"Liebesurlaub" oder Kampfeinsatz: Freispruch für angeblichen IS-Anhänger

"Liebesurlaub" oder Kampfeinsatz: Freispruch für angeblichen IS-Anhänger
Ein 18-Jähriger soll sich 2014 dem IS angeschlossen haben, die Beweise haben für einen Schuldspruch aber nicht gereicht. Urteil nicht rechtskräftig.

Ohne Zahnbürste, frisches Gewand oder sich zu verabschieden, aber mit 1.000 Euro in bar reiste im Sommer 2014 ein mutmaßlicher Anhänger der radikalislamistischen Terror-Miliz "Islamischer Staat" (IS) mit einem Bekannten aus Österreich über Bulgarien nach Istanbul.

Ob es von dort weiter nach Syrien ging, wo sich der Mann laut Anklage dem IS angeschlossen haben soll, wurde am Montag unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen vor dem Wiener Landesgericht für Strafsachen verhandelt.

Am Ende wurde der Mann - wie schon im ersten Verfahren - freigesprochen, wenngleich es laut Richterin äußerst knapp war: "Es ist ein Freispruch, aber nicht weil wir ihre Geschichte glauben, sondern weil die Beweise nicht hundertprozentig für einen Schuldspruch gereicht haben", hielt die Vorsitzende in der nicht rechtskräftigen Urteilsverkündung fest.

Der mittlerweile 27-jährige Tschetschene, der in dem Zusammenhang schon 2018 freigesprochen wurde, derzeit aufgrund zahlreicher weiterer Gewaltdelikte aber eine mehrjährige Haftstrafe absitzt, beteuerte am Montag erneut seine Unschuld. Er sei lediglich in die Türkei gereist, um in Istanbul eine Freundin zu besuchen.

Der Mann, der an Händen und Beinen gefesselt den Saal betrat, gilt als hochgefährlich - unter anderem deshalb, weil er in der Vergangenheit in der Justizanstalt Stein einen Justizwachebeamten mit einem Buttermesser attackiert hatte. Dementsprechend wurde er während des Prozesses am Montag gleich von mehreren schwerbewaffneten Einsatzkräften bewacht. Zivile Verfassungsschützer waren ebenfalls mehrere zugegen. Auch vor dem Saal hatten Polizisten mit Sturmgewehren Stellung bezogen.

Neue Beweise gegen mutmaßlichen IS-Kämpfer

Aufgrund neuer Beweismittel bekam die Staatsanwaltschaft  eine Wiederaufnahme bewilligt, so dass sich der 27-Jährige erneut wegen terroristischer Vereinigung und krimineller Organisation verantworten musste. Belastet wurde er seit dem letzten Verfahren 2018 von einem ehemaligen Mithäftling. Dieser sagte bei der Polizei aus, dass sein Zellengenosse ihm Kampfvideos gezeigt und über seine Zeit in Syrien gesprochen habe. Dort soll der Beschuldigte auch auf Menschen geschossen haben.

Ein Datenblatt, das vom FBI sichergestellt wurde, soll zudem die Einreise des Mannes in Syrien belegen. Demnach werden Daten von IS-Kämpfern von der IS-Grenzpolizei bei der Einreise detailliert aufgenommen. Anders als 2018 ist mittlerweile der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) gelungen, eine gerichtsverwertbare Kopie des Datenblatts zu bekommen.

Kurzer Aufenthalt

Während noch offen ist, ob der Angeklagte 2014 in der Türkei oder in Syrien war, ist klar, dass er relativ bald nach Österreich zurückreiste. Nachdem er Wien im Juni verlassen hatte, flog er am 27. Juli bereits nach Österreich zurück. Laut Staatsanwältin deshalb, weil ihm seine besorgte Familie "vorgaukelte, seine Mutter würde im Sterben liegen". 

Der Mann soll jedoch davor seinen IS-Kontakten noch versichert haben, dass er auch von Österreich die Ziele des IS weiterverfolgen werden. Deshalb habe er auch seinen Reisepass zurückbekommen - ein Vorgehen, das dem Vernehmen nach nicht so selten sein dürfte.

Verteidiger von Anfang an von Freispruch überzeugt

Anwalt Florian Kreiner bezweifelte, dass das Datenblatt als Beweismittel taugt. Vor allem da weder der Name des Angeklagten noch jener seiner Mutter, der offenbar ebenfalls abgefragt wurde, korrekt in der Liste erfasst ist. Ein als Zeuge geladener Staatsschützer betonte hingegen, dass sonst alle Daten, darunter auch das Geburtsdatum, übereinstimmen und dass es bei Übersetzungen vom Russischen ins Arabische immer wieder zu derartigen Fehlern komme.

Kreiner stellte zudem den Belastungszeuge, also den früheren Zellengenossen, als "völlig unglaubwürdig" dar. Dieser wurde am Montag ebenfalls befragt, machte zu seinen belastenden Aussagen aber eine 180-Grad-Wende. Er sei seinem Zellengenossen damals böse gewesen, weil dieser "ein besserer Box und Ringer sei". Er hätte aber nicht gedacht, dass seine Aussagen derartige Konsequenzen haben würden.

Die Richterin fragte den Mann, der ursprünglich anonym ausgesagt hatte, daraufhin mehrmals, ob er eingeschüchtert worden sei, was der Mann, der tatsächlich hochnervös wirkte, verneinte. Im Zuge dieser Befragung musste die vorsitzende Richterin auch den Vater des Angeklagten des Saals verweisen, weil dieser durch Zwischenrufe negativ aufgefallen war.

Erinnerungslücken

Angesprochen auf die angebliche Freundin, die der 27-jährige mutmaßliche IS-Anhänger in Istanbul besucht haben soll, konnte dieser sich nicht mehr so genau an die Frau erinnern. Weder an den Nachnamen, noch deren Haarfarbe. Befragt zu IS-Propagandamaterial, das er zu dieser Zeit  auf seinem Handy gehabt soll, entgegnete er, dass ihm das damals zugeschickt worden sei, er den IS aber nicht aktiv unterstütze.

Unruhe im und vor dem Saal

Drei Bekannte bzw. Freunde des Angeklagten wurden ebenfalls vernommen. Die zahlreich erschienenen weiteren Angehörigen, die sich vor und in dem Saal befanden, bereitwillig fotografieren ließen und während der Verhandlung immer wieder lachten, mussten mehrmals ermahnt werden. Die Richterin drohte einmal sogar, den Sicherheitsdienst zu rufen und den Gang vor dem Verhandlungssaal räumen zu lassen. 

So weit kam es nicht. Kurz nach 13 Uhr und nach der Befragung der Freunde des Angeklagten, die allesamt aussagten, der heute 27-Jährige sei nur als Urlauber in die Türkei gereist, wurde der Prozess bis 13.40 Uhr unterbrochen. Am frühen Nachmittag wurde schließlich das Urteil verkündet.

Urteilsbegründung

Als ausschlaggebend für den Freispruch nannten die Richterin drei Gründe. Einerseits zog der Belastungszeuge seine Aussage zurück, andererseits stimmten die Namen auf dem Datenblatt des FBI nicht ganz mit dem Namen des Angeklagten und seiner Mutter über ein. Und drittens sei es unwahrscheinlich, dass der IS ihn nach nur wenigen Wochen ohne Weiteres zurückreisen hätte lassen.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig, die Staatsanwältin hat sich Bedenkzeit erbeten.

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