Sorgenvolles Österreich: Das verloren gegangene Narrativ des Aufschwungs

Austrian Chancellor Christian Stocker, Vice-Chancellor Andreas Babler and Foreign Minister Beate Meinl-Reisinger attend a press conference in Vienna
Weit mehr als die Hälfte der Österreicherinnen und Österreicher blickt pessimistisch auf die nächsten fünf Jahre. Es gibt allerdings Unterschiede bei den Sorgen.

Mehr als 22.000 Menschen sind in den vergangenen Wochen der Einladung des KURIER gefolgt und haben an der breit angelegten Regional-Umfrage teilgenommen. 

Gemeinsam mit dem Meinungsforschungsinstitut OGM wird der KURIER die Erkenntnisse analysieren, journalistisch aufarbeiten und die Politik mit den Daten konfrontieren. Die Berichterstattung zur Regional-Umfrage finden Sie regelmäßig auf kurier.at/umfrage. Dort finden Sie auch bereits die Einstellungen der Österreicherinnen und Österreicher zu den Themen Sicherheit, Gesundheit und Bildung. 

Überraschend ist das Ergebnis nicht, besorgniserregend ist es dennoch: 57 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher blicken pessimistisch in die Zukunft, wie die KURIER-Regional-Umfrage in Zusammenarbeit mit OGM ergab. „Die jahrelange wirtschaftliche Stagnation und der geringe erkennbare politische Reformwille hinterlassen deutliche Spuren“, erklärt Johannes Klotz von OGM.

Solche Werte seien ein Indikator für Unzufriedenheit mit der amtierenden Regierung, sagt auch Politberater Thomas Hofer. Und das wiederum erhöhe den Druck auf die handelnden Akteure.

Klar ist dabei: Den Kopf in den Sand stecken ist keine Option, sofern man an der Macht bleiben will. Was also tun? Die Antwort seien nicht „800 Einzelmaßnahmen oder Zigmilliarden an Unterstützungspaketen wie in der Coronazeit“, so Hofer, denn das werde einem nicht gedankt. Zielführender sei es, eine zukunftsgewandte Erzählung zu schaffen. „Das Aufschwung-Narrativ der Zweiten Republik ist ins Rutschen geraten“, sagt der Experte, weswegen man nun ein neues aufbauen müsse. Das sei natürlich leichter gesagt als getan, wie er selbst einräumt. Eine Möglichkeit sei es, Erzählungen „umzuspinnen“, also umzudeuten. Als Beispiel nennt Hofer den Umbau des Energiesystems. Diesen könne man als größtes Infrastrukturprojekt der Zweiten Republik verkaufen – und damit positiv und eben zukunftsgewandt.

Die hohe Zahl der Antworten bei der großen KURIER-Regional-Umfrage ermöglicht uns auch eine genaue Auswertung auf Bezirksebene. Die gesamte Auswertung nach Bundesländern und Bezirken im Osten Österreichs finden Sie hier:

Deutlich positiver wird von den Befragten übrigens die eigene Zukunft eingeschätzt, immerhin 71 Prozent sehen dies sehr oder eher optimistisch. „Viele glauben, es sich trotz ungünstiger wirtschaftlicher Umstände schon irgendwie richten zu können“, sagt Klotz. Zudem federt der gut ausgebaute Sozialstaat natürlich die Härten der schwachen Konjunktur ab.„

Gesundheit und Migration

Spannend ist auch ein Blick darauf, was den Menschen die größten Sorgen bereitet. Die meisten Befragten entschieden sich für Gesundheitsversorgung (39 Prozent), Migration (37 Prozent) und Spaltung der Gesellschaft (33 Prozent).

Nur 7 Prozent bangen um die Jobsicherheit, womit sich der Kreis zum Optimismus der eigenen Zukunft schließt. Allerdings lässt sich hier ein Unterschied bei verschiedenen Altersgruppen erkennen. Bei den Bis-29-Jährigen sind mit 13 Prozent mit Abstand die meisten zu finden, die um die Jobsicherheit fürchten. Die Künstliche Intelligenz wird nur von 11 Prozent als Bedrohung wahrgenommen.

Lohnend ist ein Blick darauf, wie die Sorgen der Wähler und Wählerinnen der unterschiedlichen Parteien auseinandergehen. So fürchten die meisten ÖVP-Wähler (42 Prozent) um den Wirtschaftsstandort, 80 Prozent der Grünsympathisanten sorgen sich wegen des Klimawandels, bei den FPÖ-Wählern haben sich mit 70 Prozent für die Migration als Sorgenfaktor entschieden.

Die gesamte Auswertung nach Bundesländern und Bezirken im Osten Österreichs + aufgeschlüsselt nach Parteipräferenz finden Sie hier.

Bleibt die Frage, ob die Menschen von ihren präferierten Parteien beeinflusst werden oder diese Parteien mit ihrer pointierten Politik die Ansichten ihrer Wählerinnen und Wähler verstärken. Mit anderen Worten: Wer ist die Henne und wer ist das Ei? Wie bei dem berühmten Paradoxon greift wohl beides ineinander. Aber: “Gerade Grüne und FPÖ bespielen die Themen Klima beziehungsweise Migration seit Mitte der 1980er-Jahre„, sagt Hofer. “Sie haben also einen hohen Identifikationsfaktor.„

Dass der Standpunkt der präferierten Partei sehr wohl die gesellschaftliche Stimmung beeinflussen könne, erklärt er anhand eines Gedankenspiels. Es betrifft die Corona-Zeit. Laut einer Gallup-Umfrage aus dem Jahr 2021 haben 76 Prozent der FPÖ-Anhänger mit den öffentlichen Protesten gegen die Coronamaßnahmen sympathisiert, bei den Grün-Wählern waren es nur 21 Prozent. Hofer stelle bei Vorträgen manchmal die Frage in den Raum, was passiert wäre, wenn der Ibiza-Skandal nicht stattgefunden hätte und statt einer türkis-grünen Regierung eine türkis-blaue an der Macht gewesen wäre.

Die meisten würden glauben, dass sich die Maßnahmen anfangs nicht wesentlich unterschieden hätten. Aber hätten FPÖ-Wähler – trotz gleicher Maßnahmen – weniger gegen eine türkis-blaue Regierung demonstriert und Grüne mehr? Wahrscheinlich.

Polarisierung

Ein anderes Beispiel: In den USA geben 76 Prozent der Republikaner an, sich nie ein E-Auto kaufen zu wollen, aber nur 27 Prozent der Demokraten. “Die Entscheidung zu einem E-Auto kann man anhand vieler Parameter abwägen, etwa wie es um die Ladeinfrastruktur bestellt ist oder welche Distanzen man zurücklegt„, sagt Hofer. “Die Parteipräferenz gehört da eigentlich nicht dazu.„ In Österreich gebe es aber natürlich nicht so eine “Brachialpolarisierung„ wie in den USA.

Dennoch sorgen sich die meisten SPÖ- und Neos-Wähler um die Spaltung der Gesellschaft. Wohl auch ein Grund, warum man im Bund und noch mehr in Wien mit Rot-Pink in der Regierung das Konsensnarrativ gerne nach außen trägt.

Das allein reicht augenscheinlich nicht aus, den Optimismus im Land zu steigern.

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