehr siehe Infobox)
London: Nur leihen ist erlaubt
Drei Anbieter stellen 4.425 Leihgeräte. Wer sie nutzen will, muss den Pkw-Führerschein haben und eine Einschulung durchlaufen. Private E-Roller sind hingegen gänzlich verboten. Fahren darf man in London nur auf Straßen und Radwegen
Rom: Weniger ist mehr
Statt 14.500 nun 9.000: Seit dem 1. Jänner gibt es von bisher sieben nur noch drei Anbieter für Leih-Scooter. Beim Abstellen der Roller auf den markierten Plätzen muss via App ein Foto gemacht werden, um die Leihe zu beenden
Madrid: 40 Prozent weniger
Von 10.000 werden nur noch 6.000 E-Scooter zur Verfügung gestellt. Anbieter müssen in der Lage sein, die Roller zu lokalisieren – und Nutzer dazu bringen können, nur in den autorisierten Bereichen im Zentrum der Stadt zu parken
Niederlande: Sitzen ein Muss
In den Niederlanden sind die Roller schlichtweg verboten. Der überraschende Grund: Beim Fahren habe man keine Sitzmöglichkeit
Le Havre: Abstellen oder zahlen
Im Gegensatz zur französischen Hauptstadt bleiben die Leih-Roller im Nordwesten Frankreichs vorhanden. Um die Geräte wieder an ihre zugeteilten Parkplätze zu bekommen, läuft die Uhr (und somit die Gebühr) so lange weiter, bis der Roller am richtigen Ort ist
Deutschland: Preise nach Stadt
Die elektrischen Roller sind von den deutschen Straßen nicht mehr wegzudenken. Es gilt: Die Scooter nur auf den vorhergesehenen Parkflächen abstellen. Preislich merkt man im Städtevergleich deutliche Unterschiede
Moskau: Zonenbeschränkung
Ob auf zwei Beinen oder zwei Rädern, das ist hier egal: Im Straßenverkehr werden Nutzer von E-Scootern als Fußgänger eingestuft. Fahren darf man aber nur in gekennzeichneten Zonen. Werden sie verlassen, wird das Gerät als gestohlen gemeldet und per Fernsteuerung gesperrt
Prag: Helmpflicht bis 18 Jahre
Neben einer Helmpflicht für Personen unter 18 Jahren gilt aufgrund der vielen Fußgänger ein Fahrverbot im Stadtzentrum
Kein Wunder also, dass auch innerhalb Österreichs kaum Einigkeit herrscht, wie mit den E-Scootern umzugehen ist.
Kein Thema sind Leih-E-Scooter derzeit etwa in Salzburg und Graz: Verwiesen wird auf den fehlenden Platz und die wenig erfreulichen Erfahrungen aus anderen Städten: „Wir haben das Chaos gesehen, das Scooter in Wien angerichtet haben“, heißt es etwa aus dem Büro der stv. Grazer Bürgermeisterin Judith Schwentner (Grüne).
Das "Chaos" in den Griff bekommen
Dabei soll genau dieses „Chaos“ in Wien bald, konkret im Mai, Geschichte sein. Nicht – wie in Paris – durch eine Verbannung der E-Scooter, sondern durch strengere Regeln. So soll das Parken auf Gehsteigen ab dann gänzlich verboten werden, stattdessen muss „platzsparend in der Parkspur“ (also zwischen den Autos) oder auf eigenen Abstellflächen geparkt werden. Bis Jahresende sind 200 dieser Flächen geplant, im Jahr 2024 sollen weitere 100 dazukommen, heißt es aus dem Büro von Mobilitätsstadträtin Ulli Sima (SPÖ).

E-Roller-Fahrer in Wien
Für die Verleiher soll es teuer werden, wenn die Nutzer die Scooter nicht ordnungsgemäß abstellen – die Strafen gehen bis hin zum Entzug der Lizenz. Wer künftig überhaupt Leih-Scooter aufstellen darf, darüber wird derzeit verhandelt: Die Zahl der Anbieter soll jedenfalls von fünf auf vier reduziert werden. Die Ausschreibung läuft noch.
Weniger Geschwindigkeit
Klar ist bereits, dass die Zahl der E-Scooter im Stadtinneren reduziert und (im Gegenzug) in der Peripherie erhöht werden soll. Details sind noch nicht bekannt, die Gesamtzahl der Leih-Geräte dürfte sich aber mindestens halbieren – von derzeit 5.000 auf unter 2.500. An bestimmten Hotspots, etwa bei Spitälern, kommt ein Fahrverbot. In Fußgängerzonen sollen die Scooter die Geschwindigkeit automatisch drosseln – das ist via GPS-Ortung möglich.

In Innsbruck dürfen Anbieter von Leih-E-Scootern je 225 Roller aufstellen
Deutlich klarer ist die Situation in Innsbruck, wo das Leih-System zu funktionieren scheint. Nach Wien war man 2019 die zweite Stadt in Österreich, die die Gefährte erlaubte, 2021 wurde die Anzahl der Scooter sogar angehoben. Zwei Anbieter dürfen je 225 Stück aufstellen, im Moment diskutiert man über eigene Abstellflächen.

Von Anfang an geplant waren die Abstellflächen in Baden
Von Anfang an eingeplant wurden die Abstellflächen dagegen in Baden. Seit September können die Leih-E-Roller hier an 40 Stationen ausgeliehen und auch wieder zurückgegeben werden. Die erste Bilanz ist positiv: Ein „Traumstart“, sagt Bürgermeister Stefan Szirucsek (ÖVP).
Negative Erfahrungen
Übrigens: Dass die Meinungen über die Roller derart auseinandergehen, liegt daran, dass viele Menschen selbst negative Erfahrungen gemacht hätten – Stichwort: Unfälle (siehe Faktenleiste) und Chaos am Gehweg.
Wie ein Fahrrad
Laut Straßenverkehrsordnung sind E-Scooter dem Fahrrad gleichgesetzt. Sie dürfen die Radinfrastruktur nutzen oder auf Straßen fahren. Auf dem Gehsteig dürfen E-Scooter aber nicht unterwegs sein
307 Unfälle
mit Personenschaden, bei denen E-Roller beteiligt waren, hat es in Wien im Jahr 2022 gegeben. 2021 waren es nur 159, im Jahr 2020 sogar nur 70 Unfälle
Dunkelziffer
In die Statistik fließen auch Unfälle ein, bei denen Fußgänger in einen parkenden Roller gelaufen sind. Die Dunkelziffer der Unfälle dürfte weit höher liegen
Zudem handle es sich um „eine recht neue Mobilitätsform“, sagt Klaus Robatsch vom Kuratorium für Verkehrssicherheit (KfV). „Niemand weiß so genau, wie damit umzugehen ist.“ Regeln müssten erst ausprobiert und adaptiert werden. Erst dann könne ein geeignetes Modell gefunden werden. „Oder“, so Robatsch, „die Scooter verschwinden einfach wieder von der Bildfläche“. Wie in Paris.
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