Eine fast gespenstische Ruhe hängt über Bad Hofgastein. Es ist stockdunkel, die Straßen sind unbeleuchtet, die Ferienunterkünfte kaum gebucht. Es ist Nebensaison. Die wenigen Stammgäste gehen früh zu Bett. Nur in einem Hotelfenster brennt noch Licht, oben im dritten Stock. Dumpf dringt Musik nach draußen. Eine Silhouette bewegt sich rhythmisch, wirbelt ein Handtuch durch die Luft. Sie trainiert – bis zur letzten Sekunde. Denn am nächsten Tag wird es hier alles andere als ruhig zugehen.
Keine zehn Stunden später pulsiert das Leben im Kurort – genauer gesagt: in der Alpentherme Gastein. Gäste strömen hinein, reservieren Liegen und versammeln sich vor der Cascadia-Sauna. Dort heizen Animateure mit der DJ-Ötzi-Version von „Sweet Caroline“ bereits die Stimmung auf. Die spärlich bekleideten Gäste klatschen und wippen mit.
Bei zwanzig Personen will die Auflockerung nicht gelingen. Es sind die Stars des Wochenendes: Saunameisterinnen und -meister aus ganz Österreich. Von 23. bis 25. Mai treten sie beim österreichischen Vorentscheid, den „Aufguss Masters“, an. Ihr Ziel: ein Ticket für die Aufguss-Weltmeisterschaften 2025 in Verona.
Das sind Österreichs Meister im Wedeln
„Rund 35 Saunameister gibt es in Österreich, die gut genug für die WM sind“, schätzt Günter Weisgram, Präsident des Österreichischen Saunaforums. Der Verein existiert seit 30 Jahren und veranstaltet die Aufguss Masters. „Langsam, aber sicher nähern wir uns dem internationalen Niveau an“, meint Weisgram stolz mit Blick auf die diesjährigen Kandidaten.
Manche arbeiten hauptberuflich in Thermen oder Hotels als Bademeister, andere sind Gärtner, Sanitäter, Grafiker oder ehemalige Online-Pokerspieler. Was sie alle gemeinsam haben? Eine Ausbildung zum Saunawart, also die Lizenz zum Wacheln, und die Leidenschaft für das, was man unter einem wirklich guten Aufguss versteht.
Es geht darum, Wasser gezielt einzusetzen, die Hitze etappenweise zu steigern, sie mit über 200 Wedeltechniken gleichmäßig in der Sauna zu verteilen und – am wichtigsten – eine gute Show zu bieten. Ein Schauspiel, das auch in einem Theater stattfinden könnte. Nur hat es auf dieser Bühne hundert Grad. Anders als die Gäste sind die Saunameister in voller Montur.
Theater bei 100 Grad
Atmungsaktiv sind die wenigsten Kostüme. Lukas Barani macht sich als Bergsteiger mit Eispickel bewaffnet auf zum „Schatten des Gipfels“, Margot Carpentari verbreitet als Schamanin mit Federkopfschmuck mystische Stimmung und Norbert Brandner begibt sich als Indiana Jones mit Hut und Peitsche auf die Suche nach dem Heiligen Gral. Aufgussmeister Harald Winkler fährt besonders schwere Geschütze auf.
Die amtierende Staatsmeisterin Ditta Kiss fährt zur WM nach Verona. Mit Pavel Prokopenko belegt sie Platz eins im Teamaufguss. Auch im Solo-Bewerb räumt sie ab und landet auf Platz zwei. Damit hat sie die Chance, sich bei den internationalen Play-offs auch in der Kategorie Einzelaufguss für die WM zu qualifizieren.
Lukas Barani kommt im Bergsteiger-Outfit in die Sauna.
In einem Weihnachtsmannkostüm mit Vollbart und falschem Bauch fordert er fast 15 Minuten lang (die Maximallänge eines Aufgusses) das Christkind zum Duell auf. Mariah Carey singt im Hintergrund, während Winkler mit dem Handtuch Zimt- und Coladuft durch die Sauna wirbelt. Mit jeder Runde wird es heißer, das Wedeln beschwerlicher.
Das darf man den Saunameistern nicht anmerken, denn sichtbare Erschöpfung gibt Punkteabzug. Schlimmer ist jedoch ein „Towel Drop“ – ein Handtuch, das zu Boden fällt. Aber das wird an diesem Wochenende nur einer Person passieren. „Eine Topleistung“, freut sich Günter Weisgram. Zur Weltspitze im Show-Aufguss zählt Österreich trotzdem noch nicht.
Länder wie Polen, Niederlande und Tschechien sind tonangebend. Auch Deutschland ist gut dabei, braucht sogar zwei Vorentscheide, um die besten Saunameister des Landes zu küren. Der Vorteil der anderen Länder? Eine stärkere Saunakultur und Hotels, die ihre Gäste vor Amateuraufgüssen – wo der Sauerstoff fehlt und die Haut brennt – bewahren. Sie fördern ihre Saunameister und investieren viel Geld – in Ausbildung und Anlagen.
In Polen ließ ein Thermenbetreiber sogar ein Kolosseum errichten, in dem sich die Aufgussmeister wie Gladiatoren ihren Weg zum Ofen bahnen. Es ist aktuell die größte Sauna der Welt, hat Platz für 350 Gäste.
Konkurrenz kommt aus Verona: Eine neue High-Tech-Sauna, eigens für die WM gebaut mit 150 m2 Fläche für 300 Zuschauer. Aber Zahlen sind ein Richtwert – das zeigt sich bei den Aufguss Masters. Denn wie viele Plätze eine Sauna fasst und wie viele letztlich drinsitzen, sind zwei völlig verschiedene Dinge.
Des Nachbars Schweiß darf man nicht fürchten
Je länger die Aufguss Masters dauern, desto größer wird die Menschentraube vor der Cascadia-Sauna. Manche darunter bezeichnen sich als „Saunafreaks“, andere sind zufällig hier und „verwirrt von dem, was abgeht“. Sobald das Absperrband geöffnet wird, stürmen die Gäste beschallt von den „Rivers of Babylon“ in die Sauna. Fast wie bei einem amerikanischen Schlussverkauf, nur ist hier jeder nackt. Ein Fünftel trägt immerhin Filzhüte – in Bären- oder Katzenform oder einfach mit großem Zipfel.
65 Plätze sind offiziell in dieser Sauna verfügbar. Nicht selten werden sich 85 Menschen Haut an Haut in die Sitzreihen pressen. Unter ihnen: die sechs Jury-Mitglieder, die jeden Aufguss bis ins kleinste Detail analysieren. Bis zu 75 Punkte vergibt jedes Mitglied für einen Einzelaufguss. Freunderlwirtschaft gibt es nicht, denn die Jury ist bis auf Günter Weisgram international und hält sich ausnahmslos an ein strenges Bewertungsformular.
Kaum hat das letzte Jury-Mitglied in der Sauna Platz genommen, starten die Animateure eine ausgiebige Polonaise mit dem Partylautsprecher. Dann kehrt Ruhe ein. Saunameister Mark Zipperle tritt auf. Er wird diesen Wettbewerb gewinnen. Das weiß zu diesem Zeitpunkt aber noch niemand.
Die Sieger im Team-Aufguss heißen Ditta Kiss und Pavel Prokopenko. Sie reißen mit einer "Freaky Friday"-Adaption das Publikum aus seinen verschwitzten Bänken.
Die internationale Fachjury bestehend aus Kim P. Pedersen (Dänemark), Martin Niederstein (Deutschland), Erik Jager (Niederlande) und Arek Rawza (Polen) (von links) sowie unten links Günter Weisgram (Österreich) und Caroline Schraag (Niederlande).
Ditta Kiss freut sich über den zweiten Platz im Einzel-Aufguss.
Der klare Gewinner
„The Heatrix“ heißt Zipperles Siegeraufguss, abgeleitet vom Filmhit Matrix. Elf Monate hat Zipperle daran gearbeitet, 3.000 Euro investiert, jede Requisite durchgetestet – von der Nebelmaschine bis zur Lichtinstallation. „Wenn man oben mitspielen möchte, muss man früh anfangen“, sagt er vor seinem Auftritt zum KURIER. Er soll recht behalten.
Am Ende sitzt jede Handbewegung. Als er sich zwischen der roten und blauen Eiskugel entscheiden muss, leuchten sie auf, wenn er danach greift und sie erlöschen, sobald er sie auf den Ofen schmettert. Im Wortgefecht mit zwei sprechenden Masken entstehen keine unangenehmen Pausen, obwohl Zipperle mit einem fertigen Tonband interagiert. Auch das Publikum bindet er mit ein und rettet es mit zwei Wedeltüchern gleichzeitig vor der feindlichen Übernahme der Künstlichen Intelligenz.
Mit fast neunzig Punkten Abstand ist Zipperle der eindeutige Gewinner der Aufguss Masters. Doch er wird im September nicht alleine nach Verona reisen.
Show-Aufgüsse sind selten und sollen laut ÖSF-Präsident Günter Weisgram "nicht inflationär werden". Wer wissen will, wann und wo sie stattfinden, folgt dem Österreichischen Saunaforum und den Saunameistern auf Social Media, denn einen offiziellen Kalender gibt es nicht.
Aber es gibt mehrere Events im Jahr: u. a. zweimal im Jahr das Saunafestival in Loipersdorf oder den Herbal Cup in der Alpentherme Gastein, wo der Entspannungsaufguss im Fokus steht. Heuer soll es außerdem noch Show-Events in Linz und Mödling geben.
Ihn begleiten die amtierende Staatsmeisterin im Wedeln Ditta Kiss und Pavel Prokopenko. Sie sichern sich mit einem humorvollen Duell unter Zwillingen den ersten Platz im Team-Aufguss. Ein weiteres Team muss noch zittern: Bernd Hofbauer und Alexander Wöhrer. Sie haben Österreich im Vorjahr bei der WM in den Niederlanden als Team vertreten und bekommen jetzt die Chance, sich bei den internationalen Play-offs für Verona im Nachgang zu qualifizieren. Auch dieser Wettbewerb wird eine heiße Partie.
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