Reale Cyborgs: Einmal Superkräfte, bitte!

Ein Mann mit Brille steht neben einer Schaufensterpuppe mit einem Exoskelett.
Mit einem Exoskelett als mechanischer Hülle am Körper lassen sich die Fähigkeiten von Menschen erweitern. Der KURIER hat getestet.

Das biblische Wunder vom Gelähmten, der wieder gehen kann – das moderne Hightech-Pendant steht an diesem Donnerstagvormittag am Gang der alten Uni in Innsbruck. Auf den ersten Blick erinnert das auf einem Sessel geparkte Gerüst mit seinen vielen Schnallen zur Fixierung von Gliedmaßen und Oberkörper unangenehm an einen elektrischen Stuhl.

„Zu eng“, fragt Peter Kreynin von der Luxemburger Firma Exoatlet beim Festziehen der Gurte. Mit ein paar Clicks auf einem Tablet gibt er schließlich den Startschuss.

Das medizinische Exoskelett, das in der Therapie unter anderem eingesetzt wird, um Menschen nach einem Schlaganfall das Wiedererlernen des Gehens zu erleichtern, richtet sich – und damit auch mein Körper – unter dem Surren von Motoren auf. Kreynin tippt noch einmal auf seine Steuerung. Das erste Bein winkelt sich an und setzt einen Schritt nach vorne, das zweite folgt. Im Robotergang geht es vorwärts.

„Wie mag sich das für einen Menschen anfühlen, der durch eine Querschnittslähmung im Alltag an einen Rollstuhl gefesselt ist?“, schießt es mir durch den Kopf.

Ein Mann geht mit einem Exoskelett, während eine andere Person ihn unterstützt.

KURIER-Redakteur Christian Willim beim Test eines Exoskeletts

Ein bisschen übermenschlich

Robert Weidner beobachtet den Testlauf schmunzelnd. Der Deutsche ist Leiter des Lehrstuhls für Produktionstechnologien an der Universität Innsbruck und Mitorganisator einer Veranstaltung, die sich um Exoskelette dreht. Viele kennen sie nur aus Science-Fiction-Filmen.

Genau diese Kino-Vorlagen und die Ankündigung, bei diesem Event mehrere solcher Systeme testen zu können, nähren die Erwartungshaltung: Mit einer mechanischen Körperhülle will ich ein Gefühl von Superkraft bekommen.

Diesen Traum werde ich später noch näherkommen – doch zunächst zerstört ihn Weidner mit einem einzigen Satz: „Wir wollen keine Superkräfte erzielen“, sagt der Wissenschafter, der bereits an der Entwicklung von rund 30 Exoskeletten mitbeteiligt war.

„Es geht um Präventionsmaßnahmen, damit die Gesundheit länger erhalten bleibt.“ Durch maschinelle Kraftunterstützung soll das Risiko von Muskel- und Skeletterkrankungen reduziert werden.

Ein Mann mit einem Exoskelett hebt eine Kiste an.

Eisern zupacken oder leichter heben und halten: Exoskelette machen das möglich und lassen sogar Gelähmte gehen

Das ist zumindest sein Forschungsansatz. Es gibt auch andere – etwa beim Militär, das Interesse hat, Soldaten mithilfe von Exoskeletten länger und mit mehr Gewicht beladen bewegen zu können. Als eine Art Kraftanzug, mit dem Arbeiter größere Lasten bewegen können, sind solche an den Körper angedockten Maschinen wiederum für Logistik- und Produktionsbetrieben interessant.

„Aus meiner Sicht muss es darum gehen, Belastungsspitzen wegzunehmen“, sagt Weidner und lässt mich in Schultergurte schlüpfen, mit denen sich eines der Geräte wie ein Rucksack tragen lässt. Beim Heben der Arme geben plötzlich Stützen von unten Auftrieb. Das Halten eines großen Schleifgeräts fällt dadurch sofort ungleich leichter. Wer schon einmal eine Zimmerdecke gestrichen hat weiß, wie anstrengend Über-Kopf-Arbeiten sind.

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Eigene Grenzen ausdehnen

Das Exoskelett nimmt hier Arbeit nicht ab, aber erleichtert sie. Ein anderes wiederum hilft beim Heben und Abstellen von schweren Gegenständen. Beim Absenken wird die Bewegung gedämpft, beim Anheben werden Zusatzkräfte wie von einer gespannten Feder auf den Körper übertragen. Es ist wie beim E-Bike: Treten muss man immer noch, aber es fällt leichter. Superkraft ist das noch keine, aber die Grenzen eigener Fähigkeiten werden erweitert.

Und dann liegt da noch ein Handschuh bereit, der mit einer ebenfalls am Rücken getragenen Versorgungseinheit verbunden ist. Der Name des Geräts würde einem Superhelden gerecht: „Ironhand“. Und genau so, wie es sich anhört, fühlt es sich an. In den Handschuh sind Sensoren verbaut. Berühren die Fingerspitzen damit einen Gegenstand ziehen sich künstliche Sehnen im Handschuh zusammen. Der Griff wird ohne wirkliche Kraftanstrengung eisern. Es gab schon Comic-Helden mit banaleren Fähigkeiten.

Ein Arbeitshandschuh mit Sensoren und Kabeln liegt auf einem Tisch, im Hintergrund Werkzeuge.

Sensoren und künstliche Sehnen ermöglichen eisernes Zupacken

Zwischen Fiktion und Wirklichkeit

Comic-Helden, die in den vergangenen 20 Jahren in einem regelrechten Boom ihren Weg auf die Kino-Leinwand fanden, müssen für das Erlangen ihrer Superkräfte meist einen Leidensweg absolvieren – eine massive Dosis Gamma-Strahlen überleben etwa (Hulk) oder von einer radioaktiven Spinne gebissen werden wie Spiderman.

Da ist ein anderes Motiv, das sich schon über Jahrzehnte hinweg durch reihenweise Science-Fiction-Filme zieht, schon realistischer. Eingepackt in eine mechanische Stützstruktur erlangen dabei Menschen mithilfe von Technik in einer Art Verschmelzung mit der Maschine übermenschliche Kräfte:

Von Sigourney Weaver bis Matt Damon

Sigorney Weaver steckt 1986 in „Aliens – die Rückkehr“ in einem Laderoboter. Mit den Zangen des futuristischen Gabelstaplers liefert sie sich einen Boxkampf mit einem der Monster. Ab 2008 schlüpft Robert Downey jr. mehrfach in den Anzug von „Iron Man“, der seinen Träger unter anderem fliegen lässt und ihm übermenschliche Kräfte verleiht. Noch dazu ist diese Version eines Exoskeletts mit jeder Menge Waffen bestückt.

Dieser Idee eines Supersoldaten, der mit seinem Kampfanzug stärker und schneller wird, begegnen Science-Fiction-Freunden in Filmen immer wieder.

Matt Damon wird in der Dystopie „Elysium“ (2013) nicht nur ein Exoskelett, sondern gleich auch ein Gehirnimplantat verpasst. 2014 wirft sich Tom Cruise in „Edge of Tomorrow“ in einer hochgerüsteten Hülle in den Kampf gegen Außerirdische und stirbt – gefangen in einer Zeitschleife – Tausende Tode. Und diese Liste ließe sich noch weiter fortsetzen.

Tatsächlich forschen Militärs mehrerer Länder – und das zum Teil schon seit Jahrzehnten – an solchen Anzügen für Soldaten. Der erste Prototyp eines motorisierten Exoskeletts wurde bereits 1965 von General Electric entwickelt. Der „Hardiman“ sollte seinem Benutzer das Heben Hunderte Kilo schwerer Lasten ermöglichen. Aber das Projekt scheiterte.

 

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