Physik und Liebesgeflechte: Der Mensch hinter dem Nobelpreisträger

Physik und Liebesgeflechte: Der Mensch hinter dem Nobelpreisträger
Das Brenner-Archiv hat Hunderte Objekte aus dem Nachlass von Erwin Schrödinger digital zugänglich gemacht. So wird auch sein ungewöhnliches Privatleben sichtbar

Große Physiker sprengen mit ihren Gedanken den Rahmen des Bekannten und mitunter des Vorstellbaren. Das gilt etwa für Albert Einstein und seine Relativitätstheorie. Oder aber auch für seinen österreichischen Zeitgenossen Erwin Schrödinger (1887–1961). 

Der Nobelpreisträger gilt als einer der Gründerväter der Quantenphysik. Von seinem bekanntesten Gedankenexperiment – „Schrödingers Katze“, die tot und lebendig zu gleich ist – hat vermutlich jeder schon mal gehört.

Abseits der gängigen Konventionen, zumindest jenen seiner Zeit, war Schrödinger auch in seinem Privatleben unterwegs. Er und seine Frau Annemarie lebten in einer offenen Ehe, nach heutigen Maßstäben würde man wohl sagen „polyamor“.

Beziehungen zu gemeinsamen Bekannten

So hatte sie etwa über viele Jahre eine Beziehung zu einem Wissenschaftskollegen ihres Mannes. Er wiederum hatte unter anderem eine Liebschaft mit Hilde March, der Ehefrau seines in Innsbruck lehrenden und forschenden Physikerkollegen Arthur March, aus der Tochter Ruth hervorging.

Physik und Liebesgeflechte: Der Mensch hinter dem Nobelpreisträger

Physiker Erwin Schrödinger mit der unehelichen Tochter Ruth, seiner späteren Alleinerbin, 1940 in Dublin

Das Verhältnis der Ehepaare trübte das nicht. „Es gab enge Beziehungen zwischen ihnen und dem Kind“, sagt Ulrike Tanzer, Leiterin des Brenner-Archivs der Universität Innsbruck

Tochter Ruth Braunizer hat im Tiroler Bergdorf Alpbach, wo Schrödinger seine letzten Lebensjahre verbrachte und auch beerdigt ist, als Alleinerbin jene Dokumente aufbewahrt, die das Brenner-Archiv nun mittels Digitalisierung im Online-Portal Kulturpool der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat.

Fotos, Schriften und Korrespondenzen von zwei Physikern

In diesen um Ankäufe ergänzten Teilnachlässen des Nobelpreisträgers und von Ruth Braunizers Stiefvater Arthur March finden sich Schriften und Notizen der beiden zur Physik, Unterlagen zu deren universitären Lehren, Korrespondenzen und eine Vielzahl an Fotografien und Lebensdokumenten.

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Die Nobelpreisurkunde von Erwin Schrödinger. Er wurde 1933 mit dem Wissenschaftspreis ausgezeichnet

In dem vom Brenner-Archiv verwahrten und aufgearbeiteten Konvolut ist unter anderem die Nobelpreisurkunde von Schrödinger, aber auch viel Privates enthalten. Ein Foto zeigt etwa den Wissenschafter 1940 beim Schachspielen mit seiner Tochter

Die Aufnahme ist in Dublin entstanden, wohin Schrödinger aufgrund der Nazi-Herrschaft ins Exil gegangen war und ihm Hilde March 1939 mit dem gemeinsamen Kind gefolgt war. Sie kehrten erst nach dem Krieg nach Österreich zurück. Schrödinger lehrte ab 1956 in Wien.

Intellektuelles Netzwerk

Alpbach war der Wissenschafter zeitlebens verbunden, es wurde zum Zweitwohnsitz. Bilder aus Familienalben dokumentieren unter anderem das Leben im Dorf, in dem Schrödinger auch an den Hochschulwochen – dem späteren Forum Alpbach – teilnahm. 

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Erwin und Annemarie Schrödinger mit Hilde March (Mitte) zwischen 1940 und 1950 im irischen Exil

Der Nachlass des Physikers, für 25 Jahre von seiner Enkelgeneration an das Brenner-Archiv verliehen, „zeigt auch, welches Netzwerk er hatte. Schrödinger hatte über die Physik hinaus Strahlkraft“, sagt Tanzer. So sieht man ihn etwa auf einem der Fotos im Austausch mit Carl Gustav Jung, dem Begründer der analytischen Psychologie.

Literarische Adern

Für das Brenner-Archiv, eigentlich ein Zentrum für Literaturforschung, bieten die Dokumente aber noch einen interessanten Bezug zum eigenen Hauptschwerpunkt. So verfasste Schrödinger etwa auch Gedichte

Der in Brixen in Südtirol geborene Arthur March war ebenfalls literarisch ambitioniert. Im November wird das vielseitige Digitalisierungsprojekt im Rahmen einer „Schrödinger-Woche“ im Brenner-Archiv vorgestellt. Online kann man schon jetzt durch die Bestände stöbern.

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